Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Ingrid Bertel · 16. Okt 2012 · Literatur

„Allmeinde Vorarlberg – Von der Kraft gemeinsamen Tuns“ – Rita Bertolini nimmt ein aktuelles Thema auf

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat 2012 zum Jahr der Genossenschaften erklärt. Keine schlechte Idee angesichts der Finanzkrise. Dennoch reagierte die Öffentlichkeit kaum darauf. Rita Bertolini ist da anders. In ihrem neuen Bildband „Allmeinde Vorarlberg“ spürt sie Genossenschafts-Modelle von der mittelalterlichen Allmeinde bis zur aktuellen Finanzgebarung der Raiffeisenbanken auf.

New Lanark, Schottland. An seinem Schreibtisch, unter dem Portrait des Textilindustriellen Robert Owen, schwärmt Ian Macdonald von einem erfolgreichen Modell: Mehr als 100 Millionen Menschen, mehr als das Personal aller multinationalen Konzerne zusammen arbeitet bei Genossenschaften. 3000 Milliarden Dollar jährlich generieren allein die 300 Top-Genossenschaften. Dabei gelten Genossenschaften irgendwie als nicht mehr zeitgemäß, als eine Erscheinung des 19. Jahrhunderts. Damals wurden sie in gewisser Weise auch erfunden, etwa vom Textilindustriellen Robert Owen.  In seinem Fabrikskomplex führte er bahnbrechende Sozialreformen ein und profitierte davon ebenso wie die Arbeiter. Bis solche Ideen in Vorarlberg ankommen, dauert es seine Zeit. Einer der Hellhörigsten ist, wen wundert’s, Franz Michael Felder, der auch gleich zum Kern des Problems vordringt. In der Beilage zu einem Brief an Josef Feuerstein formuliert er: „… dem Arbeiter muss als Arbeiter, nicht als Konsument, als welcher er kaum neben dem Kapital zum Vorteil kommt, geholfen werden“.

Das war eine deutliche Absage an das Modell, das der Kennelbacher Lehrer Wendelin Rädler propagierte. Er stützte sich auf die von Friedrich Wilhelm Raiffeisen entwickelte Hilfe zur Selbsthilfe, die den Vorteil breiter Erfahrung und ausgearbeiteter Statuten hatte. Durchgesetzt hat sich das Modell Raiffeisen allerdings erst 1888, als Lustenau durch die Rheinüberschwemmung in Not geriet und niemand der verarmten Gemeinde Geld borgen wollte.

Auswege aus der Finanzkrise

„Gemeinwohl vor Eigennutz, Geld als redliches Mittel und Tauschwert, nicht als entfesselter Selbstzweck, der sich letztlich sowohl der gesellschaftlichen als auch der politischen Kontrolle entwindet“, propagiert Wilfried Hopfner, Vorstandsvorsitzender der Raiffeisenlandesbank. Noch vor wenigen Jahren wären einem Banker ob solcher Absage an die heiligen Kühe der Finanzmärkte wohl die Zunge verdorrt. Hopfner aber findet Unterstützung im eigenen Haus. Es sei ja wohl kein Zufall, dass die Genossenschaft weltweit die häufigste Rechtsform darstellt, merkt der Jurist Johannes Ortner an. Und der Betriebswirt Jürgen Kessler sekundiert: „Je stärker Globalisierung und Kapitalismus werden, desto mehr wird die Genossenschaft zur Alternative. Das hat uns die Geschichte gelehrt. Als im Zuge des Manchester-Liberalismus die Menschen verarmten, waren die ersten Genossenschaften die Antwort darauf.“ Womit wir wieder bei Robert Owen wären. „Bis jetzt sind Wirtschaft und Demokratie ja ziemliche Gegensätze. Wir in der Genossenschaftsbewegung sagen: Auch das Wirtschaftsleben sollte demokratisch sein, nicht nur das Regierungssystem eines Landes“, sagt Ian Macdonald, jener Mann, der von seinem Schreibtisch in New Lanark aus das Erbe Owens pflegt. „Geld, ursprünglich das Medium des Austausches und des Handels, wurde selbst zu einer Ware – die Anhäufung von Kapital als ‚Selbstzweck’, das Streben nach individuellem Wohlstand ohne Rücksicht auf die soziale Komponente.“

Zugegeben, das klingt gut. Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Rita Bertolini hat den Reality-Check gemacht und sich 21 Vorarlberger Genossenschaften näher angesehen. Das reicht von einer Seilbahn, die in den 1960er Jahren die Abwanderung vom Schnifner Berg eindämmte bis zur Bregenzerwälder Netzwerkgenossenschaft „witus“, die 140 Unternehmen in einer Kooperative vereint.

Neue Grundlagen für Allmeinde

Ist dieser Genossenschaftsgedanke ein Ergebnis der Industrialisierung? Nein, sagt der Historiker Meinrad Pichler – und verweist auf einen veritablen Treppenwitz der Geschichte:  Über Jahrhunderte gab es in den bäuerlichen Gemeinden Vorarlbergs die „Allmeinde“, eine Weidefläche, die allen zur Benutzung offenstand und für in Not geratene Familien eine Art Grundsicherung bedeutete. Doch ausgerechnet im 19. Jahrhundert wurden die Allmenden aufgelöst und verkauft. Das hatte, so Pichler, nicht zuletzt ideologische Gründe. Dem englischen Ökonomen Adam Smith zufolge reize nur Privateigentum den  Besitzer zu wirklicher Leistung an. „Eigentum führe zur Steigerung der Produktivität. Der gemeinschaftliche Besitz hingegen lähme die Eigeninitiative und sei ständig der Gefahr einer Übernutzung oder Vernachlässigung ausgesetzt.“ Was durch die Kapitalisierung entstand, sind die Agrargemeinschaften, doch im 21. Jahrhundert, so Pichler, müsse man die Allmende auf neuer Grundlage wieder einführen.

„Allmeinde Vorarlberg“ ist kein trockener Wirtschaftsbericht – Rita Bertolinis hervorragende Fotografien und ihr breit gefächertes Besuchsprogramm sorgen für Spannung. „Allmeinde Vorarlberg“ wird so zur Entdeckungsreise in ein aufschlussreiches Stück Vorarlberger Realität. Als Beigabe zum Buch gibt’s einen Film von Frank Mätzler, der auch einige der im Buch abgedruckten Interviews geführt hat.

 

Rita Bertolini: Allmeinde Vorarlberg, Bertolini Verlag, Bregenz 2012, 416 S., ca. 450 Farbabbildungen, ISBN 978-3-9502706-2-4. Dem Buch liegt ein Film von Frank Mätzler bei. Buch und Film entstanden nach einer Idee der Vorarlberger Raiffeisenbanken.
Weitere Infos: www.allmeindevorarlberg.at
Ab 20. Oktober im Buchhandel.