Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Gunnar Landsgesell · 15. Jän 2015 · Film

Blue Ruin

"Blue Ruin" ist ein Rachefilm, der keiner sein will. Die Familie des Protagonisten Dwight wurde dezimiert, nun greift er selbst zum Gewehr. Dass er das ungeschickt und widerwillig macht, treibt den Kreislauf der Gewalt dennoch unbeirrt voran.

"Blue Ruin" ist die Geschichte von Dwight, einem unbeholfenen Mann, der einem zunächst als „Wilder“ begegnet: völlig abgefuckt und verschmutzt lebt er im gerade noch fahrbaren Wrack eines Pontiac nahe den Dünen Virginias. Mit einem Sprung durch ein Fenster beginnt dieser Film, und die Dynamik von Verfolgung und Flucht lässt diesen Mann auch nicht mehr zur Ruhe kommen. Wie Dwight (Macon Blair) in diesen Zustand des Rückzugs geriet und vor wem er eigentlich flüchtet, gibt „Blue Ruin“ nur zögerlich und bestenfalls schemenhaft frei. Es geht um eine alte Familienfehde, in der Dwights Eltern ermordet wurden. Just mit der Freilassung des Mörders setzt Regisseur und Autor Jeremy Saulnier aber einen Kontrapunkt und dreht das Spielchen um. Dwight restauriert sein Äußeres, kehrt in die Gesellschaft zurück und beginnt seinerseits als tapsiger Predator die Mörder zu jagen – aus Notwehr, versteht sich.

Der Schmäh mit der Notwehr

 

„Blue Ruin“ ist eine jener Independent-Produktionen, die durch ihre nicht aufgehobenen Widersprüche auffallen. Der Rachefeldzug ist ein geläufiger Topos des US-amerikanischen Kinos. Er lebt davon, dass die Ungerechten sterben und der Zuseher seine Genugtuung daraus bezieht. Regisseur Saulnier unterläuft dieses Schema, indem er keine gut geölte Rachemaschinerie zeigt, sondern Rädchen, deren Zähne schon ziemlich knirschen. Dwight ist ein Antiheld, der intuitiv und spontan, quasi aus Notwehr agiert. Hier besteht freilich immer die Möglichkeit, diese dem Genre enthobene Figur auf einer menschlichen Ebene sehr nachvollziehbar zu finden. Das Ding mit dem Anti vor Kriegs- oder auch Revenge-Filmen hat so seine Tücken. Am Ende müssen die Gegner sterben, damit legitimieren sie letztlich ihre eigene Existenz. „Blue Ruin“ wird aber auch über den Einsatz von Waffen erzählt. Wenn Dwight mit ihnen völlig unerfahren hantiert, dann vermittelt das zwar eine gewisse Ironie, zugleich wird man als Zuseher jedoch angehalten, zu hoffen, dass er seine Erfahrungen bald gesammelt hat. Diesem scheinbar unbeholfenen, genötigten Angreifer und Schwerenöter liegt etwas Unentschiedenes in der Haltung des Films zugrunde, das einen irritiert. Es scheint, als fehle Dwight selbst neben der Umsicht auch eine eigene Haltung. Dieser Eindruck findet sich auch in den verwaschenen, dunklen Bildern wieder, mit denen hier vom Geschehen berichtet wird. Aber auch in einem fiesen Gegensatz von Arthouse – mit seinen unbestimmten Szenen und seiner dramaturgisch nicht „effizienten“ Erzählweise – und einigen expliziten Gewaltdarstellungen, die umso stärker über einen hereinbrechen, ohne inhaltlich etwas beizutragen. Als Thriller eignet sich „Blue Ruin“ deshalb so eingeschränkt wie sein Protagonist Dwight als Jäger. Irgendwie doch, aus der Not...