Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Karlheinz Pichler · 05. Okt 2014 · Ausstellung

Skurrile Reisende, Schnellporträts, exquisite Musik und vieles mehr - Für viele Kunst-Nachtschwärmer wurde der Kunstzug zum Topereignis der "Langen Nacht der Museen"

An der diesjährigen "Langen Nacht der Museen" wurden österreichweit 421.000 Besucher gezählt. In Vorarlberg waren es 25.000 Menschen, die sich eine Kunst- und Kulturnacht um die Ohren schlugen. Mit 1.411 Eintritten war das vorarlberg museum die am meisten besuchte Einrichtung im Ländle. Dahinter rangieren das Kunsthaus Bregenz und die Inatura in Dornbirn. Ganz weit vorne platziert ist auch der Kunstzug, der 560 Zugestiegene registrierte. Für viele Kunst-Nachtschwärmer war im Kunstzug überhaupt „am meisten los“.

Für Lacher am Laufband sorgten im Kunstzug zunächst die als Zugreisende verkleideten Sexpuppen von May-Britt Nyberg Chromy: Als Sitzgruppen in verschiedenen Abteilen oder im Gang stehend angeordnet, die eine Figur strickend, die andere in einem Gartenmagazin lesend, wieder eine andere mit einem Katzentragekorb am Boden und der Plüschkatze „Prinz“ auf dem Arm, die einen züchtig brav, die anderen wieder sportlich leger gekleidet, dazu der Kontrast der eindeutig zweideutig geöffneten Münder. Die skurrile Reisegruppe sorgte beim Publikum durchgängig für breites Schmunzeln und speziell bei den jüngsten Zugfahrern für Lachsalven. Kaum jemand stellte oder setzte sich nicht zu einer Figur dazu, um sich von einer Begleitperson fotografieren zu lassen. Manche der auf den ersten Blick echt anmutenden Puppen wurden hundertfach abgelichtet. Visuell waren diese schrägen Reisenden sicher das Auffallendste am diesjährigen Kunstzug. Aber auch die anderen Kunstbeiträge trugen das Ihrige dazu bei, dass etliche Kunstnachtschwärmer, die den Kunstzug mehr als einmal benutzten, erkärten, dass in dieser eigens von der ÖBB bereitgestellten Garnitur „am meisten los“ sei.

Drive and Draw


Besonders gut angekommen sind auch die „Schnellporträtisten“ Renate Ludescher und Rainer Wolf. Mit frappanter Leichtigkeit setzte erstere mit Bleistift in Minutenschnelle Fahrgäste im Sinne von „Drive and Draw“ trotz rumpelndem Zug treffsicher aufs Zeichenblatt. Physiognomische Charakteristika zu erkennen und zeichnerisch überhöht zu übersetzen ist zweifellos eine große Stärke von Ludescher. Wolf brauchte für seine Zeichnungen zwar etwas mehr an Zeit, dafür waren seine „Schnellporträts“ mit Buntstiften genauer ausgearbeitet. Von den Zuggästen gefragt waren beide Varianten.

Die Bludenzer Kunstschaffende Judith Batlogg fertigte eine Serie von Strichzeichnungen an, die den Zug als Metapher für den Lebensweg zum Ausgangspunkt haben. Von ihren rhythmisch aufs Papier gebrachten linearen Abstraktionen, die  bezeichnende Titel wie „einwegauswegumweg“, „steigenundfallen“ oder „umsverreckenleben“ auf sich tragen, ließ sie Postkarten drucken und verteilte diese an die Besucher der "Langen Nacht".

Alois Galehr nahm für seinen Beitrag die kleinformatigen gerahmten Reklametafeln aufs Korn, wie sie für alle Züge typisch sind. Er tauschte die Werbetäfelchen aus und ersetzte sie durch stark vergrößerte Ausschnitte von Fotografien, die er während seiner Zeit als Lokführer gemacht hatte. Er lichtete damals die Monitore von Videokameras ab, die aus Sicherheitsgründen in den Zügen platziert wurden, und thematisierte solcherart die Überwachung respektive den Schutz der Reisenden durch Kameras.

Zu ergänzen bleibt, dass sämtliche an den bildnerischen Aktionen beiteiligten Kunstschaffenden Mitglieder von Kunst.Vorarlberg sind. Diese Künstlervereinigung hat sich schon länger im Vorfeld dazu bereit erklärt, den Zug mit thematisch zugeschnittenen Beiträgen zu bespielen. Dass die KünstlerInnen während der viereinhalbstündigen Fahrt permanent persönlich anwesend waren und den Lange-Nacht-Schwärmern ihre Arbeiten erklärten und mit ihnen diskutierten wurde besonders goutiert.

Flutar


Der Kunstzug startete am Samstag exakt um 18.05 Uhr in Bludenz und fuhr drei Mal die Strecke nach Bregenz und zurück. Auch etliche Fahrgäste aus Liechtenstein und der Schweiz frequentierten die Garnitur. (Die Schweiz beteiligte sich heuer erstmals an der "Langen Nacht der Museen".) Mit akkustischen Leckerbissen verwöhnt wurden die Zugfahrenden vom „Duo Flutar“. Unter diesem Label interpretieren die Musiker Gerhard Ganahl (guiTAR) und Martin Vallaster (FLUtes) seit fast einem Vierteljahrhundert Musik aus dem 20. und 21. Jahrhundert, die von den Kulturen verschiedener Kontinente geprägt ist. Die beiden Musiker haben eigenen Angaben zufolge bereits 250.000 Bahnkilometer hinter sich gelegt. So sei es logisch gewesen, den Kunstzug mit reisebezogener Musik anzureichern. Ihr Reportoire reichte von der Musik des Schweizers Francis Schneider, konkret seiner „Unterwegs“-Sammlung von Ragtimes mit Titeln wie „Reisefieber“,  „Wilde Fahrt“, „Im Speisewagen“, „Fasten your seat belts“ und  „Der Globetrotter“ bis hin zur „Trilogy“ des belgischen Komponisten Karel Vercruysse mit den Satzbezeichnungen „Daydreaming“, „Last Train´s Whistle“ und „In a hurry“. Unter den noch zu hörenden anderen verschiedenen Kompositionen war nicht zuletzt „River Flows In You“ des südkoreanischen Pianisten Yiruma ein Hinweis, dass die eigentliche Bewegung in einem selbst stattfindet.

Kunst im Zug


Finanziert wurden die visuellen und musikalischen Beiträge übrigens direkt von der ÖBB. Möglicherweise stellt der Kunstzug, der nunmehr das dritte Jahr hintereinander für die Lange Nacht der Museen unterwegs war, auch den Einstieg für ein längerfristiges Engagement der Bahn für die Kunst dar. Denn offenbar denkt man bei der Bahn darüber nach, künftig auch im regulären Bahnbetrieb enger mit KünstlerInnen zusammenzuarbeiten, wie der für das Qualitätsmanagement der ÖBB in Vorarlberg zuständige Günter Pröckl in einem informellen Gespräch gegenüber KULTUR erwähnte. Vorstellbar sei etwa, in den Zügen einen speziellen Bereich zu schaffen, für den dazu eingeladene Kunstschaffende entsprechende Beiträge entwickeln, so Pröckl, der als Delegierter der ÖBB im Kunstzug mitfuhr.

 

Lange Nacht der Museen: Der Kunstzug
Judith Batlogg: Zeichnungen in Blau und Schwarz
Alois Galehr: Videozeit 
Renate Ludescher: Drive and Draw
May-Britt Nyberg Chromy: Installation „Reisegruppe“ und Linoldrucke
Rainer Wolf: Schnellporträts
Duo Flutar: Reisebezogene Musik
Wann: Nacht vom 4. auf 5. Oktober 2014