Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Peter Niedermair · 28. Jun 2014 · Ausstellung

„Zauberflötentiere“ - Eröffnung der Sommerausstellung bei ARTquer in der Frastanzer Felsenau

Peter Niedermair hielt am gestrigen Freitagabend folgende Eröffnungsrede.

Mit der Zauberflötenwelt des WolfGeorg und seiner Künstlerkumpel mäandern wir uns durch eine Unterwelt. Nicht eine wie es die Schneckenhöhle in Schönenbach im Bregenzerwald wäre, sondern eine, die mit Zerberussen übersät, den Weg über den Styx erschwert. Die Schrecken der Unterwelt halten uns in Schach, gleichzeitig jedoch beschützen sie uns. Beides in einem. In meinem Garten in Lustenau halte ich mir zahlreiche WolfGeorgsche wilde Tiere, aus Holz und aus Eisen. Die Katzen kümmern sich nicht darum, die Elstern und Krähen noch weniger. Niemand dachte sich etwas dabei. Nur ich werde manchmal zum Dogwalker und gehe mit den Hunden spazieren. Über Grenzen und weiter. Dorthin, wo die Wilden Kerle wohnen. WolfGeorg sagte mir eines Tages, vor Hunden musst du dich gar nicht fürchten. Stell dir einen großen Hund vor dein Zimmer, dann hast du deine Ruh.

Zauberflöte


Ehrlich gesagt, bei der Zauberflöte langweile ich mich meistens. Und wie das hier in der Ausstellung bei Erika Lutz in der Felsenau genau mit den präsentierten Objekten zusammengeht, habe ich bis heute Abend noch nicht wirklich ganz verstanden. Ich habe nur einen blassen Schimmer. Die Musik in der Zauberflöte ist das Thema, das im Zentrum steht. Die Tiere jedenfalls beruhigt das. Womit eine soziale Dimension sichtbar wird. Die bösen Tiere werden zufrieden und friedlich. Wenn man versuchen würde, mit jemandem, mit dem man streitet, nicht mit Worten zu streiten, wenn man also fluchte und vermaledeite, herrgottsacradi und dei und kruzineset, sondern sänge, würde der Streit nicht funktionieren. Das sagt Erwin Ringel, den wir in unserer Seele schon ziemlich fast vergessen haben. Leider. Nur wenn man den richtigen Ton findet, dann werden unsere Glocken Frieden läuten, sagt der Chef der österreichischen Seele. Denn durch die Musik werden die innersten Emotionen herausgeholt
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Die Musik Mozarts kommt aus dem Himmel


Wir sind noch immer in der zweiten Dimension, noch immer in der vertikalen, dass die Musik  etwas Göttliches ist. Im Schubert Museum in Hohenems lesen wir: „Die Musik Beethovens führt in den Himmel. Die Musik Schuberts kommt von dort.“ Das gilt auch für Mozart, füge ich jetzt mal hinzu. Zu den Wilden Kerlen sagt er: In der Zauberflöte gibt es nicht die Dimension Gut und Böse. Doch eigentlich sollte die Königin der Nacht die Gute sein und Zarasto der Böse. Das ist aber im Endeffekt nicht so, weil jeder von jeder Eigenschaft etwas hat. Ein altes jüdisches Sprichwort besagt, wer auch nur ein Menschenleben rettet, der verdient es, so belohnt zu werden, als hätte er die ganze Welt gerettet. Die drei Knaben auf der Mondsichel retten ihn, sie sagen „halt ein, oh Papageno, und sei klug, man lebt nur einmal, dies sei dir genug“.

Bei Hermann Hesse habe ich noch ein Gedicht entdeckt, „Die Zauberflöte am Sonntagnachmittag / Ringsum mich in der Wolke von Stank und Programmgeknister / saßen zufrieden die frohen Sonntagsphilister / Lobten das Stück und wandelten heimwärts / ich aber, der nicht Heimat noch Frieden kenne / der ich immer nur Dornen zu pflücken gewusst / irre flackernd umher in der Nacht und / renne alle Speere der Sehnsucht mir tief in die Brust.“ Damit sind wir nicht mehr im Gehirnkino der Zauberflöte sondern wieder bei den spitzen Zähnen der wilden Tiere von WolfGeorg. Doch bevor wir den Künstler durch die Beurteilungsschleuse von Kunst.Vorarlberg, wo er um Aufnahme ansuchte, schicken, sagen wir noch etwas zu den Wilden Kerlen.

„Wo die Wilden Kerle wohnen“


Das Bilderbuch von Maurice Sendak war 1963 sehr umstritten. Vorbehalte gab es vor allem wegen der Gewalttätigkeit der Bilder in der Geschichte. Max, der unbedingte Held der Kinderbuchgeschichte, zieht sich sein Wolfskostüm an und treibt allerhand Unfug. Seine Mutter nennt ihn einen wilden Kerl, worauf Max ihr entgegnet, er werde sie auffressen, wofür er prompt ohne etwas zu essen ins Bett geschickt wird. In dieser Nacht verwandelt sich sein Zimmer in einen Wald, er steigt in ein Boot und segelt „almost over a year“ über den Ozean. Dort kommt er in ein Traumland, wo die Wilden Kerle wohnen, große Monster, die er mit einem magischen Trick zähmt. Sie machen ihn zum König aller Wilden Kerle, woraufhin, so Max, das Spektakel beginnen kann. Die Wilden Kerle treiben es wirklich wild und bunt. Und gerade, als sie es sehr bunt treiben, ruft er: „Halt jetzt!“ und schickt sie ohne Abendessen ins Bett. Max, der König aller Wilden Kerle, war einsam und wollte dort sein, wo ihn jemand vor allen anderen liebte. Von weit her riecht er gute Sachen und entscheidet sich zurückzusegeln. Dorthin, wo die Suppe noch warm ist. Max, der Junge, ist die tapferste Figur, die ich kenne, und für meinen Enkel Nikolas zählt er zu den coolen Socken der Schöpfung.

Authentische Figuren?


WolfGeorg bewarb sich vor Kurzem um die Aufnahme bei  Kunst.Vorarlberg. Dort wurde dann die Frage gestellt, ob das, was WolfGeorg mache, denn authentisch sei, selbst gemacht, selbstständig. Kunst.Vorarlberg sei für Künstler, die aus eigenem Antrieb arbeiten und dies könnte man bei WolfGeorg nicht überprüfen. Sie sähen sich außerstande, das zu beurteilen. Eine solche Position ist beachtlich. Es ist so überraschend gar nicht welthaltig zu sagen, das seien keine eigenen Figuren. Ich dachte immer, seit James Joyce und Samuel Beckett sei man mit der Literatur doch auch Kunstverständnis ein ziemliches Stück weitergekommen. Mit dem Kulturwissenschafter Hans Ulrich Gumbrecht möchte man sagen, „Zieht euch die Hose hoch“, und „wir gehen jetzt weg". Das nämlich wäre eine durchaus denkbare Zusammenfassung der Entwicklung in der Kunst. Ich dachte bei mir selbst und hab das auch in den letzten Jahren seit der Öffnung in Vorarlberg nach Ilg und Kessler mit mehreren hier im Land diskutiert und beforscht. In diesem speziellen Fall war das Offensein für die Ankunft von etwas Neuem, etwas Anderem offensichtlich nicht sehr groß.

Eine Geste der Inklusion


Ich empfehle dringend und nachdrücklich, WolfGeorg nicht herzlich einzuladen, sich für eine Ausstellung zu bewerben, sondern ihn tatsächlich einzuladen. Man würde damit ein Zeichen setzen, eine Geste der Inklusion im Feld der Kunst. Das wäre nicht irgendeine humane Antwort auf ein Begehren, das Begehren aufgenommen zu werden, sondern ein Akt der Reflexion auf die Kunstgeschichte, so wie es uns Harald Szeemann für die Biennale in Venedig 1969 vorgemacht hat, mit einem Projekt namens The Museum of Everything. Das war wie ein Hieb ins Genick. Außenseiterkunst.

Szeemann hat diese Künstlerinnen und Künstler später auch auf die documenta nach Kassel eingeladen. Heute von „Außenseitern“ und „Behinderten“ zu reden ist schon mehr als überholt. Wenn man sich die Inklusionsleistungen etwa von „Integration Vorarlberg“, die jetzt im Oktober 25 Jahre Jubiläum feiern, näher ansieht, dann könnte man begreifen, dass die Außenseiterwelt schon längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. In der Kunstwelt Vorarlbergs offenbar noch nicht, in der Kulturpolitik werden wir, so bin ich guter Dinge, bald mehr erfahren.

Erika Lutz, das künstlerische Mastermind


Dieses Projekt hier in der Künstlerwerkstatt im früheren Gebäude der Türkischrotgarnfärberei der Firma Getzner, geleitet von Erika Lutz, Künstlerin und Schreinerin, sie ist das mentale Mastermind und künstlerisch-kreative Epizentrum dieser Werkstatt hier, ist nicht geeignet, um die Werke des WolfGeorg und seiner Kumpanen zu schubladisieren – aufzuteilen und hinüberzuschieben in die Sozialpolitik oder die Kulturpolitik. In Therapie oder Kunst aufzusplitten. Beide Ressorts mit ihren politisch Verantwortlichen und den Administratoren sollen sich einen Anschub geben, einen Kick, und begreifen, was hier abgeht. Die Prozesse sind eindeutig nachvollziehbar. WolfGeorg zeichnet, liest und sammelt Tierbücher, am liebsten Raubtiere, seit vielen Jahren auch Bücher über die ägyptische Mythologie, wo er sich besonders von dem mit einem Schakalskopf dargestellten Gott Anubis, Schutzherr der Gräber und der ägyptischen Totenbräuche, inspirieren lässt. Mit dem Zug fährt er vom Oberland ins Unterland, geht in die Landesbibliothek, lässt sich die entsprechende Literatur ausheben, paust und kopiert, wie das übrigens in der Kunst gang und gäbe ist. Seine liebste Beschäftigung sehen Sie hier. Aus Einzelteilen baut er Monster, Säbelzahntiger, mehrköpfige Dinosaurier, Wundertiere. Hier kann er sein kreatives Potential ausleben, mit seinen Phantasien und Energien, kann zeichnen und malen, Wundertiere aus Holz – mit ganz gefährlichen Zähnen und Klauen - zusammenfügen. Hier wird ihm Platz zur freien Entfaltung geboten. Hier dürfen die Tiere gefährlich aussehen, sie müssen für niemanden gefällig sein und adrett dreinschauen. Sie sind nicht so liebliche Monster wie jene auf der Bühne der Bregenzer Festspiele. Die sind nett. Und groß.

Das spielerisch Unbewusste


Georgs Tierskulpturen besitzen eine außergewöhnliche Mächtigkeit. Sie können Ängste überwinden, Furchtsame – wie mich – schützen, sie können Geister besiegen und sie können das Herz gegen die Feder wiegen. Von ihnen geht eine das Leben bejahende Energie aus. Die kommt unter anderem aus dem spielerisch Unbewussten. Seine auf den ersten Blick skurril anmutenden Verknüpfungen spiegeln seine Möglichkeiten des Hineinsehens in diese Welt. Georgs Kunstwerke pendeln nicht zwischen Kunst und Therapie. Sie sind das pure Leben an sich. Als Metaphern und Sinnbilder sind sie sehr persönlich und eigentlich intim. Als wilde Bestien und Phantome sind sie offen für das Unvorhersehbare. Sie erzählen Geschichten, wie jene von Maurice Sendak. Kinder stehen drauf, wie auf die Plattencover von Frank Zappa.

WolfGeorg entführt uns mit dieser Ausstellung, sein Manifest dazu lesen wir hier von Thomas, dem Sohn des Hauses, ein Technoalleskönner, an die Wand projiziert, in eine gesellschaftlich, historisch und künstlerische Welt von unglaublicher Vielschichtigkeit. Ich meine, jetzt am Ende meiner Überlegungen, der Titel der Ausstellung „Zauberflöte“ knüpft die Schnüre nach Bregenz auf die Seebühne, zur Oper von Wolfgang Amadeus Mozart aus dem Jahr 1791, zwei Jahre nach der Französischen Revolution, führt uns kulturgeschichtlich mit Jan Assmann ins Alte Ägypten, in die Zeitenwenden der großen Weltreligionen, in die Anfänge des Monotheismus, öffnet Türen zu Milos Formans wunderbarem Film und Peter Shaffers Theaterstück „Amadeus“. Forman, der aus der Tschechoslowakei stammende Filmregisseur, der erstmals 1975 bekannt wurde mit seinem Film "Einer flog über das Kuckucksnest", macht bevorzugt Filme über unangepasste Helden, meist Künstler, die sich dem Konformitätsdruck der Gesellschaft und ihrer Institutionen (und man muss nicht meinen, die Kunstvereinigungen seien fortschrittlicher als die anderen) erfolgreich oder erfolglos widersetzen. Der Titel dieser Sommerausstellung hier in der Werkstatt von Erika Lutz, passt für mich jetzt. Er steht für: Vielfalt und Offenheit. Federleichtigkeit und Witz. Charme und Schmäh. Mozart und WolfGeorg passen ideal zueinander. Man kann sie nicht einmal mehr nicht ignorieren. Uns lockt nicht alles, was süß ist. Aber ein Glas bei dieser sommerlichen Hitze. Danke für Ihre Aufmerksamkeit und meine ganze Anerkennung für Erika Lutz und ihr Team hier.

 

Zauberflötentiere
bis 1. August 
Mi/Sa/So 10 -16 Fr 18 - 20 
Ateliergemeinschaft ARTquer, Frastanz
http://www.artquer.at/

Jan Assmann: Die Zauberflöte. Oper und Mysterium. München, 2005.
Erwin Ringel: Unbewusst, höchste Lust. Oper als Spiegel des Lebens. Wien, 1994.