Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Gunnar Landsgesell · 15. Nov 2012 · Film

Cloud Atlas

Wolken haben ein Problem: Sie verflüchtigen sich schließlich in der Atmosphäre. Mit "Cloud Atlas" verhält es sich ähnlich. Dennoch ist die überraschende Gemeinschaftsproduktion von Tom Tykwer und den Matrix-Masterminds Lana und Andy Wachowski ein mutiger Versuch, dem Kino etwas Grundsätzliches hinzuzufügen.

Die Wolken zu kartografieren, das klingt zunächst nach einer wunderbar verrückten Idee. Aber, kann das gut gehen? Schon, könnte man vollmundig behaupten: wenn man seine Vorstellung von Geographie als fixem Raster der Orientierung aufgibt. Und sich darauf einlässt, was David Mitchell in seinem hochgelobten Roman „Cloud Atlas“ versucht: Zeit und Raum so zu verschränken, dass die Jahrhunderte und deren Akteure einfach ineinander aufgehen. Konsequenterweise müsste jeder einzelne Protagonist dann aber auch das Leben von zumindest Milliarden anderer Menschen führen. Weil die Erzählstruktur damit etwas unübersichtlich würde, haben sich Mitchell – und mit ihm nunmehr die Filmemacher, Tom Tykwer sowie die Experten für die Matrix, Andy und Lana Wachowski – freundlicherweise auf sechs Episoden beschränkt. Und damit sind wir schon bei den schnöden Limitierungen des erhofften großartigen metaphysischen Gedankenexperiments. Denn wo Literatur sich für Zeit- und Personensprünge mit simplen Abschnitten und Kapiteln hilft, sucht der Film diese Übergänge in der Montage zu vollbringen. (Strukturell mag das Buch dabei mit seinen generierten Bildern im Kopf im Vorteil sein.) Weil die Regisseure „Cloud Atlas“ nicht in durchgehenden Überblendungen erzählen konnten, hat das Publikum 180 Minuten mit ziemlich abrupten und sprunghaften Schnitten zu leben. Eine gewisse Orientierungslosigkeit, nicht aber die erwünschte Eins-Werdung der Welt bzw. Bewußtwerdung der Macht des Individuums stellt sich dabei ein, alles strebt wild auseinander. Aber auch den Schauspielern ergeht es nicht viel besser: Jeder von ihnen, egal ob Tom Hanks oder Halle Berry, spielt mindestens ein halbes Dutzend Figuren, die aus diversen Jahrhunderten und Weltgegenden sprechen.

 

Worum es in Cloud Atlas geht, lässt sich trotz der hohen Ansprüche des Projekts recht profan beschreiben: Ein Anwalt (Jim Sturgess) ist im Jahr 1849 an Board eines Schiffes, auf dem sich später sein Schicksal mit dem eines geflüchteten Sklaven ziemlich vermengen wird. Ein genialer, junger, schwuler Komponist (Ben Whishaw aus James Bond) im Schottland der 30er Jahre entwirft gemeinsam mit einem älteren, knorrigen Kollegen das himmlische Cloud-Atlas-Sextett, bis es zwischen beiden zum Eklat kommt. In den 70er Jahren deckt Halle Berry als Journalistin ein Atomkatastrophen-Komplott auf. Im aktuellen Jahr 2012 landet ein chaotischer Buchverleger, durch sinistre Figuren bedroht, in den Fängen seines wenig kooperativen, reichen Bruders (Hugh Grant als rachsüchtiger Pensionist) und wenig später in einem tückischen Altersheim. Der Humor, der in dieser Episode über köstlich schrullig entworfene Figuren aufkommt, deckt sich mit keiner der anderen Teile. Zwei Episoden spielen in der Zukunft, die, dem Muster der Dystopie folgend, wenig überraschend mit einem gehörigen Maß an Repression aufwartet und, auch bezeichnend, wiedermal in Asien, offenbar dem Synonym für Massen, angesiedelt ist. Das Jahr 2144 schließlich trägt die Fratze des Konsumismus, der die Genüsse der Bürger durch Arbeitssklaven absichert, bis diese aufbegehren. Zuletzt treffen Urzeit (Tom Hanks als Waldbewohner mit seltsam kindlicher Sprache) und Sci-Fi-Zukunft (Halle Berry setzt auf Raumschiffe) aufeinander. Irgendwie muss in den Zuspitzungen dieser letzten Episode auch die Menschheit gerettet werden.

Im Gegensatz zur kürzlich gestarteten Verfilmung der „Vermessung der Welt“, die ja auch zwei geistige und geographische Universen zu verbinden suchte, aber zu keinem stimmigen Tonfall fand, ist „Cloud Atlas“ ein ehrbarer und mutiger Versuch, die Grundelemente von Film, Zeit und Raum, soweit zu verdichten, dass am Ende eine Erzählung für alle steht und alle Protagonisten für einen. Die Sorge, dass sich die Episoden schließlich synthetisieren und in Bedeutungslosigkeit aufheben, ist berechtigt. Die Echtzeit bis zum Ende dieses Experiments vergeht dennoch recht kurzweilig, des Öfteren bemüht, selten auch launig, immer harmlos. Dass am Schluss das Scheitern steht, verhindert aber nicht, dass einige Bilder im kollektiven Gedächtnis hängen bleiben mögen. Tom Hanks als von dämonischen Einflüsterern geplagter Insulaner, der doch ein guter Mensch sein möchte, gehört vielleicht dazu.