Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Gunnar Landsgesell · 09. Okt 2014 · Film

Le meraviglie / Land der Wunder

Zwischen Realismus und den Träumen einer Jugendlichen - so präsentiert sich "Le meraviglie", die Geschichte einer Aussteigerfamilie in Mittelitalien, die sich als Bienenzüchter und Neo-Bauern durchschlagen - und durch eine TV-Kampagne in Unordnung geraten.

„Le meraviglie“ erstaunt mit einer Stimmung, die an eine große und längst verschüttete Tradition des italienischen Kinos anschließt: von einem kühlen Realismus der Lebensumstände ausgehend, flechtet der Film immer wieder federleicht gefilmte, versonnene Bilder ein, die mehr den Träumen als der diesseitigen Welt anzugehören scheinen. Den impressionistischen Blick leiht sich „Le meraviglie“ von der 12jährigen Gelsomina (Maria Alexandra Lungu, die sich den Filmnamen mit Fellinis Protagonistin aus „La strada“ teilt), die mit ihren drei Schwestern das raue Leben auf einem Bauernhof zwischen der Toskana und Umbrien teilt. Die Eltern verdingen sich offenbar als Neo-Bauern und Bienenzüchter und führen eine Art post-kommunardischen Lebensentwurf, wie schon eine der ersten Szenen ahnen lässt. Da sitzt eines der Mädchen auf dem Klo im Badezimmer, während sich rund um sie ganz selbstverständlich die Schwestern und die Mutter tummeln. Es gibt Spannungen in der Familie, und sie entstammen nicht allein der finanziell angespannten Situation, der Bauernhof ist ein weniger heruntergekommen. Der Vater, der deutsche Aussteiger Wolfgang (Sam Louwyck), hat etwas unberechenbares, mit seiner aufbrausenden Art hält er seine Frau und die Töchter der Familie permanent in Anspannung und ein bisschen Angst. Als in der Gegend ein TV-Preis für den ökologisch besten Landwirtschaftsbetrieb ausgerufen wird, verweigert das der Vater naturgemäß. Die Töchter bemühen sich hinter seinem Rücken dennoch um die Teilnahme. Für Monica Belucci als feenhafte TV-Moderatorin bedeutet das wundersame Auftritte zwischen schimmernden Sinterbecken und in einer glucksenden Felsenhöhle, in der die bäuerlichen Finalisten als Etrusker verkleidet ihre vorbereiteten Geschichten präsentieren.

Spiel der Stimmungen

Regisseurin Alice Rohrwacher stellt mit ihrem Film noch einmal die Frage nach den Chancen auf das Gelingen eines anderen Lebensentwurfs, zeigt zugleich aber, dass die alten Krankheiten der Gesellschaft sich nicht einfach abschütteln lassen. Die Kinder werden eingespannt zur Arbeit, bauen sich aber auch Freiräume, ihre Fantasie schimmert und wuchert immer wieder durch die Erzählung. Ein ausgelassenes Spiel am Meer, eine eingeübte „Aufführung“, bei der einem der Mädchen eine Biene aus dem Mund kriecht, die jugendliche Freizügigkeit der Mädchen (eine davon Rohrwachers Schwester Alba) – mit all dem schafft Rohrwacher eine Stimmung, die einer rauen Wirklichkeit einen phantasmagorischen, grotesken Charme verpasst. All das wirkt vielleicht ein wenig unentschieden, unfertig. Vielleicht fragt sich mancher auch, was die schwelgerischen Einschübe (etwa rund um Belucci) im Realismus dieser Erzählung verloren haben, aber genau daraus bezieht „Le meraviglie“ seine Kraft, dramatische Töne zu entschärfen und eine Welt zu erschaffen, in der sich dem Zuseher nicht alles erschließt. Der jungen italienischen Filmemacherin und Autorin Alice Rohrwacher brachte das den Großen Preis der Jury in Cannes ein.