Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Gunnar Landsgesell · 24. Dez 2013 · Film

Der Medicus

"Der Medicus" erzählt im Stil aufgeklärter Märchen von einem jungen Waisen der sich aus dem mittelalterlichen England zu einem der größten Gelehrten seiner Zeit, dem Mediziner Ibn Sina (Avicenna) ins persische Isfahan aufmacht. Konsenskino und Kostümabenteuer, auf sympathische Weise altmodisch erzählt. Und Ben Kingsley ("Gandhi") wird als Ibn Sina wieder der Kajalstift angelegt.

Eine Zeit, in der Medizin oder die schönen Künste maßgeblich durch islamische Kulturen beeinflusst waren, gibt den Erzählrahmen für diese  Geschichte aus dem 11. Jahrhundert. Der junge Brite Rob Cole (Tom Payne), der als Kind seine Eltern durch Krankheit verlor, reist ins persische Isfahan, um sich von der medizinischen Koryphäe Ibn Sina (Avicenna) zum Arzt ausbilden zu lassen. Dort treibt ihn ein unersättlicher Wissensdurst um. Ein Tabu dieser Zeit, den menschlichen Körper zu öffnen, um ihn heiltechnisch besser zu verstehen, führt im Widerstreit damaliger Ideologien fast zum verfrühten Ende dieser Erzählung. Schon für diese Zeit werden der weltliche Schah als Herrscher der Stadt und strenggläubige Muslime als erbitterte Gegner positioniert. Das dient als Orientierungskrücke und soll als Gut-Böse-Schema ganz schnöde für Spannung sorgen. Das dürfte für diese in Deutschland als Amphibienfilm (als Kinofilm und längerer TV-Version) realisierte Produktion nicht unwesentlich sein. Wer 25 Millionen in die Hand nimmt, sucht nicht unbedingt das Risiko. Mit der Vorlage von Noah Gordons Bestseller „The Physician“ stehen so gesehen die Zeichen nicht schlecht. Mit Ben Kingsley als Ibn Sina, dem lange nach „Gandhi“ wieder viel Farbe mit dem Kajalstift aufgetragen wird, fand sich ein Zugpferd. Regisseur Philipp Stölzl zeigte zudem bei „Nordwand“, dass er es versteht, historische Stoffe ohne gewagte Ideen grundsolide auf den Boden zu setzen.

Reise ins Licht

Visuell ist „Der Medicus“ als Reise ins Licht angelegt. Von den typisch bläulichen Bildern des Mittelalters, die tiefste geistige Dunkelheit signalisieren, gelangt man über eine zwischen Stürmen und amourösen Aufwallungen trickreiche Wüstenquerung nach Persien. Die aufkeimende Love Story (mit Emma Rigby) wurde überraschend schmal gehalten. Recht konsequent greift die Verfilmung das zentrale Element des Buches – persönliche Entfaltung unter kulturellen Vorzeichen – auf. Von dem raubeinigen Bader (Stellan Skarsgard), der sich des Jungen in London annimmt, mit dessen primitiven Holzhammermethoden bis zum Weltstar Ibn Sina, dessen Buch Qanun (Kanon) noch über Jahrhunderte als eine der wichtigsten medizinischen Publikationen galt, präsentiert sich „Der Medicus“ wie ein Märchen, das bei aller Phantasie und Ausschmückung seinem aufklärerischen Gedanken verpflichtet bleibt. Ein abgetrennter Kopf, ein paar kurze Kampfszenen wirken rudimentär verglichen mit dem Hang zu drastischer Bildgebung und rasenden Schnitten, unter deren Eindruck sich Inhalte zeitweise selbst neutralisieren. Stölzls Inszenierung ist zweifellos Konsenskino, ohne große Tiefe seiner Akteure, wirkt aber auf sympathische Weise altmodisch im Bemühen, das Geschehen immer wieder neu auszusteuern. Etwa wenn es um die fragile Balance von Juden und Muslimen dieser Zeit geht. Um überhaupt nach Persien reisen zu können, legt Rob sich eine jüdische Persona zu, Christen waren zur Zeit der anhebenden „Kreuzzüge“ eher unbeliebt. Der Twist macht Rob aber weder zum Beobachter durch das Schlüsselloch, noch zum permanenten Identitäts-Chamäleon. Aus der geistigen Allianz mit Ibn Sina wird am Ende schlicht ein Wissender, der in die Dark Ages Englands zurückkehren soll. Eine freundliche Idee.