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Ingrid Bertel · 23. Sep 2014 · Literatur

… bis i wiße Gägl schiß - „Das unanständige Lexikon. Tabuwörter der deutschen Sprache und ihre Herkunft“ von Robert Sedlaczek und Christoph Winder

Das Titelbild zeigt die Piktogramme eines Mannes und einer Frau, beide mit zusammengekniffenen X-Beinen. Schimpfwörter sind Ausdrücke für Geschlechtsorgane und Körperausscheidungen, das macht das „unanständige Lexikon“ von Christoph Winder und Robert Sedlaczek von vornherein klar und präsentiert Herkunft und Verbreitung des Unsagbaren mit verspielter Lust an der Provokation.

Einmal hab ich einen ziemlich coolen Mann kennengelernt. Er zuckte nie aus. Kein „Scheiße“, kein „verdammt“, kein „Arschloch“ kam je über seine Lippen. Es war, als ob er diese Wörter nicht kennte. In den 21 Jahren unserer Freundschaft habe ich ihn ein einziges Mal fluchen gehört. „Holy fuckin‘ Jesus“ sagte er da – und das war auch wieder cool.
Die Coolness verdankt sich der sprachlichen Entfernung. Das behaupten zumindest die beiden Lexikon-Autoren und haben ein entsprechendes Beispiel parat: „Österreicher halten das Wort 'pissen' für relativ anständig, während das einheimische Wort 'brunzen' in ihren Ohren unanständig klingt. Als wir einer Rheinländerin erzählten, dass die Stadt Wien einige kleinere Parks für Hunde reserviert und dort alte Autoreifen mit der Aufschrift 'Pissringe' als Hundeklo aufgestellt hatte, war sie entsetzt. 'Wie können es Stadtväter zulassen, dass so ein unanständiges Wort im öffentlichen Raum verwendet wird?' – 'Was hätten sie sonst schreiben sollen? Brunzringe?' – 'Ja. Das wäre lustig gewesen.' Das Unbekannte, das Fremde, das Neue klingt nicht nur anständig, es amüsiert auch.“
Vergnüglich ist gemeinhin auch die Grenzüberschreitung, das Ausloten des gesellschaftlichen Rahmens – kreativerweis mittels sprachlicher Neuschöpfungen oder im findigen Einsetzen des Dialekts. Die Lexikon-Autoren erfreut das dermaßen, dass sie neben allerlei Austriazismen auch alemannische, plattdeutsche oder friesische Wendungen mit aufnehmen. Und mit einer überraschenden Erkenntnis aufwarten können: die Wörter differieren, die Bilder aber nicht. „Was die einen als 'Furz mit Fransen' bezeichnen, ist für die anderen ein 'Pup mit Puschel' oder ein 'Schas mit Quasteln'“.

Altes, fünfzigjähriges Stück Scheiße


Was ist schlimmer: Vulgäres tun oder Vulgäres sagen? Die Frage spielt eine nicht unbeträchtliche Rolle in Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“. Da hetzt eine Gruppe zu jeder Niedertracht entschlossener Biedermänner die naive Marianne und spürt auch in der vitalen Valerie ein potenzielles Opfer auf. Gut getarnt hinter einem Wiener Wald voller moralischer Keulen, gemütvoller Floskeln und Goethe-Zitate („das sind doch nur Kalendersprüch“), nimmt keiner ein schmutziges Wort in den Mund. Keiner außer dem Deutschen Erich. Als ihm seine Geliebte Valerie vorschlägt, man möge sich „als gute Kameraden“ trennen, wirft er ihr ein „altes, fünfzigjähriges Stück Scheiße“ nach.

Horváths rabenschwarzer Humor konzediert dem Außenseiter Erich ein offen ordinäres Benehmen, und darin liegt eine höhnische Kampfansage ans Bildungsbürgertum: Erich, dieser sich stets nationalistisch und paramilitärisch gebärdende Ungustl, ist immer noch besser als der gemütvolle Scheißhaufen von Zauberkönig, der sentimental-sadistische Metzger Oskar oder die eiskalt mordende Großmutter mit der Zither und den seligen Walzermelodien.
Erichs Grobheit allerdings richtet sich nicht zufällig gegen das weibliche Geschlecht. Ein Gutteil der Schimpfwörter und Vulgärausdrücke beziehen sich in aggressiver Abwertung auf Frauen. Wo ein „Schürzenjäger“ mit augenzwinkernder Anerkennung rechnen darf, kann sich die „Dorfmatratze“ des Gegenteils gewiss sein.
Aber Horváth hat sein Stück 1931 geschrieben, und heute ist die Frau nicht mehr eine, die „die Beine breit macht“ und ihn „drübergelassen hat“. Die Abwertung richtet sich jetzt auch gegen den Mann:  „Sei ehrlich, Karin! Hast Du diesen Typen gleich in der ersten Nacht gebumst?“ Doch eine Rapperin wie Lady Bitch richtet den aggressiven Impuls ungebremst gegen Frauen: Die Soul-Sängerin und Doku-Soap-Darstellerin Sarah Connor etwa bezeichnet sie in dem Song „Ich hasse dich!“ als „Schleimfotze, Pissnelke, Fickgrotte, Kackbratze und Dorfmatratze“. Die flächendeckende Ausbreitung des Trampels sei das sichtbarste Ergebnis des Feminismus, seufzte da schon vor Jahren Hans Magnus Enzensberger.

Füdlafetischist


Tabuwörter können durchaus ein Fall für Bildungsbürger sein. „Fut“ und „Schwanz“ kann jeder Idiot sagen, aber einen „Zebedäus“ geschickt zu platzieren, dazu müsse man „Hebräisch können und bibelfest sein“, behaupten die Lexikon-Autoren. Wohl in Unkenntnis der Tatsache, dass sich im Raum Bludenz der „zepedäus“ (ohne Bilbelfestigkeit) seit jeher prima behauptet. Eine lokale Besonderheit steckt auch in Reinhold Bilgeris Song vom „Füdlafetischist“:

„He, Psychiat’r, säg wie nennt ma däs,
die Luscht nach einem Frauengesäß?“
„Sie sind ein Füdla…Sie sind ein Füdlafetischst!“

Meinerseits hätte ich in mörderlicher Ungebildetheit „Füdla“ ja mit „Hintern“ übersetzt und nicht mit „Vagina“.
Euphemismen wie „Sackzement“ verhüllen das Tabuisierte auf ihre Weise. Sedlaczek und Winder zitieren den Linguisten Steven Pinker, der meint, „dass sich beim Fluchen ein Übergang vom Religiösen zum Sexuellen und Fäkalen vollzieht“. So werde etwa aus „Heilige Maria!“ ein bündiges „Heilige Scheiße!“ Man kann aber das Tabuwort auch eleganterweise auslassen, weil man beim Gegenüber die Verwendung voraussetzt. Wer harmlos fragt „Wer hat da einen fahren lassen?“ überantwortet auch sprachlich die stinkende Tat dem andern.

Schaumrolle rückwärts


Im Juli ist in Russland ein „Gesetz zum Verbot von nicht normativer Lexik“ in Kraft getreten. Es verbietet Flüche und vulgäre Ausdrücke in Filmen, im Theater, auf Konzerten, in der Literatur. Das ist ein massiver Fall von Zensur, bedenkt man, dass seit Goethes Zeiten gerade die Kulturschaffenden sich um Tabuwörter und Fäkalausdrücke verdient machen. Den Nachweis der Frauenfeindlichkeit hätten die Lexikon-Autoren ohne Literatur und Liedgut gar nicht erbringen können. Ausgeklammert haben sie dagegen abwertende Wörter für Homosexuelle, so viel pc muss sein. Schließlich soll das Unanständige LeserInnen eine gewisse Freude bereiten. Wie das gelingt, zeigt ein Lied von Schellinsky, in dem es heißt „I wet all Schumrolla essa, bis i wiße Gägl schiß“.

 

Robert Sedlaczek, Christoph Winder, Das unanständige Lexikon. Tabuwörter der deutschen Sprache und ihre Herkunft, 280 Seiten, EUR 17,90, ISBN 978-3-7099-7136-9, Haymon Verlag, Innsbruck 2014