Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Walter Gasperi · 09. Nov 2014 · Film

Zersplitterte Nacht

Ausgehend von einer Geschichtsstunde mit zwei Maturanten zeichnet Hermann Weiskopf die Entwicklung von Nationalsozialismus und Antisemitismus in Tirol von 1920 bis zur Reichspogromnach am 9. November 1938 mit Zeitzeugen, Fotos, Zeitungsartikel und Spielszenen nach. – Die Vergangenheit dem Vergessen entreissen ist zweifellos eine wichtige Aufgabe und auch an Informationswert, wenn auch oberflächlichem, mangelt es diesem Dokudrama nicht, doch allzu bescheiden ist die filmische Bewältigung des großen Stoffes.

Steril und künstlich wirken die ersten Szenen, in denen eine Musterschülerin und ein fauler Mitschüler, der nichts mehr hören will vom Nationalsozialismus, sich mit ihrer Geschichtelehrerin mit dem Mord an Richard Berger, dem Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde Tirol und Vorarlberg, in der Reichspogromnach beschäftigen sollen.

Von der Gegenwart in die Vergangenheit

Unklar bleibt sowohl, wieso nur zwei Schüler in der Klasse sitzen, als auch, wie die Schülerin zwischen zwei Stunden kurz mal in Israel ein Zeitzeugeninterview machen kann. Für den Inhalt des Films sind solche Details zwar nebensächlich, doch legt Herman Weiskopf damit schon die Gangart vor: Hier geht es nicht darum differenzierte Charaktere zu zeichnen und mit überzeugenden und atmosphärisch dichten Szenen den Zuschauer zu packen, sondern in erster Linie darum, ihn zu belehren.
Reine Trägerfunktion haben diese Schulszenen, dienen einzig dazu die Aufarbeitung der Entwicklung des Nationalsozialismus und Antisemitismus in Tirol an einer gegenwärtigen Situation aufzuhängen und für Schüler als potentielle Zuschauer Identifikationsfiguren zu schaffen.

Tiroler Geschichte von 1920 bis 1938

In die Irre leitet letztlich auch der Titel „Zersplitterte Nacht“, denn nur in etwa die letzten 30 Minuten des 87minütigen Films fokussieren auf der Reichspogromnacht, während davor die Ereignisse ab 1920 nachgezeichnet werden. An der Oberfläche muss der Film dabei zwangsläufig bleiben, denn 18 Jahre Tiroler Geschichte bieten eine gewaltige Stofffülle. So holpert das Dokudrama mit Zeitschriftenartikeln, Fotos, Spielszenen und Zeitzeugen von einem markanten Ereignis zum nächsten.
Informationen werden zweifellos geboten, aber Zeit in die Tiefe zu gehen bleibt kaum. Eindrücklich sind zwar die Zeitzeugeninterviews, doch schleierhaft bleibt, wieso diese immer wieder mit Musik unterlegt werden müssen.
Sehr bieder inszeniert und auch hölzern sind die Spielszenen, die abgehackt aneinander gereiht werden. Da stört nicht nur, dass ein früher Nazi einen Schnauz und Scheitel wie Hitler tragen muss, sondern auch eine geschmäcklerische Farbdramaturgie mit weitgehender Reduzierung auf Schwarzweiß und blassem Rot für Nazifahnen oder Lippen.

Holzschnittartig und steril

Zu kurz und holzschnittartig bleiben diese Szenen auch, als dass die Figuren Profil gewinnen und zum Leben erwachen könnten. Hier werden mehr Phrasen gedroschen als lebensecht geredet. Nie kommt hier wirklich Atmosphäre auf, steril wirken die Räume und auch die – wohl aus Kostengründen bedingte - weitgehende Beschränkung auf intime, private Szenen lässt kein Gefühl für die Zeitstimmung aufkommen. Wenig ergiebig auch eine kurze Szene mit Otfried Fischer als bayrischer Gauleiter Adolf Wagner.
Die Spielszenen sollen zweifellos ein jüngeres Publikum ansprechen, doch überzeugender und packender wäre der Film wohl durch die Beschränkung auf Zeitzeugen und Archivmaterial geworden. – So bleibt der Eindruck eines zwar gut gemeinten und informativen Dokudramas, das aber filmisch nicht überzeugen kann.