Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Ingrid Bertel · 18. Jul 2012 · Literatur

„Ich fühle mich zu tausend Prozent jüdisch“ – Marina Belobrovaja auf der Suche nach dem spezifisch jüdischen Gen

Schwer zu sagen, ob die Realsatire in diesem Buch überwiegt oder doch die Differenziertheit dessen, was alles „jüdisch“ sein kann. In einem Buch und einer Videopräsentation im Jüdischen Museum Hohenems untersuchen Marina Belobrovaja und Katarina Holländer die „jüdische DNA“.

„Wieder mal finde ich, dass die besten Satiren die Realsatiren sind“, meint Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, in seinem Statement. Sein Statement ist das dritte von insgesamt 45, die die israelische Künstlerin Marina Belobrovaja von Menschen aus der Ukraine, Russland, Israel, Deutschland und der Schweiz einholte – Ländern, in denen sie selbst gelebt hat. Ausgangspunkt für die Statements ist eine einigermaßen bizarre Firma in Zürich: „i-Genea“ führt Gentests durch, mit Hilfe derer Menschen angeblich herausfinden können, ob sie Juden sind oder nicht. Offenbar interessieren sich für diese Tests vor allem Menschen, die jüdisch sozialisiert worden sind. „Gerade Juden, die so sehr unter solchen Entwürfen gelitten haben, sind jetzt diejenigen, die diese Herangehensweise wiederholen“, ist Marina Belobrovaja fassungslos.

„Es ist doch easy! Finde heraus, ob deine Mutter slawisch oder dein Vater arabisch ist“, meint hingegen der Student Joav Beirach aus Yaffa. Der Physiker Efim Kredenzer fügt hinzu: „Bekanntlich haben Wissenschaftler das jüdische Gen entdeckt, das sich von anderen Genen unterscheidet. Deshalb verstehe ich das Jüdisch-Sein in erster Linie biologisch.“ Und der Biologe und Designer Yakov Karda erzählt vom männlichen Y-Chromosom der Cohanim, das vom Vater zum Sohn weitergegeben werde. Bekommt man es in „The DNA-Project“ also mit geballtem Irrsinn zu tun?

Nein, aber es wird auch klar, welche extrem unterschiedlichen Ansichten und Lebensmodelle das angesprochene Thema berührt.

„Korrekte Juden“


Gibt es die „korrekten Juden“, fragt skeptisch Galina Glusker. Wenn’s um die DNA geht, ist hier jedenfalls schon Schluss. „Ich bin kein Jude“, sagt Jonas Bieber aus Berlin. „Mein Vater ist Jude. Ich bin kein Jude, weil meine Mutter nicht jüdisch ist.“ Das mit der jüdischen Mutter macht vielen zu schaffen, und die Religion auch. Für die jungen Menschen unter ihnen scheint sie eine wesentlich zentralere Rolle zu spielen als für die älteren. Nina Shapira aus St. Gallen ist mit 20 konvertiert; die Ukrainerin Marina Lysak meint: „Viele Jungs heute lassen sich beschneiden, nehmen jüdische Namen an und vertiefen sich in die Religion“. Zu ihnen gehört Arseniy Finberg, der sich nach einem überwältigenden Erlebnis beschneiden ließ – einem Pessach-Fest in einem Dorf bei St. Petersburg. 70 Jahre lang war dort das Fest nicht gefeiert worden, und der junge Mann staunte: „Diese Menschen haben ihre Traditionen über so viele Generationen bewahren können. Wer bin ich, dachte ich mir, um dieses Erbe abzulehnen, das nicht weiter tragen zu wollen?!“ Es ist die Wucht dieses Traditionsbewusstseins, die auch die junge Biologin Galina Glukser dazu brachte zu konvertieren, obwohl „ich nicht an Gott glaube“. Esther Eppstein fährt unvermittelt dazwischen: Sie hat keine jüdische Mutter und dadurch Schwierigkeiten, einen israelischen Pass zu bekommen. Will sie ihn? Eigentlich nicht, denn „das sind Regeln, die mich an Rassengesetze erinnern“.

Jude oder Weltbürger?


Zwiespältig wie die Religiosität erleben auch viele Gesprächspartner den Topos vom „auserwählten Volk“. Der 35jährige Daniel Baraev beharrt ganz naiv darauf. Gleichzeitig betont er, wie schwierig der Alltag in Israel sich gestalte. Viele Freunde sind in die USA ausgewandert – und Baraev zieht daraus den Schluss: „Ich denke, dass nicht jeder das Recht hat, in unserem Land zu leben.“ Auf der „besonderen Rolle“ der Juden zu beharren („Sie sind vom Schöpfer auserwählt worden.“ Reb Meir) erweist sich innerhalb Israels als ziemlich belastend, während es in der Diaspora zum ironischen Spiel werden kann. In Berlin meint Sharon Adler genüsslich: „Eigentlich darf niemand etwas gegen dich sagen.“

Anders formuliert: es entsteht der Eindruck, die Idee vom „auserwählten Volk“ spiele vor allem innerhalb Israels eine Rolle. Und im Glauben daran fallen so entsetzliche Bemerkungen wie jene der Ökonomin Rosa Goldovsky: „Für mich sind unsere Feinde einfach nicht als Menschen zu betrachten.“

„Das Recht ist auf der jüdischen Seite“


„Ich komme aus einem totalitären Staat“, meint der gebürtige Pole Mark Gruntman. „Trotzdem waren meine Rechte in Polen hundert Mal größer als die der Araber hier.“ Wie viel Unrechtsbewusstsein ist möglich in einem Land, das „so viele Feindschaften aushalten muss“, fragt Michal Beit Halachmi. „Man wächst hier auf und begreift, dass man Pech gehabt hat.“ Jede und jeder, ob radikal anti-arabisch oder pazifistisch, empfindet den Alltag in Israel als belastend. Er sei nach Israel ausgewandert aufgrund einer „Behinderung“, meint der Informatiker Ilia Romm, denn in Kiew sei er als „Drecksjude“ beschimpft worden und konnte nicht an die Uni. Elena Kostuk teilt solche traumatischen Erlebnisse, ist aber in Kiew geblieben und meint: „Wenn ich unter Juden bin, fühle ich mich eher als Ukrainerin und provoziere auch gerne mal mit einem folkloristischen Satz auf Ukrainisch.“

Was also ist jüdisch? Kann sich ein Mensch als jüdisch empfinden, wenn er keinen Bezug hat zu Israel, zum religiösen Leben, zu kulturellen Traditionen des Judentums? Es handle sich um eine „Seelenqualität“, versucht es der Künstler Alex Herzog. Es handle sich um ein Zusammengehörigkeitsgefühl vor dem Hintergrund jahrhundertelanger Verfolgung, meint Boris Olshanezki. Laura Kalauz versucht es mit Ironie: „Das ist wohl die jüdische Kultur an sich, sich andauernd von allem anderen unterscheiden zu wollen, anstatt eine kooperative Existenz zu suchen.“ Und noch radikaler – dabei nicht nur für ihre Gesprächspartnerin geradezu erlösend die Autorin Katarina Holländer: „Der Begriff der Identität ist, glaube ich, nicht besonders hilfreich. Er ist unsinnig, denn Identität bedeutet, dass irgendetwas mit irgendetwas anderem übereinstimmt. Und im Zusammenhang mit Menschen ist es nicht möglich. Der Mensch ist grundsätzlich ein Individuum.“ Das ist vermutlich die gescheiteste Bemerkung in diesen Statements. Die lustigste stammt von Amos Angeles. Er war mit seinem Schweizer Pass in Israel ohne auf sein Jüdisch-Sein hinzuweisen, und zwar ganz einfach, weil er auf die palästinensische Seite wollte, um die Grenzmauer mit seinen Graffiti zu bemalen – ein Hype, seit Banksy dort gemalt hat. Amos Angeles meint erfrischenderweise: „Wir machten dort einen Film. Er heißt ,Style Wars II' und handelt von Graffitistyles, aber es geht natürlich auch um die verschiedenen Religionsstyles, Fashionstyles, und eben auch um die Wars. Und dann wird es ziemlich absurd, wenn wir den Graffitikrieg finden, wo eigentlich ein echter Krieg stattfindet.“

Amos Angeles hat die Lösung: In den echten Krieg, da geht er einfach nicht hin.


Marina Belobrovaja, The DNA-Project, Bucher Verlag 2012, ISBN 978-3-99018-119-5