Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Thorsten Bayer · 08. Mai 2015 · Kleinkunst, Kabarett

Kreativ und handwerklich perfekt: Musik- und Puppentheater von und mit The Paper Cinema beim Seelax-Festival

Homers berühmtes Epos um Odysseus, den König von Ithaka, haben fünf junge Künstler aus Großbritannien in eine ganz neue, visuell überwältigende Form gebracht. Die Bewegungen von ausgeschnittenen Figuren aus Papier wirft eine Kamera an die Leinwand. Dazu spielt ein Drei-Mann-Orchester. Ein absolut sehenswertes Erlebnis – Gelegenheit dazu gibt es noch zwei Mal im stimmungsvollen Freudenhaus-Zelt am Platz der Wiener Symphoniker in Bregenz.

Odysseus und vor allem seine sprichwörtlichen Irrfahrten durch das Mittelmeer sind wohl den meisten ein Begriff. Das fast dreitausend Jahre alte Werk ist Teil des allgemeinen Bildungskanons und die ersten Verse daraus sind viel zitiert: „Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes, /Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung, / Vieler Menschen Städte gesehen, und Sitte gelernt hat, / Und auf dem Meere so viel’ unnennbare Leiden erduldet ...“ Dass man diese uralte Geschichte auch ganz anders, mit ganz anderen Mitteln erzählen kann, beweisen fünf junge Briten. The Paper Cinema wurde 2004 von Nicholas Rawling, Imogen Charleston und Christopher Reed gegründet. Die beiden Herren sind auch in Bregenz, bei der Österreich-Premiere ihrer neuesten Produktion, noch mit von der Partie – Rawling als Künstlerischer, Reed als Musikalischer Leiter. Die linke Bühnenhälfte gehört zwei Puppenspielern und Zeichnern, rechts sitzen die Musiker, die Gitarren, Violinen, Keyboards und singende Sägen bedienen – und dazu noch den einen oder anderen Soundeffekt beisteuern. So entsteht ein Live-Soundtrack, der wesentlich dazu beiträgt, dass sich der Zuschauer wie in einem Kinosaal fühlt.

Ausdrucksstark

Die ersten Momente der Show sind gleich ganz besondere. Die Bilder zur Vorstellung der Charaktere – König Odysseus, seine Frau Penelope, der gemeinsame Sohn Telemachos, die Göttin Athene – entstehen mit wenigen, aber treffenden Strichen mit einer Tuschefeder live vor den Augen des Publikums und werden auf eine Leinwand projiziert. In der Folge kommen die ausgeschnittenen Papierfiguren zum Zuge. Die Handlung setzt mit dem Abschied von Odysseus’ ein, den seine Familie in den direkt folgenden Szenen erst 20 Jahre später wiedersehen wird.

Beeindruckend bei diesem Zeitsprung sind die ausdrucksstarken Gesichter der schmal gewordenen Penelope und des zornigen Telemachos. Erinnerungen vermitteln die Künstler durch geschickt eingesetzte Überblendungen. Viel fehlt da wirklich nicht zu einem „richtigen“, herkömmlichen Filmerlebnis. Ähnlich verschachtelt wie Homers Vorlage ist dann auch diese Version im Freudenhaus. Ein kurzer Blick in die Odyssee vor dem abendlichen Besuch ist zu empfehlen: Der optische Genuss stellt sich zwar in jedem Fall ein, doch die Einordnung mancher Szene fällt nach etwas Recherche doch deutlich leichter.

Charmanter Auftritt

Deutlich spürbar ist die Spielfreude der Künstler, die ihrer Show auch einen Hauch von „Kindergarten für Erwachsene“ verleihen, wie Lyn Gardener im Guardian treffend schrieb: „It has the make-do dash of a nursery entertainment for grownups. Which is all part of the charm.“ Besonders gelungen ist die moderne Interpretation von Telemachos’ Suche nach dem Vater. In bester Easy-Rider-Manier findet er sich mit nacktem Oberkörper auf einer Harley wieder, zur musikalischen Untermalung holen die Bandmitglieder ihre Busfahrer-Sonnenbrillen heraus. Neben diesen ausgelassenen, witzigen Szenen sind die unheimlichen, martialischen Momente wie im Reich des Hades oder beim Kampf gegen den Zyklopen ebenso überzeugend. Zwar zieht sich manche Einstellung etwas. Dennoch sind 70 Minuten Spielzeit (ohne Pause) schnell vorbei, das Publikum spendet langanhaltenden Applaus.

 

The Paper Cinema´s Odyssey ist noch am heutigen Freitag sowie morgen, Samstag in Bregenz zu sehen. Los geht es jeweils um 20.30 Uhr, Einlass ist um 19.30 Uhr.
www.seelax.at
http://thepapercinema.com