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Peter Niedermair · 27. Feb 2014 · Literatur

„Die Tote im Cellokasten. Inspektor Ibeles schwärzester Fall“ - Der neue Peter Natter Krimi

Chefinspektor Isidor Ibele ist eine Art alter ego Peter Natters und wie sein Autor ein leidenschaftlicher Verehrer der guten Küche und gewiefter Zyniker, bei dem die Kriminalhandlung an sich, wie beim Privatdetektiv Carvalho des katalanischen Autors Manuel Vázques Montalbán, nicht wirklich im Vordergrund steht. Natter geht es in seinem neuesten, im Haymon Verlag Innsbruck erscheinenden, Taschenbuch-Roman um eine kritische Beobachtung seiner Vorarlberger Heimat. In seinem ironisierenden Erzählduktus, den zahlreichen literarischen Vernetzungen und philosophischen Zitaten ist der glokal taktende Ibele einer, der seine Heimat gegen ihre Verehrer verteidigt, der das Land in seinen Selbstkonstruktionen, den Institutionen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, von der Politik bis zur Seitenblicke Gesellschaft, mit messerscharfer Ironie und ausgesprochen üppiger sprachlicher Lust portraitiert. Die Literarisierung dieser außersprachlichen Wirklichkeit, jenes Vorarlberg in den Möchte-Gern-Wichtigkeiten, entwickelt zwischen dem Prolog und dem Epilog in 30 Kapiteln, im Tempus des Präsens, ein rasantes Tempo, das die Leser in die „Wälderness“ hineinzieht. Das lokale Roman-Epizentrum bilden Schwarzenberg und der Bregenzerwald mit überregionalen Bezügen bis nach Schweden, Italien und Zürich. Durchsetzt ist der Roman mit philosophischen Exkursen, unter anderem über das Wahrnehmen und Erinnern. Den Kapiteln vorangestellt sind Zitate. Lokale Phänomene sind sehr präzise recherchiert. Wenn es Schwarzenberg einmal nicht mehr gäbe, könnte man es nach Natters Literatur wieder konstruieren, ob post-Maestro Alpabtrieb oder Hirschen-Adler-Hirschbühl-Tanzhaus im Zentrum.

Das kriminalistische Begehren

Das personale Inventar in Ibeles schwärzestem Fall, „Die Tote im Cellokasten“, ist gottseidank dasselbe geblieben wie in den vorigen Romanen. Nach drei Inspektor Ibele Romanen kehrt Ibeles kriminalistisch-aufklärerisches Begehren in den Bregenzerwald zurück, an jene Orte, die dem Autor in seinen lebensgeschichtlichen Erfahrungshorizonten so bekannt sind wie nur irgendwas. Dort kann er Ibele „kruzinesisch“ fluchen lassen, kann an das Tannenzapfenspiel in Franz Michael Felders Autobiographie „Aus meinem Leben“ erinnern. Er kann die kleinkriminellen Betrügereien im Bereich der kriselnden Landessportförderung ebenso thematisieren wie die grenzwertigen Grundstücksgeschäfte am Rhein, auf Brustschnipslereien spezialisierte Schönheitsoperateure und diverse Landesräte, deren Karikaturen etwas anders daherkommen als die im „Vorarlbergboten“ gezeichneten. In Ibeles Bregenzer Bürovorzimmer begegnet der Leser der prächtigen 20-jährigen Antoinette Hagen, Sekretärin aus Lustenau, die einen ebenso reichen wie kulturbeflissenen Onkel hat und der niemand etwas vormachen muss und kann. Natürlich lässt sich Ibele ihren provençalischen Lavendelduft in sein Büro wehen. Und sie ist attraktiv. Very. Ma Marseillaise oder ma Bouillabaisse nennt Ibele sie neckisch. Nach allen irdischen Maßstäben liebt der Inspektor seine Gattin Rosalia weiterhin – und wie innig. Er ruft sie „Rösle“, wofür es die ganze Macht und Dynamik von fünfundzwanzig Ehe-Jahren braucht; mit dieser Liebe stellt Natter eine kongeniale Verbindung zu Friedrich Glausers Wachtmeister Studer her.

Was Ibele zum Schwitzen bringt

Der Plot, über den wir hier zu schweigen haben, ist schnell skizziert. Natters knapp 200 Seiten langer Roman lebt stark von seiner inneren Spannung, mehr eigentlich davon als von klassischer Tatort-Suspense. Dennoch bleibt der Roman bei allen Morden, bei allen guten Dingen sagen wir auch nicht, wie viele es sind und auf welche Weise sie abgemurkst werden, durchgehend spannend. Nur so viel sei an dieser Stelle verraten: Es geht eingangs um ein künstlerisches Großereignis in Schwarzenberg, ein Festival, das in seinem zeitlichen Aufeinandertreffen mit einem animalischen doch ebenfalls Großereignis schon zu kollabieren drohte. In der Garderobe wird eine wunderschöne, begehrenswerte Frau gefunden. Tot. Ein Cellokasten kommt ins Spiel und mit diesem Inspektor Ibele. Zum Zwecke seiner Ermittlungen muss er den durch Mörike geadelten Hirschen und den nebenan gelegenen Adler aufsuchen, durchaus auch kulinarisch. Dort trifft er zwischen Freitag, 6. und Freitag, 13. Sept. 2013 auf betuchte Konzertbesucher, die er interviewt, während er über dem Dorfplatz drüben, bei der Hirschbühl im Schaufenster, die norwegischen Strickmodelle auf Rösle Geschenkstauglichkeit begutachtet. Ein anderer Schauplatz liegt an der abgelegenen Roten Egg, wo der Autor ein anderes Schwedenbild als mit den drei skandinavischen Protagonisten präsentieren kann, eines, das der Sage nach historisch mit weiß gekleideten Frauen zu tun hat. Von dort leitet Natter über zur Bregenzerwälder Tracht, die dem Leser über einen Trachtenfetischisten nahegebracht wird. Hier kommt Ibele ins Schwitzen. Er löst die Fälle teilweise mit kriminalistischer Akribie, doch letzten Endes lässt Ibele auch andere Romanfiguren zur Aufklärung der Ereignisse beitragen. Der Franz vom Hirschen mit seiner großen gastgeberischen Könnerschaft spielt eine anschaulich konturierte Nebenrolle.

Wenn der Käse am Ende in der Wiese landet

Peter Natter ist, wie ich finde, mit „Die Tote im Cellokasten“ nicht nur der schwärzeste Ibelefall gelungen, sondern der bisher stärkste. Ein Kriminalroman, der sich meisterhaft auf die hiesigen lokal-regionalen Verhältnisse einlässt, ohne dabei in voyeurhafter Weise reale Personen vorzuführen, der mit seinen zahlreichen literarischen und philosophischen Querbezügen die große Welt in der kleinen zusammenführt, ein Roman, der Alltagsgeschichten mit Helden, die keine Helden sind, bepackt, ein Roman, in dem ein Inspektor zwischen der Liebe zu einer Frau und Loireweinen changiert, ein Krimi, der sich durch eine sehr achtsame Beschreibung von Menschen auszeichnet, ein Text, der in seinen Spuren suchenden Interventionen dem Leser eine offene Erzählstruktur bietet. Der neue Roman hat mit Heimatkunde zu tun und ist für „Einheimische“ wie für „Fremde“, die den Bregenzerwald besuchen, eine solide Grundlage, in eine der schönsten Regionen Vorarlbergs einzutauchen. Der Text wirkt über seine Fiktionalität und sein Ende hinaus.

 

Peter Natter, Die Tote im Cellokasten. Inspektor Ibeles schwärzester Fall, 192 Seiten, EUR 9,95, ISBN 978-3-85218-952-9, Haymon Taschenbuch Nr. 152, Innsbruck-Wien 2014, auch als e-book erhältlich