Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Walter Gasperi · 09. Jän 2015 · Film

Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach

Der Schwede Roy Andersson wirft in seinem bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneten fünften Spielfilm in 39 Szenen lakonisch einen gleichermaßen witzigen wie tieftraurigen Blick auf die Absurditäten des Lebens. – Ein in jeder Einstellung kunstvoll komponiertes Meisterwerk, das den Zuschauer durch Sprödheit und Verzicht auf eine stringente Handlung aber auch fordert.

Ziemlich einzigartig verlief die „Karriere“ des 1943 geborenen Roy Andersson. 1970 legte er mit „Eine schwedische Liebesgeschichte“ sein von der Nouvelle Vague inspiriertes Debüt vor und landete damit einen Erfolg bei Publikum und Kritik. Sein 1975 gedrehter zweiter Film „Giliap“ wurde dann aber zum finanziellen Desaster und Andersson drehte die folgenden 25 Jahre nur Werbespots.

"Trilogie über das menschliche Wesen"

Erst 2000 meldete er sich mit „Songs from the Second Floor", mit dem er seine „Trilogie über das menschliche Wesen“ eröffnete, zurück und gewann damit prompt in Cannes den Spezialpreis der Jury. Nachdem er diesem Film sieben Jahre später mit „You, the Living - Das jüngste Gewitter“ den zweiten Teil folgen ließ, schließt er sie nun nochmals sieben Jahre später mit „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ ab.

Radikaler Stilwille

Viel Zeit widmet Andersson jedem seiner Filme, die fast ausschließlich in seinem Stockholmer Haus, in dem er auch ein Studio eingerichtet hat, entstehen. Hier kann er ohne Zeitdruck proben, Kulissen entwerfen. Und jeder Einstellung seines Films sieht man die Sorgfalt an, mit der sie geplant und choreographiert wurde. Konsequent seinen eigenen Stil entwickelt er so, unverkennbar wie der keines zweiten Regisseurs seiner Bedeutung.
Zum ungewöhnlichen Titel für seinen neuen Film inspirierte Andersson das Gemälde „Die Jäger im Schnee“ von Pieter Brueghel dem Älteren. Während man darauf freilich Vögel auf Ästen sieht, hört man bei Andersson nur am Schluss aus dem Off einen Vogel, sieht aber nur am Beginn ausgestopfte Vögel in einem Naturkundemuseum. Wie ein Besucher diese Tiere, zu denen ein mächtiges Dinosaurierskelett im Hintergrund einen bedrohlichen Kontrast darstellt, begutachtet, so blickt Andersson lakonisch auf das Leben.

39 Szenen - 39 starre Einstellungen von großer Tiefenschärfe

Tristesse verbreitet sich hier in den 39, jeweils in einer einzigen starren Totalen gefilmten Szenen schon durch Farbgestaltung und Kulissen. In tristes, ausgebleichtes Grau, Graugrün und Brauntöne sind die Bilder getaucht, die Kulissen und Kostüme scheinen aus den 1950er und 1960er Jahren zu stammen. Nicht mit dem Schnitt als vielmehr mit der Raumtiefe arbeitet Andersson, fordert den Zuschauer auf sich in diesen unglaublich tiefenscharfen Tableaus, in denen sich das Geschehen im Vordergrund ebenso wie im Hintergrund abspielt, selbst zu orientieren.

Tieftraurige Situationen, lakonischer Witz

Handlung stellt sich zunächst keine ein, denn auf die Szene im Naturkundemuseum folgen „Drei Begegnungen mit dem Tod“. Da sieht man zunächst, wie ein Mann beim Entkorken einer Weinflasche im Wohnzimmer tot zusammenbricht, während seine Frau ruhig im Hintergrund in der Küche ein Liedchen summt. Am Sterbebett einer alten Frau beginnen drei Kinder um ihre Handtasche, in der sich ihre Wertsachen befinden und die sie nicht loslassen will, zu streiten, und in der Cafeteria einer Fähre ist nach dem Tod eines Gastes das Hauptproblem, was nun mit dem schon bezahlten Essen passiert.
Himmeltraurig ist das, was hier passiert im Grunde, doch im ruhig distanzierten und stoischen Blick der Kamera von István Borbás entwickeln diese Szenen dennoch bitteren Witz. Eine Handlung stellt sich erst später und dann auch nur ansatzweise mit dem Auftauchen der beiden Scherzartikelverkäufer Jonathan (Holger Andersson) und Sam (Nisse Vestblom) ein. Mit Vampirzähnen, Lachsack und – als letztem Schrei – grotesker Monstermaske will das an Stan Laurel und Oliver Hardy oder Becketts Wladimir und Estragon erinnernde Duo, von denen der eine immer wieder in Tränen ausbricht, den Menschen helfen Spaß zu haben. Ahnen kann man freilich, dass dieses Geschäft in dieser Welt schlecht läuft.

Kein Glück - nirgendwo

Zwar erklären eine auf einer Treppe sich abmühende Putzfrau ebenso wie ein zum Selbstmord entschlossener Firmenchef oder eine Hirnforscherin, während daneben ein Äffchen Elektroschocks erhält, und ein Rentner am Telefon „Es freut mich zu hören, dass es euch gut geht“, doch glückliche Menschen sieht man bei Andersson nie. Fruchtlos bleiben die Bemühungen einer Flamencolehrerin, die einen jüngeren Mann beim Tanzen umwirbt, bis er entnervt den Saal verlässt, und dem Aushilfsfriseur läuft der einzige Kunde davon.

Gegenwart und Vergangenheit

Von der Gegenwart springt der Film mit einem Insert "1943" in der Kneipe „Zur hinkenden Lotta“ in die Vergangenheit und die Matrosen stimmen in den melancholischen Gesang der Wirtin ein und bezahlen den Schnaps mit einem Kuss. Bei einem anderen Gasthaus wiederum macht 1709 König Karl XII. mit seinen Truppen auf dem Weg in den Krieg gegen den  russischen Zaren halt, um noch ein Mineralwasser zu trinken, und wird nach der Niederlage bei Poltawa zerlumpt und erschöpft mit den Resten seines Heers zurückkehren.
Auch in die Zeit des Imperialismus springt Andersson, wenn einer der Scherzartikelverkäufer träumt, wie britische Soldaten Afrikaner in eine Kupferorgel treiben, unter der sie dann Feuer legen.

Wie hältst du es mit dem Leben?

Mögen die langen starren Einstellungen, aber auch die Misanthropie an die Filme Ulrich Seidls erinnern, so unterscheidet sich Anderssons Stil doch durch die Stilisierung und den lakonischen Witz vom dokumentarischen Blick und der insistierenden und drastischen Präsentation menschlicher Gemeinheiten des Österreichers.
So kunstvoll und bis in jedes Detail überlegt gestaltet „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“, so sehr fordert diese in der Tradition Samuel Becketts stehende philosophische Betrachtung des menschlichen Lebens auch den Zuschauer. Denn er bleibt hier wirklich Zuschauer, wird nicht in emotional in den Film einbezogen, sondern soll am Beispiel der präsentierten Szenen angeregt werden über das eigene Leben nachzudenken.