Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Christina Porod · 23. Nov 2012 · Kleinkunst, Kabarett

„Zu alt, um jung zu sterben“ – Lächeln mit Andrea Händler im Kammgarn in Hard

Das Publikum ist der Spiegel des Ausdruckskünstlers, formuliert Andrea Händler in ihrem neuen Programm „Naturtrüb“. Zu sehen war dies am gestrigen Donnerstagabend im Kammgarn in Hard. In der gut besuchten Kulturwerkstatt fanden sich viele Frauen in den 40ern+ und nur eine Handvoll Männer ein. Die Kabarettistin quasselte über Wechseljahre und die damit verbundenen Alterserscheinungen, über Existenzängste, Gesundheitswahn, von ihrer Beziehung zum Lebensendzeitpartner „Bärli“, ihrer persönlichen K2-Besteigung - dem Nikotinentzug sowie dem Besuch eines unliebsamen Finanzbeamten.

Quasselei an der Bushaltestelle

Von Beginn an tritt die Kabarettistin in Dialog mit dem Publikum. Sie lässt es nicht nur an ihrem neuen Leben teilnehmen, sondern interagiert auf souveräne Weise mit ihm. Der sprichwörtliche Funke springt gleich über, geht kurz verloren, um dann am Ende wieder zurückzufinden.Gemeinsam mit Andrea Händler und ihrem Einkaufs-Trolley de luxe wartet nun das Publikum auf den Bus. Während sie dauerfächernd versucht ihre Hitzewallungen in Griff zu bekommen, erzählt sie über ihr neues, spießiges, langweiliges Leben. Denn das Kabarettspielen habe sie inzwischen aufgegeben. „Ich denke, also bin ich nicht mehr lustig.“ Da das Publikum ihr den Spiegel vorgehalten hat, will sich sich nun aufs Älterwerden vorbereiten. So hat sie jetzt andere Sorgen: Beispielsweise die Pygmäen - die Kinder - im Tierpark. Mit ihren klangvollen Namen wie Louis Hector Benedikt rauben sie ihr die beste Sicht auf die Tiere. Das Rauchen hat die Kabarettistin schon aufgegeben. Entschieden hat sie dies, als sie das Selchkammerl aus Glas am Flughafen gesehen hat. In einen solchen Suchtopfercontainer kann sich eine Königin, deren Zepter die Zigarette ist, nicht stellen. So versucht sie es mit Soletti als ihr persönliches Methadonprogramm.

Lebensspätnachmittag

Im Designertrolley findet sich allerlei Firlefanz, um den Lebensspätnachmittag zu versüßen. Statt durchzechte Nächte und Metaxa, steht die Lektüre von Kochbüchern, gemäß dem Leitspruch Lafer statt Lover und Apfelsaft naturtrüb auf dem Programm sowie gemeinsame Urlaube mit ihrem „Bärli“. Um ja kein Fall für das Ein-Stern-Pflegeheim zu werden, beugt sie mit Botox, einer Heerschar an Ärzten und diversen Pülverchen und Pillen vor. Mit dem Bärli, den sie kontrolliert ernährt, damit er nicht zu schnell wird und davonläuft, aber dennoch ansehnlich bleibt, macht sie Urlaub in Kärnten. Übrigens ein Tipp der Kabarettistin: Wer sich jung fühlen will, soll Wanderurlaub in der Vorsaison machen. Denn umgeben von Rentner um die 70+ steigt das eigene Selbstwertgefühl.Nun ist es auch soweit, sich Gedanken ums Sterben zu machen. Da will so einiges vorbereitet werden. Denn man stirbt ja bekanntlich nur einmal und das muss sitzen. In diesem Sinne ist eine wohldurchdachte Choreografie nicht zu viel verlangt: die Damen im kleinen Schwarzen, die Männer im Smoking, als musikalische Umrahmung „I will survive“. Schade nur, dass man sich den Zeitpunkt nicht aussuchen kann, denn im Dezember zu sterben wäre ungünstig - zu viele Feiertage - da kommt ja keiner und Statisten kosten Geld.

Und so oder so ähnlich plaudert Händler vor sich hin, mal amüsant, mal banal, aber stets kraftvoll und erfrischend und mit Spaß am eigenen Programm. Zur Höchstform läuft die 48-Jährige auf, wenn sie sich in andere Rollen versetzt und dabei ihr schauspielerisches Talent unter Beweis stellt. Etwa, wenn sie mit gekonnter, teilweise diabolischer Gesichtsmimik und Ausdruckskraft zwischen Mann und Frau changiert und deren gegenseitigen Lügengeschichten aufzeigt. Unterstützend wirkt die Lichtdramaturgie, die nicht nur die jeweiligen Rollenwechsel anzeigt, sondern auch der entsprechenden Rolle Gestalt gibt. Totlachen muss man sich nicht, nichtsdestotrotz beschert einem Andrea Händler ein beständiges Gute-Laune-Lächeln.

Nach der Pause nimmt sie das Publikum mit nach Hause, wo ein Finanzbeamter eine Steuerschuld feststellt. Denn er will partout nicht begreifen, dass Botox, Jakobsmuscheln oder rosa Boots steuerliche Abschreibposten sind. Was bedeutet: Andrea Händler muss zurück auf die Bühne. Man darf also auf ihr nächstes Programm gespannt sein.