Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Karlheinz Pichler · 03. Mai 2015 · Ausstellung

Grafische Strukturen über adaptierten Materialien - Michael Mittermayer im Kunstraum Pettneu

Der Grafiker und Künstler Michael Mittermayer arbeitet zumeist seriell und in groß angelegten Zyklen. Der Kunstraum Pettneu zeigt in seiner aktuellen Ausstellung Ausschnitte aus drei Werkreihen, in denen Mittermayer angeeignete Fotografien und Drucke mit eigenen Grafikstrukturen überlappt.

Eines der markantesten Bilder, das von der Schweizer Expo 2002 in Erinnerung geblieben ist, ist der gigantische, rostige, begehbare Monolith, den das Architekturbüro Jean Nouvel damals einfach in den Murtensee gestellt hatte. Dieses Bild drängt sich einem wieder ins Bewusstsein, wenn man etwa eine spezielle von Michael Mittermayer bearbeitete Fotografie des Gardasees betrachtet, die im Kunstraum Pettneu neben vielen anderen Arbeiten zu sehen ist. In eine Originalaufnahme, die um 1900 entstanden ist, hat der aus dem Tirol stammende Künstler, der bereits seit vielen Jahren im vorarlbergischen Bings lebt und arbeitet, hier ein monumentales Gebilde ins Wasser collagiert, das fast die Höhe der hinter dem Ufer aufsteigenden Bergkette erreicht. Auch wenn man fühlt, dass von den Größenverhältnissen etwas nicht stimmen kann, merkt man erst auf den zweiten oder dritten Blick, dass hier der Künstler eine Intervention vorgenommen hat. Erst auf den zweiten oder dritten Blick deshalb, weil das Gebilde, das auch an einen überdimensionalen Ballon erinnert, der gelandet sein könnte, eng mit dem Hell der Felsen im Hintergrund oder dem Weiß der Wolken am Himmel korrespondiert.

Subtile und gravierende Eingriffe


Es ist eine für Mittermayer typische Arbeit, an der sein strategisches Vorgehen ablesbar ist. Nämlich der Versuch, ein gefundenes oder erworbenes Foto, Drucke aus Büchern und Zeitschriften oder auch eigene Fotografien aus ihrem ursprünglichen Kontext herauszulösen und durch einen künstlerischen Eingriff, sei dies nun eine collagenhafte Überklebung, eine Übermalung mit Deckweiß oder eine linerare Betonung einzelner Details mit Tusche oder Edding-Stift des im Bild Vorhandenen, mit einer neuen Ebene zu überlagern und anzureichern. Manchmal sind diese Eingriffe sehr subtil und nur sehr schwer auszumachen, dann wieder sind sie gravierend und eine vorliegende Bildordnung, eine von der Natur vorgegebene Struktur, erhält eine völlig neue grafische Struktur, die oft nach geometrischen Grundsätzen verläuft. Das geordnete Chaos der Natur wird gleichsam von der Geometrie der Künstlichkeit überlagert.

Michael Mittermayer ist ein Sammler und Archivar. Vor allem Fotografien, aber auch Druckwerke wie etwa alte Landkarten, die aus dem Schuldienst ausgemustert wurden, haben es ihm angetan. Er sammelt also keinen Müll, sondern interessante Dinge, die für viele aus irgendwelchen Gründen überholt und nicht mehr aufbewahrungswürdig erscheinen. Es sind eigentlich Pretiosen, kleine Prachtstücke, Raritäten, an die er auf irgendwelchen Wegen gerät und die er in sein großes Archiv aufnimmt. Jeder dieser kleinen Schätze hatte zu seiner Zeit eine ganz bestimmte Funktion und Bedeutung. Der Bings-tirolische Künstler löst die einzelnen Exponate durch seinen Eingriff aus dem ursprünglichen Kausalzusammenhang und eröffnet durch seine Intervention neue Sichtweisen und Ebenen.

Der Künstler arbeitet auch ausgeprägt seriell. Hat er ein Motiv gefunden, dann bearbeitet er dieses fast exzessiv, bis möglichst alle Möglichkeiten in Bezug auf Form und Technik durchgespielt sind. Auch in Pettneu wartet Mittermayer mit Serien auf. Serien, für die ebenfalls Fremdmaterial den Ausgangspunkt bestimmt. Konkret sind es drei Zyklen, an denen er seit Längerem arbeitet und von denen er hier auserwählte Beispiele präsentiert.

Aus Alpenvereinsjahrbüchern


In einem Komplex bearbeitet Mittermayer Abbildungen aus Alpenvereinsjahrbüchern. Alpenvereinsjahrbücher sind etwas ganz Spezielles. Den Herausgebern, dem Österreichischen und Deutschen Alpenverein, haftete seit jeher Heimatdünkelei und Konservativismus an. Der Deutsche und Österreichische Alpenverein, seit dem Anschluss Österreichs im März 1938 nur noch Deutscher Alpenverein genannt, wurde durch die Alliierten, aufgrund seiner nationalsozialistischen Ausrichtung unter seinem Führer Arthur Seyß-Inquart, 1945 denn auch verboten. Der seit 1938 durch die Gleichschaltung nicht mehr eigenständig in Erscheinung tretende Österreichische Alpenverein wurde allerdings noch im gleichen Jahr, also 1945, neu gegründet, der Deutsche Alpenverein durfte sich hingegen erst 1952 neu konstituieren. Inhaltlich stellen die Alpenvereinsjahrbücher eine Mischung aus wissenschaftlichen Abhandlungen, Reiseberichten aus aller Welt, Volkstum und auch Anekdoten und sie enthalten jede Menge Abbildungen von Bergen, von den Alpen bis zum Himalaya. Und gerade diese Berge mit ihren vielfältigen Strukturen und Linien sind es, die den Künstler besonders herausfordern. Mit Hilfe einer Zeichenschablone schreibt er diesen formale Geflechte ein, die sich an geometrischen Grundformen wie etwa Kreissegmenten entlanghanteln. Eine schöne Polarität ist speziell dann gegeben, wenn es sich bei den Abbildungen um Nachdrucke von Gemälden handelt, die ein englischer Bergmaler gefertigt hat.

Anzumerken gilt noch, dass die Vorlagen Mittermayers aus älteren Jahbuchausgaben des Alpenvereins stammen, nämlich aus den Jahren 1914 und 1916.

Lala Aufsberg


Der zweite Werkkomplex, den Mittermayer im Kunstraum Pettneu mit einigen Beispielen anreißt, basiert auf einem Konvolut von Fotografien, die der Künstler vom Frauenmuseum Hittisau erhalten hat. Die Fotos stammen von der aus dem Allgäu stammenden Fotografin Lala Aufsberg, die von 1907 bis 1976 gelebt hat, und die laut dem zur Philipps-Universität Marburg gehörenden „Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte“ zu den bekanntesten Kunstfotografinnen der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland zählt. Aufsberg war bereits unter dem Nationalsozialismus fotografisch aktiv und ist entsprechend NS-belastet. In den Jahren 1937 und 1938 etwa dokumentierte Lala Aufsberg die Reichsparteitage in Nürnberg. Ihren ersten künstlerischen Auftrag erhielt sie in den Jahren 1941/1942, bei dem sie die Wandmalereien in Kirchen und Klöstern Kärntens fotografierte und in einem weiteren Auftrag die der Steiermark. Inhaltliche Schwerpunkte ihres Schaffens wurden in der Folge Süddeutschland, Österreich, Italien, Griechenland und Ägypten. Ihr Werk umfasst insgesamt rund 100.000 Aufnahmen. Neben den Kunstaufnahmen stammen viele auch aus den Bereichen Reportage-, Porträt- und Landschaftsfotografie. Sie fotografierte auch in Graubünden, Tirol und Vorarlberg. 1941 dokumentierte sie die Landschaften des Bregenzerwaldes. Genau aus dieser Bereisung resultieren auch die Abzüge, die Mittermayer vom Frauenmuseum erhalten hat. Die Fotografien Aufsbergs wurden in über 500 Kunstbüchern publiziert. Ihren Dokumentarfotografien haftet ein fast puristischer Impetus an. Was sie wiederum besonders gut für die Eingriffe Mittermayers erscheinen lassen.

Der Künstler hat in die Fotografien Aufsbergs teils eigene Fotostreifen eingearbeitet. Auch hier eröffnet sich erst beim zweiten Blick die gestalterische Intervention Mittermayers in das ursprüngliche Bild in seinem gesamten Ausmaß.

Die künstlerische Auseinandersetzung mit den Vorlagen aus den Alpenvereinsvorlagen sowie Lala Aufsberg ist letztlich auch ein Nachdenken darüber, wie man mit solchen Materialien heute umgehen könnte.

Der Gardasee


Eine weitere Fotoschenkung hat Michael Mittermayer von einer Bludenzer Buchhandlung erhalten. Es handelt sich dabei um Fotografien vom und um den Gardasee, zu denen auch das eingangs geschilderte Bild des Monolithen gehört. In der Art, wie er etwa den Uferpfeilern des am südwestlichen Gardasee gelegenen Städtchens Salò bäumchenartige grafische Liniengeflechte aufpfropft, zeugt von einem besonders einfühlsamen und minimalen Umgang mit dem Ursprungsfoto.

Bei den Überarbeitungen der adaptierten Materialien geht Mittermayer grundsätzlich mit kleinen, zarten, einfühlsamen Gesten vor. Nur manchmal legt er die Zurückhaltung ab und weitet die Interventionen so weit aus, dass das Darunterliegen völlig überdeckt wird. Diesen „Ausschweifungen“ folgt aber die Rückbesinnung auf die kleine Setzung auf dem Fuß. Der Künstler nimmt sich also zurück und lenkt den Blick auf die kleinen, kaum wahrgenommenen Dinge. Einmal entstehen so symmetrische Konstrukte, die die Bildvorlagen überzuckern, ein anderes Mal spielerische Kabinettstücke. Auf die Frage, ob seine Ordnungssysteme mehr Charakterzug oder künstlerische Strategie seien, antwortet Mittermayer einmal: „Sie sind für mich gleichzeitig Ergebnis und Arbeitsweise“.

 

Michael Mittermayer
Kunstraum Pettneu
Bis 26.5.2015
Do, Sa 17-20, So 15-17
www.kunstraum-pettneu.at