"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Karlheinz Pichler · 18. Dez 2014 · Ausstellung

Dies und jenseits der langen Mauer - Ruth Schnell in der Bludenzer Galerie allerArt

Als die Berliner Mauer 1989 niedergerissen wurde, fiel mit ihr eine zentrale Metapher für das Ein- und Aussperren von Menschen und Völkern. Leider fand dieser Mauerfall kaum Nachahmung. Heute gibt es zwischen den Nationen mehr Mauern und Zäune als je zuvor. Genau dieses unsägliche und inhumane Mauer(un)wesen nimmt Ruth Schnell in ihrer Ausstellung "Do not cross" in der Bludenzer Galerie allerArt in brillianter Umsetzung unter die Lupe.

Die DDR nannte ihre Mauer seinerzeit zynisch „anti-faschistischer Wall”, als ob „faschistische Westdeutsche“ in das „sozialistische Paradies“ stürmen wollten. Als die Mauer 1989 fiel, fiel mit ihr auch der Eiserne Vorhang, was das Ende des Kalten Krieges bedeutete. Die Grenzen öffneten sich, West- und Osteuropa waren miteinander verbunden. Eine bedeutungsschwangere Metapher für das Ein- und Aussperren verlor ihre Sinnhaftigkeit. Wer aber hoffte, dass dieser Niederriss einer Schranke, deren Überwindungsversuche auf Seiten der DDR viele Todesopfer forderte, für andere Teile der Welt beispielgebend sei, sieht sich getäuscht. Noch nie gab es so viele Mauern, Zäune und Stacheldraht zwischen Nationen und Völkern wie heute. Erinnert sei etwa an den 2720 Kilometer langen  und mit Minen und Stacheldraht „gesicherten“ Sandwall entlang der Grenze des von Marokko besetzten Teiles der Demokratischen Arabischen Republik Sahara, die 1976 von der Befreiungsbewegung Polisario ausgerufen wurde. Oder die „Barriere“, die Südkorea von Nordkorea trennt. Oder der elektrische Zaun entlang der Grenze von Botswana zu Zimbabwe, der Flüchtlinge ethnischer Säuberungs-Massaker fernhalten soll. Oder die saudiarabischen Barrieren gegenüber Jemen und dem Irak. Oder die Zäune, Mauern und Barrieren auf Zypern, zwischen Thailand und Malaysien, zwischen Usbekistan und Tadschikistan, zwischen Kuwait und Irak usw.

Do not cross

Die in Wien lebende und arbeitende Vorarlberger Künstlerin Ruth Schnell, die als habilitierte Universitätsprofessorin die Abteilung „Digitale Kunst“ an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien leitet, hat sich diesem Thema der Ein- und Ausgrenzung mit einer für ihr Schaffen typischen Methodik angenähert. Mit dem Computer ist sie alle möglichen Grenzmauern, die über Google Streetview handhabbar sind, virtuell nachgefahren und hat entsprechende Videoaufzeichnungen angelegt. In der aktuellen Ausstellung mit dem sprechenden Titel „Do not cross“ installierte Schnell drei Beispiele solcher Abschotungsversuche zwischen Ländern und Völkern. So die zynischer Weise als „Friedensline“ bezeichneten Zäune und Mauern in Belfast, die die Stadtteile pro-irischer Katholiken von denjenigen pro-britischer Protestanten trennen. Trotz des offiziellen Friedensabkommens von 1998 gibt es dort noch immer an die 100 Barrieren, die angeblich vor Anschlägen schützen und Sicherheit gewähren sollen.

Das zweite Beispiel betrifft Israel, wo die Armee seit 2003 an der Grenze zum Westjordland Sperrzäune und bis zu zehn Meter hohe Mauern errichtet. Dem aus Jerusalem bloggenden Ulrich Sahm zufolge werden Pilger und Touristen auf dem Weg zur Geburtskirche in Bethlehem mit einem 10 Meter hohen Plakat an der Mauer mit dem Spruch: „Friede sei mit Euch” begrüßt. Nicht minder geschmacklos seien Graffiti, mit denen „Künstler” die Mauer schmücken. Neben meterhohen Portraits von Arafat gebe es praktische Hinweise wie „Hier die Bombe ansetzen” oder „Gott wird die Mauer zerstören”. Palästinensische Geschäftemacher sollen sich Liebesverse und Protestparolen zuschicken lassen und diese gebührenpflichtig auf die graue Betonmauer spritzen. Die Mauer machte den ehemaligen palästinensischen Ministerpräsidenten Ahmad Qureia offenbar zum Multimillionär. Er lieferte den Zement für die 10 Meter hohen Segmente.

Mit dem dritten „Do not Cross“-Beispiel verweist Ruth Schnell auf die circa 3100 Kilometer lange Grenze zwischen den USA und Mexiko, von der bereits ein Drittel mit Zäunen, Mauern, Stacheldraht oder Pfostenreihen befestigt ist. Drogen- und Waffenschmuggel, Bandenkriminalität, vor allem aber illegale Einwanderer sollen mit der US-amerikanischen Maßnahme vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten ferngehalten werden.

Die Mauer als 3-D-Modell

Die auf digitale Medienkunst spezialisierte Schnell zeigt diese drastischen Grenzziehungen anhand zweier Video-Wandprojektionen, die links und rechts einer Ecke im Ausstellungsraum parallel zueinander abgespielt werden. In der einen Projektion wird jeweils immer die Zaun- respektive Mauerseite ins Bild gesetzt, während im zweiten Video zu sehen ist, was sich jeweils auf den der Mauer abgewandten Seiten in Jerusalem und Palästina, in Belfast sowie USA und Mexiko befindet.

In einer weiteren Arbeit hat Ruth Schnell, die 2001 mit dem Internationalen Vorarlberger Kunstpreis ausgezeichnet wurde, das Bollwerk zwischen Mexiko und den USA als Modell mit Hilfe des 3-D-Print-Verfahrens nachgebaut. Kleine Kunststoffmodule, die ein wenig an Duplo-Spielzeug erinnern, hat sie in so großer Stückzahl im 3-D-Verfahren ausgedruckt, dass sie die Grenzlinie im ungefähren Maßstab auf einer Breite von vier Metern an der Wand skulptural abbilden konnte. Analog zur Google-Earth-Perspektive erscheint es dem Betrachter aufgrund seines Blickwinkels, als ob er von oben auf das „Zaun-Relief“ blicken würde.

Ergänzt wird die in der technischen Umsetzung beeindruckende Ausstellung von zwei C-Prints zu diesem Thema sowie einem LED-Stab-Objekt, das mit 300 Begriffen, Wörtern und Textfragmenten über das Ein- und Ausgrenzen „geladen“ ist. Geht der Betrachter an so einem Stab vorbei, so schiebt sich plötzlich für den Bruchteil einer Sekunde ein mit Licht geschriebenes Wort ins Bewusstsein. Die Künstlerin macht sich bei diesen LED-Stäben, an denen sie seit anfangs der 1990er arbeitet, die Trägheit des menschlichen Auges zu Nutze. Die Fotorezeptoren der Netzhaut können Einzelbilder mit einer Taktung von mehr als etwa 20 Bildern pro Sekunde nicht mehr getrennt auflösen. Worte oder Wortteile werden aufgrund des Nachzieheffektes sozusagen „en passant“ wahrgenommen. Und letztlich zeigt die Künstlerin mit "Verletzende Muster" noch einen UV-Print auf Alu-Dibond, der unterschiedlichste Stacheldrahtvarianten visualisiert, die sie einem entsprechenden Katalog entnommen hat.

Im Prinzip reiht sich "Do not cross" nahtlos in frühere Ausstellungen ein, anhand derer Ruth Schnell die heute noch gängigen Territorialvorstellungen ad absurdum führt. Als Beispiel sei etwa die Arbeit "Territorism" aus dem Jahre 2002 erwähnt, als sie eine Hand, die einen Spielzzeugpanzer umklammert, als Videoprojektion die Glashaut des Kunsthauses Bregenz "abtasten" ließ. Einerseits redet heute alles von Globalisierung und Öffnung, andererseits beherrschen nationalistische Bestrebungen und territoriale Abgrenzungsstrategien an vielen Orten der Welt das politische und mediale Geschehen wie kaum jemals zuvor.

Ruth Schnell: Do not cross
Galerie Allerart, Remise Bludenz
Bis 11.1.2015
Mi-So 15-18
www.allerart-bludenz.at