Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Gunnar Landsgesell · 25. Dez 2012 · Film

Life of Pi

Ein Junge und ein Tiger auf einem Boot auf offener See. Unter der Regie von Ang Lee ergibt das eine märchenhafte Parabel, die Gefühle von der Harmonie des Universums evoziert.

Ein Film, der die Religionen versöhnt, ist ein idealer Starter für die Weihnachtszeit. „Life of Pi“ ist so ein Film. Der Titel bezieht sich auf einen Jungen namens Pi (jung: Gautam Belur) in Indien, der Hindu, Muslim und Christ zugleich sein möchte. Von überall die besten Götter, sagt der Bub, der eine Art sakraler Super-League erstellt hat. Seine Eltern, beide Mathematiker und zugleich Zoo-Betreiber, zeigen sich skeptisch. Der Film scheint aber Pi im weiteren Verlauf Recht zu geben. Zwar hatte ihm der Vater noch erklärt, wer an alles glaubt, der glaubt an nichts. Als aber der Ozeandampfer sinkt, auf dem die Familie Indien mit sämtlichen Zoo-Tieren Richtung USA verlässt, ist Pi der einzige Überlebende auf offenem Meer. Sein Vorname, abgeleitet von Piscine, französisch für Schwimmbad, kommt nun voll zum Tragen. Freilich sieht Pi (jugendlich: Suraj Sharma) seine missliche Lage, hilflos im Wasser zu treiben, als weitere Prüfung der Götter.

Als Film über Glauben im religiösen Sinn entwickelt sich „Life of Pi“ unter der Regie von Ang Lee dann doch nicht. Auch wenn das Rettungsboot des Jungen zu Beginn einer kleinen Arche Noah ähnelt und später einmal fliegende Fische wie Manna vom Himmel fallen, kristallisiert sich als Leitmotiv der Erzählung bald heraus, dass es darum geht, seine Sinne zu schärfen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Tatsächlich entspinnt sich die Handlung im Rahmen einer Erzählung. Der gealterte Pi (Suraj Sharma) erzählt einem Gast sein Leben, besser gesagt, von den richtigen Entscheidungen, um zu überleben. Als sich die Belegschaft des Bootes auf einen nunmehr wieder hungrigen Tiger und Pi reduziert hat, wird das Prinzip der (Götter-)Koexistenz unter anderen Vorzeichen wieder relevant. Pi bastelt nun sein eigenes System, um die Odyssee zu überleben, aber auch, um das an sich unschuldige Raubtier zu retten.

Wie in Watte gepackt

Dieser eigentliche Handlungsteil des Films (die einführende Familiengeschichte fällt zu lange, zu langweilig aus; das Ende hingegen lapidar kurz) wurde von Ang Lee als geradezu magische Parabel auf offenem Wasser inszeniert. Phosphoreszierende Quallen und leuchtende Sterne, die wackelige Balance zwischen Mensch und Tier, die Schönheit und die Gewalten der Natur, all das bietet eine märchenhafte Kulisse, in der es plätschert und gluckst. Und wenn nicht so viel Feuchtigkeit im Spiel wäre, könnte man sagen, Tiger und Bub sind bestens in Watte eingepackt, so wenig Sorge wird dem Publikum um deren Wohlergehen abverlangt. Dass die große Raubkatze selbst der Tricktechnik zu verdanken ist, macht aus dem Film auf engstem Raum dann doch ein kleines Wunder. Mit einem „zahmen“ Tiger und vielen Montagen wäre das Lee’sche Harmoniepaket schlicht unmöglich, würden dessen Bilder vor allem clumsy wirken. Dass Lee sich auf Nuancen visueller Sprache versteht, lässt sich auch am Umgang mit 3D ablesen. „Life of Pi“ ist der bislang vielleicht überzeugendste Umgang mit dieser Technik. Während der Regisseur auf ins Bild ragende Stäbe oder dem Zuseher entgegenklatschende Pranken verzichtet, konzentriert er sich ganz auf die räumliche Inszenierung selbst. Der Handlungsraum ist letztlich so fantastisch wie die Geschichtsversion des Erzählers, und genauso wirkt dieser Erzählraum auch unter Lee’s künstlerischer Aufsicht. Verglichen mit den Schilderungen aus der Jugendzeit in einem sonnendurchfluteten Indien und dem ozeanischen Gleichklang nimmt sich die dritte, letzte Zeitebene, die Gegenwart des Erzählers, allerdings recht nüchtern, fast traurig aus. Nichts scheint besser als die Erinnerung, die letztlich auch eine Frage des Glaubens ist.