Derzeit in Vorarlbergs Kinos: "Husky Toni" (Foto: av-design)
Walter Gasperi · 25. Aug 2010 · Film

"Der Atem des Himmels" - Jede Menge Postkartenansichten statt mitreißendem Erzählen

Bombastisch wurde die Weltpremiere von Reinhold Bilgeris Verfilmung seines eigenen Romans auf der Bregenzer Seebühne gefeiert. Im Vergleich zu dem Medien- und Prominentenauflauf fiel der Film selbst dann aber doch bescheiden aus: Mag Bilgeri auch mit größtem persönlichen Einsatz das Projekt verwirklicht haben, so sind die Defizite in Konfliktentwicklung, Personenzeichnung und dramaturgischem Aufbau doch nicht zu übersehen. - Spürbar wird hier nichts, alles bleibt Behauptung.

Am Anfang wird mit dem Lawinenabgang das Ende vorweggenommen. Bekräftigt wird die Authentizität der Ereignisse dadurch, dass Dokumentarmaterial in die nachinszenierten Szenen gemischt wird und sich die Protagonistin Erna Gaderthurn (Beatrice Bilgeri) dann wieder aus dem Archivmaterial herausschält.

Der Rabe kündigt den Tod an

Gang und gäbe sind derzeit solche Eröffnungen von Christopher Nolans „Inception“ bis Catherine Corsinis „Die Affäre“, wecken sie doch Interesse zu erfahren, wie es zu diesem dramatischen Ende kam. Von dieser Eröffnung blickt Bilgeri dann auch gleich sechs Monate zurück: Auf dem Südtiroler Schloss Gaderthurn stirbt der Hausherr, während die Sorge der Gattin einzig einer zerbrochenen Vase gilt und sich ein Rabe auf die Brust des Sterbenden setzt. – Völlig deplatziert wirkt diese Symbolik des Raben als Totenvogel in dem ansonsten auf Realismus setzenden Film, dennoch wird sie Bilgeri später nochmals – aber wenigstens nur noch einmal - verwenden.
Die gut 40-jährige Tochter Erna wird jedenfalls nicht mit ihrer Mutter nach Innsbruck ziehen, sondern eine Lehrerstelle im Großen Walsertal annehmen. Im Herbst 1953 kommt sie hier an und die Berge sind in der ersten Einstellung schneebedeckt wie im Mai, in der nächsten aber schon wieder gänzlich grün.
Ein Tritt in den Kuhdung markiert, in welche Welt die vornehme Frau hier gekommen ist, der im Tal lebende Baron (Gerd Böckelmann) sowie der für Jazz schwärmende Lehrer Eugenio (Jaron Löwenberg) sind freilich bald von ihr fasziniert. Eifersüchteleien entwickeln sich und zudem herrscht von Anfang an ein Konflikt zwischen Eugenio, der für einen Ausbau der Lawinenverbauung plädiert, und dem Baron, der seine Felder dafür nicht hergeben will. Der historische Fortgang der Ereignisse ist bekannt: Lange währte ein warmer Herbst, Anfang Jänner setzte heftiger Schneefall ein und am 11. Jänner 1954 gingen zahlreiche Lawinen los, die 57 Bewohnern von Blons das Leben kosteten.

Musik wie bei Rosamunde-Pilcher-Filmen

Das ist zweifellos ein Stoff für eine hochemotionale und packende Geschichte. Mag Raimund Hepp aber auch noch so sehr den Film mit einem an Rosamund-Pilcher-Filme erinnernden durchgängigen Musikteppich unterlegen, wollen doch weder Emotionen noch Spannung aufkommen. An der Musik allerdings, die recht plump bei Szenen im feudalen Haus des Barons zu Vivaldi und Mozart wechselt, bei der Liebesszene auf Ravels "Bolero" vertraut und dem rebellischen Lehrer Casagrande Jazz und Rockmusik zuordnet, liegt das noch am wenigsten.

Holprige Szenenfolge

Schwerer wiegt schon, dass Regisseur und Produzent Bilgeri den Schauspielern keinen Raum lässt, differenzierte Charaktere, deren Schicksal packt, zu entwickeln. Andererseits resultiert die kurzatmige Szenenfolge wohl auch aus Bilgeris Einsicht, dass diese Schauspieler längere Szenen kaum tragen könnten. In kurzen Szenen kann man dieses schauspielerische Manko zumindest teilweise kaschieren, auch wenn die fehlende Leinwandpräsenz speziell der Hauptdarstellerin Beatrice Bilgeri nicht zu übersehen ist. Alle Akteure bemühen sich redlich, kein Gesicht, keine Geste und kein Blick werden aber lange über das Filmende hinaus in Erinnerung bleiben.
So wechselt Bilgeri holprig zwischen Szenen im Dorf und im Herrenhaus des Barons, bindet zahlreiche Landschaftsaufnahmen ein, die selbstzweckhaft der Tourismuswerbung dienen, entwickelt aber keinen Konflikt oder kein Motiv weiter. Spannende Themen böten sich ja genügend an von der Aufnahme und dem Leben einer Adeligen in einer bäuerlichen Umwelt, von der Emazipation der Protagonistin von ihrer Mutter, vom noch vorhandenen nationalsozialistischen Gedankengut und dem Anbruch einer neuen Zeit, vom Widerspruch zwischen traditionellem bäuerlichem Leben und vordringender US-Kultur wie Rockmusik. Alles bis hin zum politischen Hintergrund mit Besatzung und bevorstehendem Staatsvertrag wird irgendwie angeschnitten, aber nichts wird vertieft oder weiter entwickelt.

Biedere Bebilderung des Romans

Alles ist diesem Film einerlei, auf nichts wird wirklich fokussiert. Mehr behauptet als wirklich spürbar wird hier die Rivalität zwischen dem Baron und Eugenio ebenso wie die leidenschaftliche Liebe zwischen Eugenio und Erna, die in für die heutige Zeit seltsam keuschen und unerotischen Bettszenen gipfelt. Ganz aufs oberflächliche Erzählen, auf die biedere Bebilderung des Romans beschränkt sich Bilgeri, reiht uninspiriert und gleichförmig Szene an Szene statt sukzessive die Spannung und Dramatik aufzubauen.
Ganz selten nur wagt sich der Regiedebütant zu Regieeinfällen vor, die nicht gelungen sein mögen, aber immerhin verstören und im Gedächtnis haften bleiben. Da bricht die Musik für einmal aus der Untermalung aus und darf mit Dissonanzen einen Streit bei einer Gemeinderatssitzung kommentieren und ein vielleicht verrücktes, aber immerhin eindringliches Bild ist es, wie Eugenio sich in einer Todesvision schon lebend in einem Grab versinken sieht.

Werbung fürs Tourismusland Vorarlberg

Ansonsten geht es platt dahin, wobei zur Aufheiterung ziemlich beliebig ein paar maue Scherzchen, eine Prügelszene im Gasthaus oder eine völlig deplatzierte Fahrt mit dem Dampfschiff Hohentwiel auf dem Bodensee eingestreut werden. Unübersehbar ist nicht nur bei dieser Szene, dass die einzelnen Schauplätze mehr schlecht als recht zusammengeflickt wurden. Denn mal gibt es Ansichten vom Dorf, dann von einer Hütte, dann vom Haus des Barons. Wie das aber geographisch in etwa situiert ist, welche Wege hier dazwischen zurückgelegt werden müssen, bleibt schleierhaft. So bekommt man nicht nur nie ein Gefühl für den Raum, sondern es entwickelt sich auch nie Atmosphäre, geschweige denn eine Milieuschilderung, aus der heraus die Geschichte entwickelt werden müsste.

57 Tote - Geht das Leben einfach so weiter?


Zur Antiklimax statt zur Klimax wird dabei schließlich die Lawinenkatastrophe. Nie wird hier die Gefahr oder die Kälte, die ein Film wie „Nordwand“ beispielsweise fast physisch spürbar machte, irgendwie erfahrbar, immer bleibt eine Distanz zwischen dem Zuschauer und dem Geschehen auf der Leinwand. Spannung und Beklemmung steigern sich in dieser einzigen längeren Sequenz des Films nicht, sondern flauen aufgrund einer viel zu wenig intensiv auf das Schicksal des Liebespaars fokussierenden Regie eher ab.
Bedenklich dann schon wie selbstverständlich und übergangslos „Der Atem des Himmels“ von der größten Lawinenkatastrophe in den Alpen übergeht zum folgenden glücklichen Sommer und dann nochmals einen Sprung vier Jahre weiter wagt. Nichts erfährt man hier von Trauer und Schmerz: 57 sterben in einem kleinen Dorf, aber das Leben geht schwups di wups weiter. – Typisch ist dies freilich für die Erzählweise des ganzen Films.