Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Karlheinz Pichler · 04. Okt 2012 · Ausstellung

Der Prozess ist die Kunst – Tue Greenfort im Kunstraum Dornbirn

Der dänische Künstler Tue Greenfort ist kein Weltverbesserer. Er hat auch keine Antworten zu den zentralen Fragen der Welt parat. Aber er zeigt mit seinen komplexen Installationen Defizite auf, stellt Fragen, verweist auf Ungleichgewichte, wie etwa zwischen dem Ressourcenverbrauch, der gierig nach Wachstum lechzenden westlichen Welt und der von Armut geprägten Dritten Welt, auf die Diskrepanzen zwischen Ökonomie und Ökologie. Nicht anklagend, aber subtil und ironisch. Dies belegt auch seine aktuelle Ausstellung „Eine Berggeschichte“ im Kunstraum Dornbirn.

Mit seinem Projekt „The Worldly House“ steuerte der dänische Künstler Tue Greenfort der diesjährigen Documenta in Kassel einen der interessantesten Beiträge bei. Greenfort richtete in einem hölzernen Pavillon, der vor 50 Jahren in einem Teich in der Kasseler Karlsaue für Schwarzschwäne erbaut wurde, ein Archiv ein, das von Künstlermaterialien, Texten, Büchern, Videos und Dokumentationen gespeist wurde und sich mit den Verbindungslinien zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen auseinandersetzte.

Auch bei seiner aktuellen Ausstellung „Eine Berggeschichte“ im Kunstraum Dornbirn geht der 1973 in Holbaek Geborene von der Geschichte und den Besonderheiten der Lokalität  aus. Der Kunstraum befindet sich nämlich in einer Montagehalle, die 1893 erbaut wurde, um Arbeitsprozesse zu rationalisieren. Ein Faktum mit zwei konträren Aspekten: Rationalisierung bedeutet einerseits den Abbau von Arbeitsplätzen, andererseits aber auch die Schonung von Ressourcen. Eine ideale Vorlage für den heute gleichermaßen in Berlin wie in Dänemark lebenden und arbeitenden Künstler, um ein filigranes Gedankennetzwerk entlang der Themenlinien Ökologie, Ökonomie,  Kunst und Naturwahrnehmung formal-bildnerisch umzusetzen.

Geodätische Kuppel

Im Zentrum der „Berggeschichte“ steht eine Rundarchitektur, die Greenfort den Plänen von Richard Buckminster Fullers „geodätischer Kuppel“ der 1967er Weltausstellung von Montreal im Jahre 1967 nachempfunden hat. Buckminster Fuller wollte seinerzeit mit möglichst wenig Ressourcen eine möglichst funktionale Struktur erzeugen. Eine Idee, die dann rasch auch von den Hippies aufgegriffen wurde. Greenforts „Kuppel“ wird statisch getragen von einem wabenartigen Geflecht aus Aluminiumstangen. Die Außenhaut wird von den zerschnittenen Werbeplanen eines internationalen Bekleidungskonzerns mit zwei Buchstaben gebildet. Es ist die Zweitverwertung eines weggeworfenen Materials. Die Idee zur „geodätischen Kuppel“ kam dem Dänen bereits vor fünf Jahren. In der Dornbirner Montagehalle fand er nun den Ort der Realisierung. Das Modell zur Erstidee Greenforts steht direkt vor der Großkuppel: Eine Leichtbau-Zeltkonstruktion nach einem Vorbild von Otto Frei aus dem Jahre 1957. Auch bei „Tent“ (2007) geht es darum, mit spartanischen Mitteln wie Stangen, Seilen und Wegwerfmaterial Raum für Menschen zu schaffen.

Für einmal ist der Kunstraum keine Zone der Stille. Denn Greenfort hat im Außen- wie auch im Innenraum Mikrofone platziert, von denen aus Geräusche der Natur und der Menschen in ein Computersystem gespeist werden. Bearbeitet mit einem Audiofilter werde die Töne per Zufallsgenerator als Klangteppich in den Ausstellungsraum zurückgeworfen. Natur und Menschen werden gleichsam „vertont“ in den Raum getragen.

Wenn der Holzwurm zum Zerfall lädt

Unter einer vertikal im Raum stehenden Glasglocke ist ein Holz-Strunk auszumachen, der langsam von Holzwürmern zerfressen wird. Mit dieser als „Conservation“ bezeichneten Arbeit stellt  der Däne gewöhnliche Gedankengänge auf den Kopf. Das Holz wird nicht etwa imprägniert und vom Verfall geschützt, sondern im Inneren der an eine Standuhr erinnernden Glashaube tickt der Zeiger der Vergänglichkeit.

Schnaps ist Energie

Ebenfalls ein Memento Mori, aber mehr noch eine diskrete Mahnung ist die Arbeit „Untitled“ (2010). In einer Flasche sind 10 Liter reiner Alkohol eingefüllt, den man in kleinen Dosen entnehmen und in einer dafür vorgesehenen Schale verbrennen kann. Die 10 Liter markieren exakt den durchschnittliche Alkoholverbrauch eines Österreichers pro Jahr. Der Becher mit dem der Alkohol umgeschüttet werden kann, soll bewusst machen, das der Mensch pro Tag mindestens 1.800 Kilokalorien zum Leben benötigt, was wiederum 25,7 cl Alkohol entspricht. Der UN-Statistik zufolge leiden weltweit 915 Millionen Menschen an Hunger. Für sie bleiben diese 1.800 Kilokalorien unerreicht.

Greenfort zeigt, was Sache ist. Wobei es ihm nicht um das einzelne Objekt geht, sondern um Zusammenhänge, um die Abbildung von Prozessen.

Tue Greenfort: "Eine Berggeschichte"
Kunstraum Dornbirn
Bis 4. November 2012
Di-So 10-18
www.kunstraumdornbirn.at