Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Karlheinz Pichler · 31. Jul 2014 · Ausstellung

Von der hyperrealen bis zur immateriellen Plastik - Die Veränderung der Skulptur durch die Fotografie

Im Kunstmuseum Liechtenstein läuft mit „Lens-Based Sculpture“ derzeit eine Ausstellung, die auf neue Aspekte in der Kunstgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts verweist. Im Mittelpunkt der Schau, an der Kunstgrößen wie etwa Bruce Naumann, Tony Cragg, Valie Export, Gilbert & George, Duane Hanson oder Rebecca Horn partizipieren, steht dabei die Skulptur und der Einfluss, den die Fotografie mit ihren technischen Möglichkeiten und ihrer Raum- und Dinganschauung auf sie ausübt. Es ist ein gelungener Versuch, die Wechselwirkungen zwischen plastischer Wirklichkeit und zweidimensionalem Bild auszuloten.

Mittels der Digitaltechnik lässt sich die gesamte heutige Welt als Zahlenkombination von Null und Eins abbilden. Dennoch ist die Fotografie als Wirklichkeitsspur zumindest assoziativ an Räume und Körper gekoppelt. Die Ausstellung im Kunstmuseum Liechtenstein in Vaduz, die zuvor in etwas anderer Form in der Berliner Akademie der Künste zu sehen war, unternimmt in einem großen Diskurs den Versuch, dem Verhältnis von Fotografie und Skulptur zum ersten Mal aus der Perspektive der Skulpturgeschichte nachzuspüren. Wie sich die Skulptur und der Skulpurenbegriff durch die Fotografie verändert hat, wird in einem beeindruckenden Panoramaschwank aufgerollt, und zwar anhand von Arbeiten von 1886 bis zur Gegenwart.

Wie sich die Skulptur vom Prinzip der Statue befreite


In dieser Breite ist das Thema bislang noch nie museal abgehandelt worden, obwohl die Wirkung der Kamera nicht nur auf Maler sondern auch auf dreidimensional arbeitenden Kunstschaffende seit der Moderne unübersehbar ist. Die Zusammenschau in Vaduz vereint rund 200 Exponate von mehr als 70 internationalen Künstlerinnen und Künstlern. Anhand teils großartiger Werke wird aufgezeigt, wie sich die moderne Skulptur unter dem Impuls der Fotografie vom jahrtausendealten Prinzip der Statue löste und in eine neue künstlerische Praxis transformiert wurde, die die gesamte Wirklichkeit mit ihren vielfältigen taktilen, räumlichen und medialen Phänomenen zum plastischen Material wird.

Die Experimentalisierung der Skulptur unter den Bedingungen der neuen, durch die wissenschaftliche Fotografie herbeigeführten Wahrnehmungsweise des menschlichen Körpers, der plastischen Masse und des bewegten Raums rückt ins Zentrum. Dabei spielen etwa die Verfahren der Moulage und der Fotoskulptur ebenso eine Rolle wie die virtuellen Skulpturen in der frühen wissenschaftlichen Fotografie. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf den Skulpturen seit den 1960er-Jahren und auf der Vielschichtigkeit der Positionen, in denen „das Fotografische“ mehr und mehr das skulpturale Schaffen prägte und in die Richtung neuer experimenteller und sozialer Kontexte erweiterte wie in Arbeiten von Guiseppe Penone, Joan Jonas, Herman Pitz, Rebecca Horn, Bruce Naumann, Valie Export, Tony Cragg, Kiki Smith, George Segal, Roman Signer.

Die Linse als Instrument des Bildhauers


„Die Kamera dient als primäres Werkzeug der Bildhauerei, als Skizzenblock und Hilfsmittel zur Übersetzung von räumlichen und strukturellen Wiedergaben in Masse und Form“, betont Herbert Moldering, der zusammen mit Bogomir Ecker, Raimund Kummer und Friedemann Malsch diese Standort-bestimmende Ausstellung kuratiert und kunstwissenschaftlich aufbereitet hat. Die Linse wird zunehmend zum Instrument des Bildhauers, die Fotografie zum Notizblock und Dokumentationsmittel. Wichtige kunsthistorischen Kreuzungspunkte des raum-plastischen und fotografischen Denkens wie die frühen bahnbrechenden Ansätze von Marcel Duchamp und Étienne-Jules Marey sowie dann Umberto Boccioni und Raymond Duchamp-Villon werden neben aktuellen, weniger bekannten skulpturalen Werken gezeigt, die das fotografische Paradigma ins Dreidimensionale erweitern.

Das Spektrum reicht von der hyperrealistischen bis zur immateriellen Plastik, von der skulpturalen Rauminstallation bis zur fiktiven Skulptur, von der performativen Skulptur bis zur Spurensicherung und zu fotomedialen Untersuchungen in Form skulpturaler Apparate. Entscheidend für viele Bildhauer, die in der Nähe zur Performance oder mit temporären Interventionen arbeiten, ist, dass die Fotografie das Einzige ist, was am Ende übrig bleibt. Ob Ana Mendieta ihr Gesicht für die Kamera gegen eine Glasscheibe presst oder ob Michael Asher einen Wohnwagen in Münster parkt, solch plastische Aktionen wären ohne Fotos ins Nirwana entschwunden.

Interessant an „Lens-Based Sculpture“ ist auch, dass Künstler und Kunstwissenschaftler gleichsam im Teamwork spezielle Gegenüberstellungen künstlerischer Positionen in ungewöhnlichen Präsentationsformen entwickelt haben. So wird die Rekonstruktion von Marcel Duchamps Porte Gradiva (1937) erstmals in ihrer ursprünglichen Form, als durchschreitbarer Türdurchgang, errichtet. Darüber hinaus integrieren die Bildhauer Bogomir Ecker und Raimund Kummer zwei „Denkräume“ in die Ausstellung: Einem Archiv ähnlich, dicht und multimedial bestückt, eröffnen sie zusätzliche Einblicke in die komplexe künstlerische Recherche zu den Phänomenen von „Lens-Based Sculpture“.

Zur Ausstellung ist ein umfassendes und sowohl mit Text als auch Bild hervorragend dokumentierendes Katalogbuch in Deutsch/Englisch erschienen. Die Texte stammen von Michel Frizot, Ursula Frohne, Dietmar Rübel, Annette Tietenberg, Friedemann Malsch und Herbert Molderings.

 

Lens-Based Sculpture
Kunstmusem Liechtenstein, Vaduz
Bis 31.8.2014
Di-So 10-17
Do 10-20
www.kunstmuseum.li