Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Ingrid Bertel · 29. Jän 2014 · Film

Der Polizist, der den Schlagbaum hob - Der Spielfilm „Akte Grüninger“

Der Spielfilm „Akte Grüninger“ des jungen Schweizers Alain Gsponer überzeugt mit präziser historischer Kenntnis, erschreckender Gegenwartsnähe und feinem Schauspieler-Ensemble

1971, ein Jahr vor seinem Tod, ehrte die Gedenkstätte „Yad Vashem“ den Schweizer Polizeikommandanten Paul Grüninger als „Gerechten der Völker“. In seiner Heimat wurde das nicht weiter beachtet. Paul Grüninger starb verarmt, verfemt, vergessen. Der Polizist, der das Gesetz brach, um tausenden jüdischen Flüchtlingen das Leben zu retten, wurde erst 1995 rehabilitiert. Der Spielfilm „Akte Grüninger“ zeichnet die dramatischen Monate im Leben eines Mannes nach, der auf sein Herz hörte, statt auf die Befehle der Behörden, die da immerzu sagen: Das Boot ist voll.

Kaum einen Steinwurf vom Ort des Geschehens, im Cineplexx Hohemens, versammeln sich Familienangehörige Grüningers, die Filmcrew und rund 500 Zuschauer. Das Interesse an Paul Grüninger scheint seit Jahrzehnten zu wachsen. Sind es Jahrzehnte, die einen Wandel der Werte gebracht haben, die uns Menschlichkeit höher einschätzen lassen als Gehorsam und Pflichterfüllung? Paul Grüninger hat gegen Gesetze verstoßen, hat sich seine sichere bürgerliche Existenz ruiniert, weil er nicht wegschaute, wenn andere ins Elend gestoßen wurden.

Als am 18. August 1938 der Schweizer Bundesrat die Schließung der Grenze für Flüchtlinge aus dem „Dritten Reich“ anordnete, als er dieser Anordnung auch die zynische Idee folgen ließ, die Pässe der Flüchtlinge mit einem „J“ zu markieren, damit jüdische Reisende von anderen unterschieden werden konnten, da machte Paul Grüninger nicht mit. Er fälschte Dokumente, datierte Einreisepapiere vor, schmuggelte Wertgegenstände, baute ein Flüchtlingslager auf, kurz: er half. Davon erzählt „Akte Grüninger“.

Exquisites Ensemble


Aber Paul Grüninger war ein stiller, introvertierter Held. Deshalb schafft ihm Regisseur Alain Gsponer einen Gegner. Es ist eine hochsynthetische, aus realen Charakteren amalgamierte Figur, der Ermittler Robert Frei, der recherchieren soll, was da im Rheintal vor sich geht. Max Simonischek spielt ihn als zunächst hemmungslos ehrgeizigen, dann zunehmend von Skrupeln erfüllten und zuletzt förmlich implodierenden Menschen. Überhaupt kann Gsponer auf ein exquisites Ensemble setzen: einen verhaltenen Stefan Kurt, der dem Polizeihauptmann die glaubhafte Statur eines ganz und gar unpolitischen Menschen gibt, der einfach sein Herz sprechen lässt. Einen schillernden Patrick Rapold als Ernest Prodollier - den von Bregenz aus agierenden Vizekonsul und tatkräftigen Verbündeten Grüningers, der mit seinen amourösen Abenteuern einen Hauch von Leichtigkeit und Abenteuerlust in das bedrückende Geschehen bringt.  Dagegen ist Sidney Dreifuss (atemberaubend: Anatole Taubmann) der restlos überforderte und verängstigte Partner aus der israelitischen Kultusgemeinde von St. Gallen und Valentin Keel (bestechend: Helmut Förnbacher) der unzuverlässige politische Partner, der an den alten Spruch denken lässt: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ Im entscheidenden Moment nämlich wechselt er die Fronten.

Kluge Regie


Historische Filme sind teuer, schon weil die Drehorte präpariert und kostspielige Requisiten herangeschafft werden müssen. Eine Ausstattungsorgie ist „Akte Grüninger“ ganz gewiss nicht. Drei Oldtimer und eine Wälderbähnle-Garnitur  könnten als ausgestellte Armut verstanden werden, wäre da nicht die kluge Regie von Alain Gsponer. Er vertraut etwa auf die Sprache. Den hauptsächlich aus Wien kommenden Flüchtlingen (unter anderem ein intensiver Cornelius Obonya) schlägt blankes St. Galler Idiom entgegen, bisweilen auch ein beamtenkaltes Schriftdeutsch. Das reicht, um ein Gefühl existenzieller Fremdheit zu vermitteln. Dazu kommt die exquisite und immer wieder überraschende Musik von Richard Dorfmeister und Michael „Pogo“ Kreiner.

„Akte Grüninger“ ist ein engagierter und in seinen künstlerischen Mitteln kluger Film. Angesichts der anstehenden Volksabstimmung in der Schweiz braucht seine Aktualität nicht eigens betont zu werden. Angesichts der Verrohung unserer Zwischenmenschlichkeit aber schon.


Weitere Vorstellungen

Cineplexx Hohenems

Fr, 31.1., 18 Uhr / Sa, 1.2., 18 Uhr / So, 2.2., 16.20 Uhr / Mo, 3.2., 18.20 Uhr / Di, 4.2., 18.20 Uhr / Mi, 5.2., 18.20 Uhr

RIO Kino, Feldkirch
Fr, 31.1., 18.15 Uhr / Sa, 1.2., 18.15 Uhr / So, 2.2., 18.15 Uhr / Di, 4.2., 18.45 Uhr

Schlosskino Balzers
Do, 30.1., 20.30 Uhr / Fr, 31.1., 18.30 Uhr / Sa, 1.2., 18.30 Uhr / So, 2.2., 20.30 Uhr / Mo, 3.2., 20.30 Uhr / Di, 4.2., 20.30 Uhr / Mi, 5.2., 20.30 Uhr