Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Gunnar Landsgesell · 04. Apr 2013 · Film

Die Jagd

Ein netter Kindergärtner gerät zu Unrecht in Mißbrauchsverdacht. Er wehrt sich nicht und wird damit zu einer formidablen Leidensfigur in Thomas Vinterbergs Dramolette. Denn: Unrecht ist der Treibstoff dieser titelgebenden Menschenjagd. Aufreibend, trotz fehlender Zwischentöne.

So schnell können Freundschaften enden. Als der eben geschiedene Kindergartenbetreuer Lucas (Mads Mikkelsen) in Missbrauchsverdacht gerät, geht ihm der beste Freund Theo (Bo Larsen) ohne weiteres an die Gurgel. Er droht, ihm eine Kugel durch den Kopf zu schießen. Theos kleine Tochter hatte von Lucas Penis erzählt, der infantile Racheakt eines kleinen Kindes, das sich emotional zurückgewiesen fühlte. Zu diesem Zeitpunkt weiß man bereits, dass Lucas ein viel zu Guter für diese Welt ist. Nie wehrt er sich, für alle hat er Verständnis. Wie das Lamm Gottes treibt ihn Regisseur Thomas Vinterberg durch die wildgewordene Dorfgemeinschaft und dann in die Isolation. Lucas leidet stumm und seine Ohnmacht gegen das Unrecht erweist sich auch für das Publikum als umso härtere Probe. Umso mehr, als Vinterberg kein Interesse hat, den kollektiven Verdacht in langwierigen Gesprächen zu entkräften. Der rasche Stimmungswechsel der Ex-Freunde wirkt wie Vinterbergs eigener Halali-Ruf, der die Jagd in der Folge mit psychologischen Mitteln und mit großer Verve vorantreibt.

Sanft und erratisch zugleich

Bis auf einen wahren Freund von Lucas, der ihm nach Möglichkeit zur Seite steht, lebt „Die Jagd“ vor allem von dieser Frontenstellung, die in der Folge auch in blutige Bilder mündet. Ein Mann als Freiwild vor dem Visier einer vor Ressentiment strotzenden Kleinstadt, das verleiht dem Film zugegeben eine ziemliche Wucht. Wie ein Monolith baut sich „Die Jagd“ auf und drückt einen in den Kinosessel. Dass Vinterberg nichts mehr dagegen sondern alles dafür tut, seinen Protagonisten als Opfer der Jagdgesellschaft nicht entwischen zu lassen, könnte man freilich auch als intellektuelle Beleidigung seines Publikums verstehen. Desinteressiert für Kausalitäten, reduziert sich das Geschehen auf einen wortlos gebrochenen Mann, dessen Stimmung zwischen Resignation und Trotz schwankt. Wo vor 15 Jahren mit „Das Fest“ noch die raffiniert aufgebaute Konstellation einer Großfamilie unter einem Schock (dem rückblickend aufgerollten Mißbrauchsfall) schließlich zusammengekracht ist, verschießt Vinterberg im Fall von „Die Jagd“ schon zu Beginn sein Pulver. Indem er einen ohnehin unschuldigen Mann präsentiert, riskiert er keine grenzgängerische Diskussion eines heiklen Themas; das Schema der Opfer-Täterumkehr wirkt dafür zu simpel. Von ungebrochener Kraft ist hingegen die Manipulationsfreude, die Vinterberg, so wie sein Landsmann Lars von Trier (Autor von Vinterbergs kontroversem Drama über das Verhältnis von Jugendlichen und Waffen: „Dear Wendy“) mit jeder seiner Arbeiten aufs Neue beweist. Lucas, der von seiner Ex-Frau am Telefon abgekanzelt wird, der kleine Mädchen, die vor dem Streit der Eltern vor das Haus geflüchtet sind, in den Kindergarten bringt, der sich solcherart recht einförmig der Sympathien seines Publikums versichert, ist nicht für Ambivalenzen geschaffen. Erst gegen Ende rafft er sich auf und sorgt für eine denkwürdige Szene in einer Kirche, die aber die Unentschlossenheit Vinterbergs, welchen Ausgang sein freundlicher Held nun ansteuern soll, nicht auflösen kann. Unbeschadet davon interpretiert Mads Mikkelsen den Lucas in einer nachdrücklichen Performance voll verzweifelter Selbstkontrolle, sanft und erratisch zugleich. Er kitzelt jene Momente an Selbstsicherheit aus seiner Figur die ihr das Drehbuch zugesteht.