Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Peter Füssl · 04. Nov 2013 · CD-Tipp

Tim Berne’s Snakeoil: Shadow Man

Wieder mal Lust auf eine musikalische Achterbahnfahrt ungeahnten Ausmaßes, prickelnder Nervenkitzel ebenso garantiert wie gnadenloses Durchlüften liebgewonnener Hörgewohnheiten? Na, dann sind Sie beim New Yorker Jazz-Avantgardisten Tim Berne und seinem grandiosen Quartett Snakeoil genau an der richtigen Adresse. Bitte einsteigen und anschnallen, denn die nächsten 77 Minuten und 6 Sekunden bieten ein rauschhaftes Vergnügen – allerdings nur einem „Publikum, das wirklich der Musik zuhören will“, wie es der quirlig-kreative Altsaxophonist ausdrückt.

Die sechs Kompositionen, drei davon suitenartig mit jeweils rund zwanzig Minuten Länge, erfordern volle Konzentration und Aufmerksamkeit, um ihre – dann allerdings unwiderstehliche – Wirkung zu entfalten. Pianist Matt Mitchell, Drummer Ches Smith und Klarinettist/Bassklarinettist Oscar Noriega, allesamt an vorderster Front in Sachen aufgestellter, grenzüberschreitender Musik am Big Apple, sind wieder die kongenialen Partner für Bernes Bemühungen in Richtung einer „transparenten Dichte“. In den vier Jahren seit ihrer frenetisch gefeierten Debut-Platte haben sie ihre musikalischen Interaktionen perfektioniert, allerdings ohne jemals Gefahr zu laufen, in bloßer Routine oder im Abspielen von Klischees zu erstarren. Das verhindert schon der Drang zum kreativen Output aller Beteiligten. Die unglaublich vielschichigten, abwechslungsreichen und mit Überraschungen gespickten Kompositionen Bernes sind mittlerweile unentwirrbar mit Gruppenimprovisationen und oftmals in Form von Dialogen arrangierten Soli verzahnt. Kühne Kontrapunktik, dynamische Intensität und halsbrecherische Brisanz ziehen ebenso in den Bann wie lyrische Zartheit. Als Beispiel für Letzteres dient Mitchells und Bernes wunderbare Duo-Interpretation von Paul Motians „Psalm“, der einzigen Fremdkomposition auf der Platte. Genaues Hinhören lohnt sich!
(ECM/Vertrieb: www.lotusrecords.at)