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Gunnar Landsgesell · 08. Nov 2012 · Film

Argo

Ein skurriler Sidestep der Geschichte wird unter der Regie von Ben Affleck zum Hochspannungsthriller. Argo ist dabei weniger Geschichtslektion als eine Episode, die zeigt, was möglich wird, wenn die Fiktion über die Realität siegt.

Wieder so ein Film, der schon eingangs stolz verkündet, auf einer wahren Begebenheit zu beruhen, also aus dem Leben zu erzählen. Ben Afflecks Geisel-Befreiungs-Thriller "Argo" gehört allerdings nicht zu jenen reality-pieces, die über Authentizitätsgetue  unglaubwürdige Geschichten an den Mann oder die Frau bringen wollen. Affleck legt einen Film vor, der sich vor allem in unheimlich präzise und detailreich entworfenen Szenen diese Glaubwürdigkeit zu erarbeiten. Wert wird in Argo also weniger auf den großen zeitpolitischen Rahmen der 444 Tage währenden Geiselnahme  in der US-Botschaft in Teheran 1979 gelegt, sondern quasi auf deren abstruse geschichtliche Sidesteps: Die CIA versuchte, sechs geflüchtete Botschaftsmitarbeiter dadurch aus dem neo-revolutionären Iran zu schaffen, indem man sie als Crew eines Science-Fiction-Films ausgab. Der Haken am Plan: Zuerst müssen die mit falschen kanadischen Pässen ausgestatteten Leute noch ein paar Setbesuche mitten in der aufgeladenen Stimmung des Landes absolvieren, um dann glaubwürdig abzudampfen.

Schmierentheater nach Maß

Der slicke Schauspieler Ben Affleck, der gut getan hat, nicht wie zuletzt in "The Town" das eigene Drehbuch zu verfilmen, erweist sich als Mann mit Gefühl für Spannungsmomente und als Verweigerer pathetisch aufgeladener Szenen: "Argo" lebt quasi davon, auch sein Publikum ein bisschen als Geisel zu nehmen, ohne aber zu manipulativ zu werden. Affleck versteht sich darauf, Suspense - also Momente nicht über ihre Plots sondern "sich selbst genügend" in ihrer inneren Zerrissenheit - sowie historisches Bewußtsein als höhere Erzählkonvention miteinander zu verbinden. Das heißt konkret: Sechs amerikanische Botschaftsangehörige haben im Revolutionstaumel, den Affleck auch mit an Kränen Gehänkten illustriert, nicht weniger als ihr nacktes Leben zu verteidigen. Die Filmidee eines CIA-Mannes, den Affleck mit Vollbart und dichtem, schwarzem Haupthaar mimt, der äußerlich rätselhaft-ruhend wirkt, innerlich aber unter Hochdruck steht, diese Idee klingt natürlich nach reinstem Schmierentheater: Tatsächlich wird in Hollywood Veteran Alan Arkin und John Goodman als "Gehilfe" angworben, um diesen Plan zu steuern. Bei einem dieser Setbesuche (!) im gigantischen Labyrinth des unterirdischen Bazars Teherans kommt es dann zu Tumulten, die aufgebrachten Kommentare der Bazari werden konsequenterweise nicht mit Untertitel übersetzt. Diese Fremdheit und das Gefühl völliger Auslieferung prägen über weite Strecken die Stimmung des Films. Affleck inszeniert Männer, die mal zu Tode geängstigt und dann wieder aus der Not einen leisen Heroismus entwickeln, immer scheint das Los dieser Leute auf der Kippe. Mit den Mitteln des Thrillers lässt er die Uhr ganz laut ticken: Nachdem die Botschaftsangehörige, teils als Geheimdienstler ausgebildet, so viel wie möglich an Material geschreddert haben, bevor sich der Mob den Weg bahnt, treten müllsammelnde Kinder gegen die ablaufende Zeit an, um die feinen Papierstreifen der Fotos der Geflüchteten aus den Papierbergen wieder zusammenzusetzen. Anders als die adrenalingetränkten Fluchtszenen der Amerikaner inszeniert Affleck diese Momente eher beiläufig: wie auf dieser jungen Generation sozialer Verlierer ein Prestigeunternehmen des neo-revolutionären Iran aufbaut. Für die Neo-Bürger der islamischen Republik, die damals zumindest für einige Monate nach der Revolution durchaus pluralistisch und recht frei politisch aktiv waren, hat Affleck weniger Augenmerk parat. Letztlich ist es eine Wand bärtiger Apparatschiks (der Partei Khomeinis), die sich hier bedrohlich aufbaut. Ein düsteres, dunkles Reich wird aus dem retrospektiven filmischen Blick derart bereits vorweg genommen. Diese Dramaturgie, zudem der US-Lichtgestalten, bricht dann doch mit der couragierten Einleitung des Films, in der in groben Zügen das nicht minder grimmige Vorgänger-Regime des Schahs gezeichnet wird. Dem Hochspannungsanspruch von Argo, der seine Dramaturgie geschickt mit aus medialen Bildern abgerufenen Emotionen paart, tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil, jeder Zuschauer dürfte umso froher sein, wenn diese Flucht gelingt.