Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Thorsten Bayer · 31. Jän 2013 · Aktuell

Tipps aus Theorie und Praxis: Bindungsforscherin Fabienne Becker-Stoll referierte zum Thema „(Ur-)Vertrauen entsteht in der Kindheit“

Seit neun Jahren gibt es bereits die Veranstaltungsreihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfes. Heuer steht sie unter dem Motto „Geborgenheit, die Kinder durch das Leben trägt“. Wie Bindung im frühesten Kindesalter funktioniert, veranschaulichte die Psychologin Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll im ausgebuchten Foyer des Vorarlberger Medienhauses.

Der Begriff des Urvertrauens geht auf den Entwicklungspsychologen Erik H. Erikson zurück, der ihn in den 1950er-Jahren in die Literatur einführte. Demnach erwirbt der Säugling im ersten Lebensjahr ein Grundgefühl, welchen Situationen und Menschen er vertrauen kann und welchen nicht. Dieses Gefühl erlaubt dem Menschen, seine Umwelt differenziert wahrzunehmen und zu beurteilen. Der britische Kinderpsychiater John Bowlby definierte in den Folgejahren Urvertrauen als sichere Bindung. Sein Konzept der Bindungstheorie, das er gemeinsam mit der kanadischen Psychologin Mary Ainsworth entwickelte, beruht auf der Annahme, dass Menschen ein angeborenes Bedürfnis haben, enge Beziehungen zu Mitmenschen aufzubauen.

Systematisierung

Diese theoretischen Grundlagen stellte die Wissenschaftlerin ihrem Publikum in Schwarzach kurz vor. Mitunter schien sie es dabei etwas zu überfordern, wenn sie, der akademischen Lieblingsbeschäftigung der Systematisierung streng folgend, „Bindungsverhalten“ und „Explorationsverhalten“ als „grundlegende Verhaltenssysteme“ gegenüberstellte und sich anfangs etwas schwertat, gängigere Begriffe – für sehr wohl gängige Situationen – zu finden. Glücklicherweise ging sie nicht detailliert auf alle ihre Power-Point-Folien ein, wie z.B. jene zu unterschiedlichen Phasen der Bindungsentwicklung, die von „vorbereitender Anhänglichkeit“ (0 bis 3 Monate) bis zu „zielkorrigierter Partnerschaft“ (12 bis 36 Monate) reichten.

Dass sie diese Themen kompetent mit Inhalt hätte füllen können, steht außer Frage: Als Leiterin des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München (ifp) beschäftigt sie sich seit Jahren schwerpunktmäßig mit der Bindungsentwicklung von der frühen Kindheit bis zum Erwachsenenalter. Im Juni 2010 wurde sie von der deutschen Bundesfamilienministerin Schröder in die Sachverständigenkommission zum 8. Familienbericht der Bundesregierung berufen und im Juli 2010 in das Bundesjugendkuratorium.

Praxisbezug

Im Laufe des rund 50-minütigen Vortrages gelang es ihr immer besser, ihren ZuhörerInnen praktische Tipps mitzugeben. Ein Hinweis war ihr ganz wichtig: In den ersten Monaten sollten Eltern immer auf das Weinen ihres Kindes reagieren. Solch eine Reaktion sei eben kein Verwöhnen, wie landläufig oft zu hören sei. Im Gegenteil: Auf lange Sicht tun sich die Eltern damit selbst etwas Gutes, da dann die Kinder später weniger weinen. Und ein zweiter Tipp: Was tun, wenn das „Explorationsverhalten des Kindes aktiviert“ ist, es also gerade neugierig seine Umgebung erkundet und dabei auf gefährliche Sachen wie ein scharfes Messer stößt? Dann sind Eltern am besten beraten, wenn sie die Aufmerksamkeit ihres Kindes verlagern, indem sie ihm stattdessen z.B. einen Stift in die Hand drücken.

Aus dem Nähkästchen

Besonders aufmerksam war das Publikum, wenn die Professorin Anekdoten aus dem eigenen Alltag als Mutter erzählte. Dabei machte sie auf sympathische Weise deutlich, dass oft genug auch sie selbst – die renommierte Forscherin und Expertin in Bindungsfragen – mit ihrem Latein am Ende ist, keine Patentlösung hat. Nach dem Ende ihres Vortrages nahm sie sich noch eine halbe Stunde Zeit für Fragen aus dem Publikum.

 

Nächste Veranstaltung aus der Reihe „Wertvolle Kinder“
Mi, 6. März, 20 Uhr

„Spiel aus der Tiefe – heilend für Kinder“
Vortrag von Maria Luisa Nüesch, Kindergartenpädagogin,
Präsidentin des Vereins Spielraum – Lebensraum in Grabs, Schweiz

Vorarlberger Kinderdorf, Kronhalde Bregenz
Eintritt frei, Anmeldung empfohlen
Tel. 05574/4992-54, a.pfanner@voki.at
www.kinderdorf.cc