Konzeptkünstler, Schriftsteller und Kunstförderer Ingo Springenschmid †
Der 1942 in Salzburg geborene und seit 1970 in Vorarlberg lebende und arbeitende Ingo Springenschmid, in dessen Werk sich die Grenzen zwischen Literatur und bildender Kunst auflösten und der auch als Förderer junger Kunstschaffender für die Vorarlberger Szene über Jahrzehnte eine nachhaltige Bedeutung erlangt hat, ist vergangenen Sonntag (30.10.2016) in Bregenz nach langer schwerer Krankheit an den Folgen einer Lungenentzündung verstorben.
Ingo Springenschmid meinte einmal: „Wie man Bilder sieht, kann man auch Texte sehen.“ Für den Vorarlberger Kunst- und Kulturschaffenden mit Salzburger Wurzeln hatten Literatur und bildende Kunst stets eine ebenbürtige Wertigkeit. Buchstaben, Silben und Wörter waren für ihn Bauteile, mit denen er Texte und Bilder konstruierte. Texte werden gesehen, Bilder gelesen. Springenschmid: „Malerei vertritt ... den Part des Lesens, der Text den Part des Sehens. Als ein 'Zusehen' werden beide 'Strategien' evident.“ Das Schaffen des sowohl in der Literatur wie auch in der bildenden Kunst verorteten Ingo Springenschmid, der als geschätzter Kollege auch viele Jahre mit in der Redaktion der Kultur-Zeitschrift saß und das Redaktionsteam vor allem in den ersten Jahren des Bestands der Zeitschrift immer wieder mit ungewöhnlichen Inputs versorgte, bewegte sich also im Spannungsfeld von visualisierten Texten und vertexteten Bildern. Stets sollte das jeweils andere mitgedacht werden – beim Betrachten seiner Bilder die Literatur, bei der Lektüre das visuelle Erscheinungsbild eines Textes.
Springenschmid studierte von 1959 bis 1964 an der Kunstschule in Linz und an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Auf der „Flucht“ vor der Vergangenheit seines stark in die Naziverbrechen involvierten Vaters, die ihm immer wieder zur Bürde wurde, fand Springenschmid ab 1970 „Asyl“ in Vorarlberg. Und hier leistete er schier Großes: als bildender Künstler, als Poet, als Kurator, als Initiator und Mitbegründer der Bludenzer Galerie allerArt, aber auch als Kunst-Pädagoge. Er machte zu Beginn der 1970er Jahre die im konservativen Vorarlberg lange Zeit verpönte Gegenwartskunst salonfähig, führte seine SchülerInnen zu Beuys-Ausstellungen in die damalige Vorreitergalerie Seebacher in Nüziders, begeisterte viele seiner Zöglinge für die Kunst und bereitete somit den Boden vor, dass Vorarberger Kunstschaffende heute in so großer Dichte auf dem internationalen Parcours mit dabei sind.
Im Werk Springenschmids, der als Vorstandsmitglied der Vorarlberger Berufsvereinigung Bildender Künstler vor allem in den 1990er und in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends auch die Geschicke dieses Verbandes maßgeblich mitbestimmte, überlappen sich autobiografische mit kunsthistorischen oder philosophischen Bezugspunkten. Dabei sind die mitunter nur schwer zu durchschauenden Gedankenstränge auch immer wieder mit ironischen Blitzlichtern unterlegt. Über die Jahrzehnte ging er einen völlig eigenständigen und unverwechselbaren Weg und schuf damit ein Werk von eminenter Bedeutung, das weit über die Grenzen Vorarlbergs hinausstrahlt. Für diesen jenseits aller ausgetretenen Kunstpfade begangenen Weg, auf dem sowohl das Bild wie auch der Buchstabe als Leuchttürme dienten, aber auch für seine so wichtige Tätigkeit als Kunstvermittler und Mentor junger Kunstschaffender und Literaturtalente wurde er 2013 auch mit dem Internationalen Vorarlberger Kunstpreis ausgezeichnet.
Das Leben und das Werk von Ingo Springenschmid waren von großen Gegensätzen geprägt - Gegensätzen, die sich immer wieder berührten und von einander entfernten. Hubert Matt hat die unterschiedlichen Pole Springenschmids in einer eindringlichen Laudatio anlässlich der Überreichung des Vorarlberger Kunstpreises mit den Konstellationen des mittlerweile ebenfalls verstorbenen Henning Mankell verglichen, der in Ystad sowie im afrikanischen Maputo zwei völlig unterschiedliche Leben lebte, die aber aufaddiert eine Konditionierung evozieren, die die „Gesamtmenge“ Mankells ausmacht. Matt näherte sich dem Leben und Wirken Springeschmids anhand dreier solcher Ystad-Maputo-Konstellationen an: „Von Text und/oder Bild. Von Zurückhaltung und/oder Engagement. Von Schicksal (Verstrickung) und/ oder Freiheit - wir könnten auch sagen von Vater und/oder Sohn.“
Eines von vielen Sprachbildern Hubert Matts zu Springenschmid: „Für viele sind seine Texte wohl ein hermetisch abgedunkeltes Dorf am Rande der Kommunikation, aber letztlich wohnt dort das Wort, das spricht, das anspricht. Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen, wir kennen diesen berühmten Satz von Ludwig Wittgenstein. Das Schweigen ist aber als Aktivität bei ihm gedacht. Insofern kann ein Text ein aktives Schweigen sein, ein verlorenes Bild, ein Sehen. - Das Bild des türkischen Choreografen Erdem Gündüz, wie er stundenlang still und ruhig auf dem Taksim-Platz in Istanbul gestanden hat, um gegen Erdogan zu demonstrieren. Es ist mir wie ein Portrait von Ingo Springenschmid erschienen.“
Ingo Springenschmid war von 1967 bis 1970 als Mitarbeiter und Assistent an der grafischen Versuchswerkstatt und an der Salzburger Sommerakademie (Lithografie) tätig. Danach unterrichtete er drei Jahrzehnte lang (von 1970 bis 2000) am Bundesgymnasium und Bunderealgymnasium Bludenz. Von 1989 bis 2001 und von 2003 bis 2005 leitete er die Bludenzer Galerie allerArt (von 1992 bis 2001 in Zusammenarbeit mit Roland Jörg). Neben seinen zahlreichen Ausstellungen in Vorarlberg wurde sein Werk auch in Salzburg, Wien, Basel, St. Gallen, Düsseldorf oder New Orleans gezeigt. Zu seinen wichtigsten literarischen Publikationen zählen „Tische“ (1973), „Handschreiben“ (1987), „Pattstellung“ (1987), „sonders und samt“ (1997) und „Kunst zu lesen“ (2002). In den vergangenen Jahren litt der Kunst- und Literaturkosmos Ingo Springenschmid an Leukämie. Wobei er die Krankheit relativ gut im Griff hatte. Über die Jahre allerdings hat der Blutkrebs die Abwehrkräfte des Künstlers derart angegriffen, dass er gegen die nun akut gewordene Lungenentzündung nicht mehr bestehen konnte.