Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Peter Niedermair · 17. Mai 2014 · Ausstellung

Richard Bösch – "Nebenstellen" im milK_Ressort, Göfis

Die folgende Eröffnungsrede hielt Peter Niedermair am 16. Mai 2014.

Der erste und der letzte Satz

seien das wirklich Schwierige, schreibt er. Richard Bösch wuchs an der Grenze auf. Hohenems-Diepoldsau. Sein Vater ist Zollamtsleiter. In einer Zeit, wenn Kinder erstmals imstande sind, Fragmente von Ereignissen als Bildstücke zu erinnern, nimmt er 1945 als bald Dreijähriger Fetzen und Bildersplitter auf. Das Zollhaus. Die Grenze. Die Uniformierten. Er kennt die Zöllner- und Fluchtwege, auf denen Juden und Jüdinnen in die Schweiz flohen, bis der St. Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger, der vor dem 2. Weltkrieg bis zu 3.000 Juden das Leben durch Vordatierung der Einreisevisa oder Fälschung von Dokumenten, abberufen worden war. In dieser frühen Kindheit wird ein archaisches Inventar verschiedenster Bilder und Erfahrungen grundlegt. Das Pferd. Die Mutter. Der Vater. Der Lebensmensch. Musik, die ihn berührt. Melancholie als Lebenserfahrung. Stille. Franz Peter Schuberts Adagio. Visualisierende Musik. Doch was berührt, was berührt so stark? Der Wechsel, die Brüche von Dur zu Moll. In das Leben und für das Leben eingeschriebene Erfahrungen. Sie weisen voraus auf einen Grundzug im Werk von Richard Bösch, auf den Respekt vor dem Geheimnis. Sie erzeugen eine Aura. In jeder Zeit tauchen sie als jeweils andere Fragen auf, stehen für etwas anders, doch stellen wiederholt dieselbe ähnliche Frage: Wo und wie empfindet man? Wodurch wird es nicht banal? Was macht die Oberfläche zu einer untoten Fläche? Denn was bleibt, ist in der Malerei eigentlich, wie bei Heiner Müller, der Traumtext, die Metaphysik der Oberfläche. Die Hautlichkeit als Leinwand für die Ideen des Numinosen, des Geheimnisvollen. Sie wird zur Grenze des Innen und Außen.

Die Magie der Oberfläche

Aus den Reservoiren, den Speichern des Erinnerten, das sich ständig neu organisiert, lässt der Künstler Richard Bösch auch im Leben seiner Bilder wiederholt Fragmente dieser Archaik auftauchen. Wie das Pferd, an einem Wintertag, das auf der eisig gefrorenen, leicht abwärts sich neigenden Straße zu Sturz kommt und dessen Blut aus der aufgeschürften Hautwunde, das in die Unterfläche gedrungen war, langsam aus den untiefen Schichten an die Oberfläche tritt. Hier wird die existenzielle Kunst des Richard Bösch magisch. Magisch und dennoch bleibt sie ein Stück weit fremd, nur existenziell fremd, anders, weil nicht vereinnahmend, nur fremd, weil die Oberflächen die Erinnerungen bebildern. Wie das Fremde, wie Barbara, die Fremde. Wie „Der Fremde“, dem 1939 niedergeschriebenen, 1944 veröffentlichten Roman von Albert Camus, der schon mit zweiundzwanzig Jahren in sein Tagebuch notierte „Man denkt nur in Bildern“.

Camus ist ein sprödes Gegengift

Der Unbeheimate, wie Camus sich selbst in seiner kleinen Prosa „Der Künstler und seine Zeit“ sieht, ihm wird wie seiner späteren Hauptfigur Meursault in dem Roman „Der Fremde“ klar, dass er „das Gleichgewicht des Tages zerstört hatte, die außergewöhnliche Stille eines Strandes“, an dem er „glücklich gewesen war“. Und so verwundert es in den Häusern der Gedächtnisse nicht, dass Richard Bösch näher bei Camus als bei Sartre ist, bei Camus, weil dieser die Blöße des Menschen dem Absurden gegenüber existenziell beschreibt. Bei Jean Paul Sartre ist es anders. Sein „Huis Clos“ - „Geschlossene Gesellschaft“ - mit dem zentralen Motiv L' Enfer c'est les autres“ - „Die Hölle, das sind die anderen“. Das Stück, das im Mai 1944 in Paris uraufgeführt wurde, - macht das Außen sicht- und spürbar, mitunter absurd in seinen Formativen und Gesten, in der gesellschaftlichen, außerkünstlerischen Wirklichkeit der Künstler, sowie deren organisierten Gefäßen und Institutionen und Selbstinszenierungen. Vorarlberg lässt grüßen. Wenn man sich an den letzten Mittwochabend, an das Gespräch zwischen Richard Bösch und Ingrid Adamer, nach dem sehr schönen Filmportrait im vorarlberg museum erinnert, weiß man, wer gemeint ist. Und es gäbe noch etliche andere zu nennen. Sartres Stück ist zwar sein bekanntestes Drama geblieben, doch es ist literarisch gesehen, wie seine Kritiker sagen, eine „philosophische Kopfgeburt". Richard Bösch hingegen und sein Werk sind, wie gesagt, näher bei Camus, bei Ödön von Horvath, Joseph Roth und Stefan Zweig denn bei Bert Brecht oder Sartre. Eben unbeheimatete, wie die erwähnten Autoren und deren Figuren.

Die Potentiale des Nicht-Affirmativen

In diesem eingangs erwähnten Brief an Gertrud Weber in Batschuns vom 30. Juli 1999 schreibt Richard Bösch, er habe „das lächerlich gewordene soziologische Bild des Künstlers verlassen“. Ich nehme an, weil die Diskurse über die Kunst und das Leben, gerade in Vorarlberg, nicht weil es hier provinzieller wäre als anderswo, wie man bei Thomas Bernhard nachlesen kann, in Wien in den 1980er Jahren nicht viel anders, nicht weil die Diskurse hier seicht wären, sondern weil sie nicht wirklich und eigentlich stattfinden; auch weil es in diesem Land wenig bis keine substanziellen Auseinandersetzungen über die Konfliktfelder der Kunst und Kultur gibt. Auch in der Kulturpolitik. Nach dem Mai 1945 machten sich Ulrich Ilg und Herbert Kessler die Kultur zur Chefsache, offensichtlich weil man sich ein Stück weit bewusst war, dass dort die – wie man es heute im Newspeak nennt – Potentiale des Nicht-Affirmativen zu finden wären. Die darauf folgenden Landesräte für Kultur waren dann potentiell und auch realiter liberaler. Manches hat sich verändert in diesem Land, ich sage, musste sich verändern, weil man einen so genannten „soften“ Anteil an den Standortfaktoren für die exportorientierte vorarlbergische Wirtschaft brauchte, benötigte. Ein Schlüsseltext zum Kulturleben dieser Jahre in Vorarlberg ist ein Gedicht über ein Kind, das vom Heuwagen fällt. Der Text repräsentiert eine Zäsur in der grundsätzlichen gesellschaftspolitischen wie kulturpolitischen Orientierung, einen Paradigmenwechsel.

Vom heuwaga aha

vom heuwaga aha
ischt era a kind trolat
sie heat’s packt
i kuchi iniglet
ma heat glei gseacha
dass do nünt me goht
denn hond sie witr abglada
ma heat a dem obad
a weattr gfürchtat

Dieser Paradigmenwechsel zeichnete sich insbesondere in der Dialektliteratur ab und ist in diesem Genre besonders mit Elisabeth Wäger Häusle, der Autorin des Gedichts, verbunden. In diesem lyrischen Text treffen wir auf eine ländlich-bäuerliche, auf sich bezogene Idylle, die jedoch keine geschlossene Welt mehr darstellt. Durch den tragischen Unfalltod des Kindes ist diese Idylle gebrochen, auch wenn der Text nach dem eingangs angedeuteten Ereignis „ischt era a kind trolat“ – sinngemäß: ist ihr ein Kind heruntergefallen - fortfährt, nachdem man bemerkte, dass „nünt me goht“, dass man nichts mehr tun kann, weil das Kind an den Folgen des Sturzes gestorben war.

In seinem bereits zitierten Brief an Gertrud Weber schreibt Richard Bösch, „die Vorgänge in der Kirche und die in der sogenannten Kulturszene sind aber allgemein solcherart“, dass es ihn „nicht inspiriere“, dass ihm „nur Polemisches einfallen wolle“ und dass er „seine reifen Jahre nicht mit Negativem und Negationen verbringen“ wolle. Dennoch ist er einer der ganz bedeutenden Künstler in diesem Land. Und ich kenne keinen wie ihn. Ein Kunstmaler, dessen Sehnsüchte nach Leichtfüßigkeit in einer tiefen emotionalen Sensibilität für die Oberfläche sichtbar werden. Für Muster, als wären sie Visualisierungen von Mathematik, kybernetischen Systemen und Netzwerken. Alles ist Muster. Doch, was macht es aus, dass dieses Muster übers Dekor hinaus geht? Wie entsteht der Blick für das Wiederfinden der Natur in der Natur, das Wiederfinden des Menschen im Menschen, gegen jede Ökonomisierung des Lebens in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Was bleibt?

Die Bilder Richard Böschs. Ich sehe das hier an diesem Ort. Ich sehe das in seinem Atelier in Hörbranz. Ich sehe das in Lustenau. Seit dreißig Jahren hängen Bilder von Richard Bösch in unserem Haus. Frühe Arbeiten noch von der Akademie. Schultern und Achselhöhlen, sagte er mir damals, doch es könnten auch andere Figurative sein. Oder aus 1992 der „Entwurf zum ‚Ei des Kolumbus‘ für Bischof Kräutler“, das er mir zum „Gang nach Amerika“ schenkte. Oder das schwarz-blaue Großformat, das er uns am Spielboden anlässlich der Grazer Autorenversammlung 1988 für die Anthologie österreichischer Gegenwartsliteratur „Angst – Antrieb und Hemmung“ gab. Oder jüngste Arbeiten, wie eine kleinformatige aus der Ausstellung in der Galerie Hollenstein vor ein paar Jahren, die neben Gäge Klockers Foto mit dem Mann, der mit seinen Füßen am Strand knöcheltief im Wasser steht, in der Bibliothek hängt. Richard Böschs künstlerische Arbeiten bleiben, das sagen viele, u.a. auch Claudia Högler, die nach dem Gespräch mit Ingrid Adamer im Vorarlberger Landesmuseum vor ein paar Tagen sagte, „der Richard ist sich treu geblieben“.

Seine Bilder, gerade die hier ausgestellten, von Harald Gfader und Christine Lingg vom milK-Ressort, hier, wo man früher Straßensalz einlagerte, so wunderbar gehängt, verweisen auf das Grundkonzept des gastgebenden Vereins. Diese Ausstellung, die siebte im 2. Jahr seit der Gründung, will an dieser, offensichtlich ironisch gemeinten, „Nebenstelle“ nicht das Angesagte, will keine künstlerisch biographische Aufarbeitung präsentieren, sondern - wie in diesem Fall - auf einen Künstler hinweisen und dabei der Frage nachgehen, was seine Spröde ausmacht, seine Empfindsamkeit, was prägt ihn, was macht den Künstler aus? Diese „Nebenstelle“ im Göfner Agasella, ein Ort zwischen „Miniaturkunstraum und Katakombe“, wie sie Ariane Grabher in der heutigen Tageszeitung nennt, ist an sich ein Ort der Entschleunigung. Und die Intimität der Bilder von Richard Bösch könnte nicht größer sein. Sie zeigen das Zerbrechliche, das latent Fragile der menschlichen Existenz, sie sind Artikulationen des Innenlebens, die auf manchen Bildern, die alle zwischen 2008 und 2014 entstanden sind, mit einer verdichteten, eingespachtelten Oberfläche in einer zum Teil majestätischen Schwergewichtigkeit und Oberflächenhärtung hängen, die dennoch das leichte Spiel zeigen, ein Spiel, das in seinen schlierenartigen Spuren und Schichtungen das Schiller’sche Diktum der „Briefe zur Ästhetischen Erziehung des Menschen“ von 1794 spiegelt: „Der Mensch ist nur dort ganz Mensch, wo er spielt.“ In diesen Briefen setzt sich Schiller mit der Ästhetik Immanuel Kants und mit dem für ihn, wie auch für Goethe und Hölderlin enttäuschenden Verlauf der Französischen Revolution auseinander und erläutert im 9. Brief die Person des Künstlers. „Der Künstler ist zwar der Sohn seiner Zeit, aber schlimm für ihn, wenn er zugleich ihr Zögling oder gar ihr Günstling ist. Eine wohltätige Gottheit reiße den Säugling beizeiten von seiner Mutter Brust, nähre ihn mit der Milch eines besseren Alters und lasse ihn unter fernem griechischem Himmel zur Mündigkeit reifen.“

Die Böschisierung des milK-Ressort

Ich denke, was den Künstler Richard Bösch ausmacht, ist gerade diese Uneinnehmbarkeit, das Uncharismatische, das Sich-Nicht-Anbiedernde. Sein Werk ist zu jeder Zeit seines Malens ebenso authentisch wie seine Persönlichkeit. In dieser Ausstellung hier - die wir zum Glück lange Zeit haben anzuschauen, bis 12. Juli - eine Ausstellung, die seitlich ober- und unterkantig zum großen Tafelbild an der Stirnseite, wie Sie sicherlich schon bemerkt haben, im Goldenen Schnitt gehängt ist, nahezu, gibt es durchgängig das Spiel von Struktur und Textur, ganz so, wie es in den vier Plexiglas Kästen aus dem Jahr 1976 vorweggenommen, vorausgedeutet ist. Es sind Einladungen an die BesucherInnen hier, sich diese Bilder genauer anzuschauen, sich einzulassen in diese suggestive Langsamkeit der Bösch‘schen Farben und Schichtungen. Noch nie war so viel Helles, Fragiles, Intimes und Magisch-Existenzielles auf Richard Böschs Bildern zu sehen, auch wenn das Gegenbild, der Antipode sozusagen, linksseitig der Tür beim Hinausgehen, nochmals die Positionen absteckt. Lassen Sie sich auf die fugale Ornamentik abseits aller Ismen ein. Richard Bösch zeigt hier, klug und sensibel von Harald Gfader ausgewählt, ein künstlerisches Meisterstück, mit dem er uns reich beschenkt,  die Rückeroberung der Kreativität. Es ist, als hätten die Bilder auf dieser Anhöhe von Agasella Wind unter den Federn und flögen hinüber, dort hinten hin, wo die Nebel sind, ans Hinterälpele, bei den Drei Schwestern, nach Amerlügen und wieder zurück und ließen sich hier nieder bei den Palisaden auf den alten Römerwegen. Hier ist der ältest verbriefte bewohnte Teil Vorarlbergs, hier in dieser Gegend ist dem Harald Gfader und seinen Leuten ein großartiger Nebenschauplatz der Kunst gelungen. Früher Milch, dann Salz. Heute die Leichtigkeit der Bilder von Richard Bösch. Bleiben wir noch da.