Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Peter Füssl · 24. Feb 2010 · CD-Tipp

Vijay Iyer Trio: Historicity

Der indischstämmige, in New York lebende Vijay Iyer, Jahrgang 1971, gilt als eine der großen Zukunftshoffnungen des Jazz. Sowohl als Pianist als auch als Komponist und mit seinen dreizehn CD-Produktionen unter eigenem Namen ist er im Spitzenfeld der amerikanischen Jazz-Polls zu finden und gilt auch in Europa als Liebling der Kritik.

Völlig zurecht, denn sein erstes Trio-Projekt „Historicity“ überzeugt durch einen ausgesprochen unkonventionellen Umgang mit der Jazzgeschichte und durch einen schier unerschöpflichen Einfallsreichtum. Jeglicher Akademismus liegt dem musikalischen Autodidakten, der in Yale und Berkeley Mathematik und Physik studierte und mit einer Arbeit über den Zusammenhang zwischen Denken und musikalischen Rhythmen promovierte, fern. Gemeinsam mit Stephan Crump am Bass und Marcus Gilmore an den Drums lässt Vijay Iyer ein Feuerwerk an äußerst intensiven und abwechslungsreichen Improvisationen auf die Hörer herabprasseln – Lichtjahre entfernt vom musikalischen Trampelpfad klassischer Piano-Trio-Kunst und dennoch auf ihr basierend. Raffinierte Überraschungsmomente, etwa atemberaubende Rhythmus- und Tempowechsel, stehen an der Tagesordnung und sind dennoch nie Selbstzweck, verkommen nie zur eitlen Show. Alle drei musizieren mit großer Virtuosität und noch größerer Leidenschaft. Vijay Iyer bedient sich sechs sehr unterschiedlicher Fremdkompositionen – unter anderem von Leonard Bernstein, Stevie Wonder, Andrew Hill, Julius Hemphill oder der aus Sri Lanka stammenden und in London lebenden HipHop-Elektronikerin M.I.A – um sich musikhistorisch zu verorten, geht mit diesem Material aber dermaßen freizügig um, dass es sich nahtlos zu seinen vier energievollen Eigenkompositionen gesellt. Iyer sucht aber nicht nur seinen Platz in der Musikgeschichte, sondern begibt sich auch auf Spurensuche in Sachen kultureller Identität. Die indische Musiktradition kommt jedoch nie unvermittelt im Sinne des Ethno- oder Worldjazz ins Spiel, sondern vor allem in Form einer äußerst komplexen rhythmischen Basis. Hochintelligenter Jazz, der verdammt viel Spaß macht! (ACT/Vertrieb: edel)
Konzert-Tipp: Vijay Iyver ist am 4. März am Dornbirner Spielboden im Duo mit dem Altsaxophonisten Rudresh Mahanthappa zu hören, der auf demselben kulturellen Background aufbauend wie er ebenfalls zu den neuen Stars am Big Apple zählt.