"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Gunnar Landsgesell · 06. Dez 2012 · Film

Anna Karenina

Keira Knightley liefert eine tolle Performance. Auch wenn sich ihre Protagonistin in Joe Wright's Theaterzauber selbst zu fragen scheint, aus welchen Quellen sich ihre Gefühle eigentlich speisen.

Gut möglich, dass Regisseur Joe Wright den richtigen Schritt gesetzt hat, als er sich dafür entschied, der Dekadenz und Künstlichkeit der russischen Gesellschaft Ende des 19. Jahrhunderts einen geradezu hyper-theatralen Anstrich zu verpassen. Praktisch sämtliches Geschehen in „Anna Karenina“ spielt in einem Theater oder in kulissenhaft ausstaffierten Landschaftsräumen, die letztlich einer dramatisch-manierierten Form (des Historischen) geschuldet sind. Das Leben ist Bühne und umgekehrt. Tolstois Roman ist allerdings dem Realismus verpflichtet. Wer den Namen des Autors mit Schwülstigkeit verbindet, der irrt, hat vielleicht auch eine der zahlreichen Verfilmungen von Tolstois Stoffen im Kopf. Joe Wright hat diesen zweiten Schritt ins Leben aber nicht gesetzt. Damit geht auch seinem hervorragendem Ensemble etwas verloren. Keira Knightley verleiht der Anna Strenge und Verzweiflung, vielleicht auch etwas zu viel Kratzbürstigkeit, Jude Law gibt – in unkenntlicher Maske – ihren verknöcherten Ehemann, dessen Leben nicht aus Lust, sondern aus Etikette besteht, mit ebenso großem Ernst. Emotionen erwecken sie beim Zuseher aber kaum. Es ist mehr ein Staunen, um das es Wright, der seine ästhetische Methode gegenüber „Atonement“ und „Stolz und Vorurteil“ noch verfeinert hat, nun geht. Bilder von ornamentaler Wucht, vollgepackt mit Details und durch Bewegung möglichst flüssig gehalten. Das erinnert schon ein wenig an Ophüls’sche Arrangements, an denen sich Wright wohl orientiert hat. Anschlüsse passen haargenau, ein Bild ergibt das nächste und selbst Buchhalter stempeln exakt choreographiert, als wären sie Mitglieder eines Musicals. Die Lok, unter die zu Beginn des Films ein Arbeiter in einem tödlichen Unfall gerät, trägt im Bahnhof so eine riesige Schneehaube, weil eben ein Ausstatter Wrights ordentlich Styropor daran angebracht hat. Das sieht man und das soll auch so sein. Dass sich der Moment, in dem sich am Ende Anna Karenina verzweifelt vor den Zug wirft, genauso künstlich anfühlt, ist eben als Fehler diesem System immanent. So reiten Pferde in einem Wettkampf teils über die Bühne und öffnen sich Tore, die in weiße Schneelandschaften führen, doch der Blick in das Innenleben der Akteure wird damit nie erfahrbar. Die perfekt ausgeklügelte Inszenierung schafft es letztlich nicht, sich selbst zu überwinden.

Oberflächenzauber vom Feinsten

Bei allem formalen Gestaltungswillen beweist Wright (bzw. Drehbuchautor Tom Stoppard von „Shakespeare in Love“) inhaltlich gezielte Selbstbeschränkung. Aus einem kritischen Gesellschaftsbild, auf Tausend Seiten von Tolstoi entfaltet, in dem mehrere Familien diese sozialen Verwerfungen versinnbildlichen, wird im wesentlichen eine Art Dreierbeziehung: Anna, die ihren Mann verabscheut, landet schließlich nach der Trennung bei ihrem Geliebten, Fürst Wronskij, einem Dandy in weißer Uniform, den Aaron Taylor-Johnson („Savages“) mit unangenehmer Leichtigkeit ausstattet. Auch hier hat Wright ein schönes Bild parat: Sie ganz in schwarz, er in weiß, tanzen beide in einem Festsaal, als für einige Momente die anderen Paare rundherum aus dem Bild verschwinden. Sie gehören ganz sich, ganz der Bühne, aber eben nicht ganz so dem virtuos versorgten, gewissermaßen ruhig gestellten Zuschauer. Was bleibt, ist Oberflächenzauber vom Feinsten. Eine Protagonistin, die puppenhaft erscheint und selbst etwas unschlüssig zu sein scheint, aus welchen Quellen sich ihre Empfindungen speisen. Und eine allgemeine Blutarmut, die Wright selbst in den Zuspitzungen bis zum Suizid der Anna nicht aufzugeben bereit ist.