Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Gunnar Landsgesell · 22. Jän 2015 · Film

Fräulein Julie

Eine Mittsommernacht wird zum Moment erbitterter sozialer Rache. Liv Ullmann interpretiert Strindbergs messerscharfes Drama "Fräulein Julie" nicht gerade zeitgemäß, aber der Cast mit Jessica Chastain und Colin Farrell verleiht diesem Stoff explosive Kraft.

Während das aktuelle Kino vielfach seine technischen Möglichkeiten auszureizen versucht, dreht Liv Ullman als Regisseurin inszenatorisch die Zeit zurück: Mit einer Strindberg-Verfilmung des Theaterstücks „Fräulein Julie“ hat die mittlerweile 76-jährige Bergmann-Schauspielerin einen Stoff gewählt, der zwar an der Oberfläche Patina angesammelt, im Kern aber seine ganze brutale Wucht bewahrt hat. Jessica Chastain spielt darin eine junge Frau, Julie, die als Tochter des Grafen im ausgehenden 19. Jahrhundert die Grenzen der Klassengesellschaft überschreitet. Es ist Übermut gepaart mit einer Prise Sadismus, als Fräulein Julie in einer Mittsommernacht den Hausdiener Jean (Colin Farrell) in ein gewagtes Spiel verwickelt, das in der Katastrophe endet. Die unerfahrene Julie demütigt und verführt Jean kraft ihres Status als Hausherrin, bis dieser noch in der selben Nacht den Spieß umdreht und nun seinerseits Julie vor sich hertreibt. Jeans Verlobte (Samantha Morton) wird zur Zeugin, die nicht einzuschreiten wagt.

Trotz Regie-Pathos: kraftvoll gespielt

Mit einer etwas jüngeren, zeitgemäßeren Handschrift hätte „Fräulein Julie“ eine meisterliche Abhandlung über die unbedarfte Langeweile der Reichen und die Wut der Marginalisierten werden können. Grausamkeit trifft hier auf Grausamkeit, wenn auch völlig unterschiedlich motiviert. Bei Strindberg wird dabei eine Rechnung beglichen, ohne in ein hohles Pathos für die Entrechteten zu verfallen. Ullmann verkitscht diese messerscharfe Analyse leider, indem sie den politischen Furor des Stücks zu sehr mit weiblicher Koketterie und Verführungslust unterfüttert. Klaviermusik und – in einem der bittersten Momente des Films – gepflegte Bildarrangements sorgen für einen Touch des Antiquierten. Dennoch wirkt die Inszenierung kraftvoll und sehr konzentriert, was vor allem mit dem exzellenten Cast zu tun hat. Jessica Chastain („Tree of Life“, im März in J.C. Chandors „A Most Violent Year“ zu sehen), seit Jahren eine der interessantesten Hollywood-Schauspielerinnen, veräußert sich hier ganz dieser Rolle. Dramatisch formuliert, sie spielt um ihr Leben. Collin Farrell ist der Monolith, der hier zerbricht, indem er seine jahrzehntelange aufoktroyierte Selbstdisziplinierung sprengt und Genugtuung fordert. Mit Samantha Morton verharrt die dritte Figur wie gelähmt in der Mitte des Geschehens, unfähig, ihr untertäniges Denken zu überwinden. Trotz der Theatralik Ullmanns, und wegen des Casts, ist „Fräulein Julie“ ein kraftstrotzender Film.