Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Walter Gasperi · 16. Jän 2014 · Film

Aktuell in den Filmclubs (17.1. - 23.1. 2014)

Der FKC Dornbirn zeigt diese Woche Claude Lanzmanns großen dreieinhalbstündigen Dokumentarfilm "Der Letzte der Ungerechten". Am Spielboden Dornbirn wird Marie Kreutzers starkes Debüt „Die Vaterlosen“ gezeigt.

Der Letzte der Ungerechten: 1985 legte Claude Lanzmann mit dem neuneinhalbstündigen "Shoah" ein epochales Werk über den Holocaust vor. Im Zuge der Arbeit an diesem Dokumentarfilm hatte er auch während einer Woche elf Stunden lang in Rom den Wiener Rabbiner Benjamin Murmelstein interviewt. Dieser hatte als einziger der von den Nazis abwertend "Judenältesten" genannten Mittelsmänner den Holocaust überlebt. Freiwillig begab sich Murmelstein nach dem Zweiten Weltkrieg in tschechische Haft, wurde aber nach 18 Monaten freigelassen, danach aber dennoch von jüdischer Seite angefeindet und der Kollaboration mit den Nazis bezichtigt.
In "Shoah" brachte Lanzmann das Interview mit Murmelstein, der 1989 starb, nicht unter, da es den Film aus der Balance gebracht hätte. Jahrzehnte lagerte das Material im Holocaust Memorial Museum in Washington, bis sich Lanzmann entschloss daraus einen weiteren Interviewfilm zu gestalten.
Im Gegensatz zu seinem bisherigen Werk setzt der 88-jährige Dokumentarfilmer auch erstmals Archivmaterial ein. Im Zentrum steht aber das Interview mit Murmelstein. Wie dieser sich als brillanter Erzähler erweist, so zeigt sich Lanzmann wie gewohnt als unerbittlicher und bohrender Interviewer. Mit einfachen Antworten lässt er sich nicht abspeisen, will Details und Jahreszahlen wissen. Murmelstein wiederum schildert mit seinem detaillierten Insiderwissen seine Beziehung zu Eichmann von 1938 in Wien, als er für den Nazi-Schergen Auswanderungspläne für die Juden erstellen musste, bis zu seiner Tätigkeit als «Judenältester» in Theresienstadt.
FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn:
Mi 22.1., 19 (!) Uhr; Do, 23.1., 19.30 Uhr - jeweils mit Einführung und anschließender Diskussion mit Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, bzw. dem Historiker Werner Bundschuh

Die Vaterlosen: Der in Deutschland als Arzt arbeitende Niki (Philipp Hochmair) kehrt in das Landhaus in der Steiermark zurück, in dem er in den 80er Jahren in der von seinem Vater geleiteten Kommune seine Kindheit verbrachte. Der Vater liegt im Sterben, erst nach seinem Tod treffen Nikis Bruder Vito (Andreas Kiendl) mit Gattin Sophie (Pia Hierzegger), sowie Schwester Kyra (Andrea Wenzl) und die zweite Tochter des Verstorbenen ein. Das Zusammentreffen der Geschwister führt zu einer Aufarbeitung der Kindheit in der Kommune und einer posthumer Auseinandersetzung mit dem Vater.
In kurzen Rückblenden bietet Marie Kreutzer in ihrem Spielfilmdebüt Einblick in zentrale Ereignisse im Leben der Kommune. Auch wenn diese Szenen in warmes Licht und leuchtende Farben getaucht sind, verklärt Kreutzer die Kommune nicht, sondern schildert sie wertfrei und wirft beiläufig Fragen nach dem Wert der Familie, nach Freiheit und Bindung sowie nach der richtigen Erziehung von Kindern auf. Die Aussage „Familie ist überbewertet“ steht hier einem „Familie sind die Wurzeln“ gegenüber.
Nah ist Kreutzer an ihren Figuren, fokussiert ganz auf ihnen und zeichnet dank treffender Dialoge und einer exzellenten Besetzung facettenreiche Charaktere, die ganz unterschiedliche Bilder von ihrem verstorbenen Vater haben.
Einzig, dass „Die Vaterlosen“ allzu versöhnlich ist, könnte man Marie Kreutzer vorwerfen, dass sie es wie Niki allen recht machen möchte und es dabei etwas an Biss, an Ecken und Kanten vermissen lässt. Doch andererseits gibt es solche scharfen Abrechnungen mit der Familie im Kino schon so viele, dass man an der Leichtigkeit dieses österreichischen Films auch seine Freude haben kann.
Spielboden Dornbirn: Do 23.1., 20.30 Uhr; Di 11.2., 20.30 Uhr