Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Gunnar Landsgesell · 28. Jun 2012 · Film

The Amazing Spider-Man

Auch wenn dieses Remake von Spider-Man keine völlige Neuinterpretation von Sam Raimis Verfilmung von 2002 liefert, überzeugt sie doch mit einem: Anstatt in neuester Technik zu schwelgen, setzt sie auf einen ernsthaften Charakter, dem der nötige nerdige Humor dennoch nicht fehlt. Als einsamer Peter Parker überzeugt Newcomer Andrew Garfield.

So seltsam einem die (Selbst-)Kannibalisierung der US-Filmindustrie im Streben um Blockbuster und Gewinne erscheinen mag. – Das Remake von Sam Raimis Spider-Man (Teil 1) innerhalb von nur zehn Jahren zeitigt – um es einmal positiv zu betrachten – interessante Nebeneffekte, die an die Lust an Neuinterpretationen eines themes in der Musik, etwa im Jazz, erinnern. Je öfter sich jemand daran abarbeitet, umso deutlicher treten Nuancen und Variationen hervor, die nicht primär von den jeweiligen Standards ihrer Zeit herrühren, sondern eigene Akzente setzen sollen. Der Beginn von Spider-Man ist bekannt: Jugendlicher Außenseiter wird von Labor-Spinne gebissen, entwickelt übermenschliche Kräfte und stürzt sich in einen Kampf gegen das Verbrechen, gegen die Polizei und einen anderen Mutanten namens Grüner Kobold. Auch in „The Amazing Spider-Man“ ändert sich das nicht, wiewohl aus dem Grünen Kobold, einst Wissenschaftskollege des verschollenen Vaters von Peter Parker, nun The Lizard wird. Das ist insofern interessant, als die Story – vom Kobold zur Eidechse verschoben – konkreter wird. Sie dreht sich um wissenschaftliche Versuche, Mensch und Tier genetisch zu „versöhnen“, also die Vorzüge aus dem Tierreich in die Humanmedizin zu transferieren. Eidechsen können ihre Schwanzextremität nachwachsen lassen... Rhys Ifans als unsympathischem Dr. Connors/The Lizard entgleitet dieses Experiment freilich.

Der Mensch als Spinne: traurig

Noch deutlicher wird der Zug zum konkret-nachvollziehbaren in Marc Webbers „Amazing Spider-Man“ in der Figur von Robert Parker. Mag Tobey Maguire ein famoser zwei-gesichtiger Typ sein, lässt er als Fan Darling jene düster-zerbrechliche Seite vermissen, die die Comic-Figur in ihrer Vorlage auszeichnet. Der nicht rasend bekannte Andrew Garfield (Boy A; Social Network) schafft als Peter Parker den Spagat zwischen einem nerdigen Spaßismus, etwa wenn er einen Autodieb schnappt, diesen mit seinen Spinnennetzen regelrecht an die Wand pinnt und dann auch noch die Polizei verulkt, und zugleich der tiefen Trauer, die diese elternlose, einsame Figur umgibt. Der ganze Film ist für eine Comic-Verfilmung wie diese ungewöhnlich deutlich von diesem Grundgefühl durchzogen und ist bestens in Garfields Performance geerdet. Und noch etwas wird in der Verfilmung von Marc Webb – nach der erfrischenden Indie-Komödie „(500) Days of Summer“ erstaunlicherweise erst dessen zweite Langfilm-Regie – deutlich: Er schafft eine recht klare Trennung zwischen (sich verhalten anbahnenden) Effekten und einer Auslotung menschlicher Gefühlszustände der Hauptfigur. In dieser Hinsicht, dem Trend der Vermenschlichung von Superhelden, geht Webbs Film noch einen Schritt weiter und folgt damit zugleich den ursprünglichen Intentionen des Spider-Man-Schöpfers Stan Lee. Ob Effekt-Fetischisten angesichts eines vergleichsweise verhaltenen Einsatzes von CGI und SFX zufrieden gestellt werden, ist in Amazing Spider-Man nicht die Frage. Generiert sich die Qualität des Films doch gerade aus Szenen, die nicht das Spektakel bedienen, sondern das, was zwischen dem visuellen Getöse zugelassen wird. Fragen wie jene individueller Verantwortung, die Parker antreiben, sowie persönliche Zweifel über das "Schicksal" von Menschen. In dieser Anlage des Films liegt auch die Antwort auf die Frage, ob dieses Remake nicht „zu früh“ kommt. Ohne Idee wäre es aber auch 20 Jahre später unnötig.

Der Kampf bleibt männlich

An den neuralgischen Punkten des Films, wo sich die Comic-Welt mit der realen vermischt, waltet immer noch genügend anarchischer Energie und ein Hang zum Detail, der erfreut: Die schillernden Spinnen im Laboratorium, in das sich Parker einschleicht, oder die Szene auf der Brücke, als Spider-Man von Lizard in die Tiefe geworfene Autos mit seinen Fäden auffängt und einem ängstlichen Buben seine Kopfmaske zuwirft, um ihn zu ermutigen, sich zu retten, diese Momente wissen ästhetisch und emotional zu überzeugen. Die gigantischen Seile, die Spider-Man zwischen den Wolkenkratzern New Yorks wirft, um sich an ihnen in mächtigen Schwüngen durch die Stadt zu hanteln, vermitteln durchaus ein Gefühl von Dimension und Größe. 3D scheint dafür nicht zentral zu sein, die Regie selbst lotet hier Räume geschickt aus. Dass The Amazing Spider-Man letztlich ein Bubenfilm ist, darüber kann aber auch ein sensibler Protagonist nicht hinwegtäuschen. Während die Rollen mit Garfield, Ifans und Martin Sheen als Peters Onkel stark angelegt und besetzt sind, schwächelt das Drehbuch im Fall von Peters Tante (Sally Field!) und seiner Freundin und Vertrauten Gwen (Emma Stone). Obwohl Gwen in einem selbstaufopfernden Akt – bereits von Lizard tödlich bedroht – noch hoch oben in der Oscorp-Zentrale das Gegengift herstellt, bleibt der Kampf auch in dieser Neuauflage zutiefst männlich.