Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Gunnar Landsgesell · 07. Mär 2013 · Film

Sightseers

Als übles Spiel mit Zuschauerhaltungen erweist sich die britische Komödie Sightseers, die den mörderischen Roadtrip eines ziemlich verschrobenen Paares skizziert. Zynisch und unsympathisch einerseits, aber gewinnend in Momenten menschlicher Schwäche, zeigt sich Regisseur Ben Wheatley ganz wesentlich an der Manipulation seines Publikums interessiert.

Der Track „Death to everyone“ des sanft überdrehten Alternative-Country-Schwurblers Bonnie ‚Prince’ Billy hätte hier natürlich auch perfekt gepasst: „Death to everyone is gonna come, it makes hosing much more fun“ – „so macht töten noch mehr Spaß“. So ironisch-lakonisch wie Billys Textzeilen entfaltet sich von der ersten Sekunde an auch „Sightseers“. Nette Oberfläche, aber man merkt sofort, hier ist etwas ziemlich im Argen. Ein Wohlstandsverlierer-Paar, Chris und Tina, möchte im wettermäßig eher trüben England auf Campingtour fahren. Und irgendwie vergönnt man es den beiden, erweist sich die Mutter der jungen Frau doch vom ersten missmutig gezogenen Gesicht als Double-Bind-Königin. Spielt die Schwache, um die Tochter nicht ziehen zu lassen, erweist sich aber als eigentlich eiskalt Berechnende. Eiskalt bleibt auch die Tonart des weiteren Geschehens. Schon die erste Station des Roadtrips, ein Straßenbahnmuseum (!), erweist sich für einen Besucher, der nach Chris’ Geschmack den Museumsexponaten (eine Doppeldecker-Straßenbahn!) nicht genug Respekt entgegen bringt, kurzerhand als Endstation. Der Unfall, wie Chris gegenüber einer (scheinbar) geschockten Tina beteuert, ist für Regisseur Ben Wheatley freilich nur der Auftakt für einen mörderischen filmischen Trip. Der Tod ereilt all jene, die Chris blöd kommen: arrogant, zu kritisch oder auch nur erfolgreicher als er. Ein Underdog auf Rachefeldzug.

Böse Variante auf Mike Leigh

Das ganze hört sich relativ plump an, und tatsächlich lebt dieser Film nicht von der Entwicklung seiner Ereignisse. „Sightseers“ entfaltet sich vielmehr in den Nischen, die eine redundante Dramaturgie ermöglicht. Wo nichts mehr weitergeht, bleibt der Moment. Für diesen hat Wheatley und auch sein Cast erstaunliches Gespür. Es liegt etwas aufrührerisches in der Luft, wenn Alice Lowe und Steve Oram, zwei britische Stand-up-Comediens, ihren Blick auf die Welt werfen. Da gibt es eine kalte, abgeklärte Lust zu leben, die sich dennoch an unwichtigen Details zu einem mörderischen Feuer zu entzünden droht. Anarcho-Komik und Kindlichkeit, unangenehmer Zynismus und gewinnende menschliche Schwächen zwingen das Publikum zu einem Grenzgang. Nie ist man sich sicher, ob man gerade den richtigen emotionalen Zugang hat. Wenn man Wheatley zwischen dem lieblosen Zyniker Oliver Stone und dem beseelten Pessimisten Mike Leigh verorten müsste, läge er wohl deutlich näher bei Zweiterem. Gut möglich, dass die Idee des Films sogar einem Film Leighs, „Nuts in May“, aus den 70er Jahren entliehen ist. Auch hier entwickelt sich der Campingurlaub eines Paares gewissermaßen „verregnet“. Dass Sightseers trotz seines forcierten Sarkasmus atmosphärisch ziemlich authentisch wirkt, mag damit zu tun haben, dass das Schauspielduo Lowe und Oram auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet. Sie selbst verleihen ihren armseligen Gestalten, die der Welt nichts als Mißtrauen und Abneigung entgegen bringen, eine Art Balance, indem sie für sich selbst vorübergehend doch immer wieder eine absonderliche Nestwärme erzeugen. Dass sie eigentlich einander auch nicht trauen können und vielleicht nicht einmal sich selbst, das wird erst am Ende deutlich. Zwiespältig macht einen auch die Gewalt, deren Darstellung teils drastisch ausfällt. Obwohl nicht ins Zentrum des Films gerückt, stellt sich die Frage, welche inhaltlichen Verluste ohne offene Halsschlagader zu beklagen wären. Letztlich scheinen aber auch diese spekulativen Elemente Teil des perfiden Spiels von Sightseers. Die Poesie der Landschaft und ein ostentativ friedfertiger Score konterkarieren das Geschehen dann immer aufs Neue.