Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Christina Porod · 28. Sep 2012 · Kleinkunst, Kabarett

Der Zeitgeist geht ihm zeitweise auf den Geist – Christoph Sieber im Zeughaus

Ein vielgestaltiges und interaktives Programm lieferte am vergangenen Donnerstagabend der mehrfach preisgekrönte Kabarettist Christoph Sieber im fast zur Gänze gefüllten Zeughaus in Lindau. „Ich kann Sie beruhigen, das Programm wird gut .... und die Zugabe sogar sehr gut“: Dieses Versprechen will eingehalten werden und es wird auch. Der studierte Pantomime und Schauspieler bietet in seiner Show „Alles ist nie genug“ so einiges: Kabarett, Comedy, Pantomime und Parodie vereint mit Polit-Jonglage, Rap-Gesang sowie Breakdance-Einlagen.

September-Bilanz

Der 42-Jährige zeigt ein breites Repertoire und zieht bereits Jahresbilanz: Sieber möchte nicht feudal regiert werden, es sei denn von Hape Kerkeling als Königin Beatrix. Er macht sich Gedankten über das Politikgeschehen. Dabei nimmt er nicht nur die Bundeskanzlerin Angela Merkel und das „Eichhörnchen auf Ecstasy“ Claudia Roth aufs Korn, sondern auch die kalte CDU Politikerin Ursula von der Leyen, die sich morgens in den Kühlschrank setzt, um sich aufzuwärmen. Einige der politischen Themen, wie das gescheiterte Projekt der Bildungsgutscheine oder die Causa Guttenberg haben ihre Aktualität vielleicht schon verloren, was aber die Lust ihm weiter zuzuhören nicht schmälert.

Absurditäten

Zudem nimmt er die Absurditäten des Technologie-Fortschritts unter die Lupe, sinniert beispielsweise über Sinn und Unsinn eines Unterwasser I-Pad. Auch ganz Profanes kommt nicht zu kurz: Dazu gehören bissige Bemerkungen über Radfahrer, die sich mit ihren dicken Bäuche in zu enge T-Mobile-Shirts zwängen. Beim gedehnten T wisse man dann, woher der Begriff Breitensport kommt. Die Themen wechseln Schlag auf Schlag. In Zeiten von Google wäre die Geschichte um Romeo und Julia nicht mehr denkbar. Einmal gegoogelt, hätten die beiden gleich erkannt: "Äh-äh, das wird nix!" und die berühmteste Liebesgeschichte hätte nie stattgefunden. Wer sich schon immer eine schmucklose Definition von Lobbyist gewünscht hat, Christoph Sieber hat sie: Jemand, der im Lift furzt und dann sagt: „Uih hier stinkt’s“.

Kollektiver Wutschrei

Der Kabarettist empört sich und ruft zum zivilen Ungehorsam auf: Schokolade auch nach 22 Uhr. Er bietet seinem Publikum Hilfe an: „Sagen Sie mir, was Sie wütend macht, und ich lass es für Sie raus!“ Nach kurzem Schweigen sind doch einige Schlagworte aus dem Publikum zu hören: Geschwindigkeitsbegrenzung, Coffee to go, Bequemlichkeit. Mit diesen Worten improvisiert er. Die Szene sollte in einem kollektiven Wutschrei enden. Tat sie, so ungefähr.

Multitalent

Seine Körperbeherrschung und Bühnenpräsenz sind bemerkenswert. Höhepunkt ist die Slow-Motion-Sport-Pantomime unterlegt mit der Musik „Conquest of Paradise“. Während das Multitalent Sieber galoppiert, rennt und sich in detailgetreue Gesichtsverrenkungen verliert, tobt das Publikum. Seine Körper- beziehungsweise Gesichtsakrobatik reißt die Zuschauer von den Stühlen. Beim Poetry-Slam-Battle stellt er auch noch seine Wortakrobatik unter Beweis.

Kritik und Klamauk

Den Spagat zwischen Schelmerei und Ernsthaftigkeit beherrscht der gebürtige Schwabe mit Leichtigkeit. Zwischendurch schlägt er immer wieder ernste Töne an; philosophiert, wird vom Satiriker zum Sozialkritiker. Warum muss man die Banken retten und vergisst dabei die Hungernden in Afrika? Von Hungersnöten ist in den Nachrichten kaum etwas zu hören, ... aber der DAX schwächelt. Immer wieder schafft es Sieber die Stimmung kurzzeitig kippen zu lassen, absichtlich, um die nachdenkliche Sphäre, die plötzlich im Raum schwebt, einige Sekunden später wieder vom Tisch zu wischen und die Zuschauer wiederum Sekunden später zum Johlen zu bringen.

Vielleicht ist nicht jeder Witz ganz neu, dem Gesamtkonzept der Show schadet dies jedoch nicht. Er drückt dem Publikum die Tränen raus, was es mit tosendem Applaus und Fußgetrappel belohnt. Der sichtlich gerührte Kabarettist nimmt dankend an und beendet den Abend mit den Worten: „Man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist. Jetzt ist es am schönsten. Glauben Sie mir, ich kenne die Texte, die noch kommen.“