Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Thorsten Bayer · 20. Okt 2012 · Literatur

„Internet – Segen oder Fluch“: Lesung mit Kathrin Passig und Sascha Lobo in der Landesbibliothek

Im Rahmen der Initiative „Vorarlberg liest“ hatte Organisator Jürgen Thaler, Leiter des Felder-Archivs, zwei prominente Autoren aus Berlin eingeladen. Kathrin Passig und Sascha Lobo beschäftigen sich in ihrem neuen Buch mit der mehr oder weniger segensreichen Wirkung des Internets. Im Anschluss an die Lesung nahmen sich die beiden noch Zeit für eine kurze, aber interessante Diskussion.

„Wir haben nun das Buch ‚Internet – Segen oder Fluch’ geschrieben, weil über das Internet sehr viel geredet wird, aber nur sehr wenige Gespräche geführt werden.“ Dieser Satz aus einem Beitrag der beiden für den Spiegel vom 1.10.2012, der den Titel „Defekte Debatte“ trug, hätte auch als Motto für den Freitagabend im Kuppelsaal der Vorarlberger Landesbibliothek stehen können. Dass besonders Kathrin Passig die richtige Autorin für einen Abend im Rahmen von „Vorarlberg liest“ ist, stellt die Bachmann-Preisträgerin mit der scherzhaften Frage zu Beginn fest: „Ich habe österreichische Vorfahren – zählt das ?“

Sie selbst kam 1970 im niederbayerischen Deggendorf zur Welt und lebt in Berlin, wo sie 2002 die Zentrale Intelligenz Agentur gründete und Beiträge für renommierte Medien wie Berliner Zeitung, GEO, Süddeutsche Zeitung oder die tageszeitung verfasst. Bekannter, nicht nur wegen seiner markanten Frisur, dürfte der zweite Autor sein: Sascha Lobo (37) arbeitet als Strategieberater mit den Schwerpunkten Internet und Markenkommunikation und schreibt u.a. die wöchentliche Kolumne „Mensch-Maschine“ auf Spiegel Online.

Mehr Fragen als Antworten

Eines stellen sie von Anfang an klar: Eine eindeutige Antwort auf die Frage „Fluch oder Segen?“ gibt das Buch nicht, kann es nicht geben. Was es leisten kann und soll, ist, einen klugen, historisch fundierten und unterhaltsamen Beitrag zur Diskussion zu leisten, die sich leider häufig auf „Kasperletheater-Niveau“ (Passig) bewege. Zwischen den vorgelesenen Passagen erläutern die beiden immer wieder ihre Standpunkte, Passig gefällt sich auch in der Rolle der Interviewerin und fühlt ihrem Kollegen auf den Zahn. Um die grundsätzlich unvereinbaren Positionen der Internet-Skeptiker und der –Optimisten zu verdeutlichen, wählt sie mit dem Steuerzahler ein anschauliches Beispiel. Einerseits wolle jeder möglichst wenig zahlen, andererseits seien die Erwartungen an staatliche Leistungen hoch.

130 SMS täglich

Lobo macht darauf aufmerksam, dass die Diskussion „metapherndurchtränkt“ sei – und dass damit schon häufig durch die bloße Wortwahl eine Tendenz vorgegeben werde, wenn mit Begriffen wie „Raubkopie“ oder „Content-Mafia“ gleich eine kriminelle Dimension mitschwinge. Somit würden Fronten verhärten, bevor das Gespräch überhaupt begonnen habe. Den Umstand, dass selbst ein Profi wie er Mühe hat, dem rasanten Entwicklungstempo standzuhalten, bringt er auf die griffige Formel: „Es ist leicht, Internet-Experte zu werden, aber schwer, es auch zu bleiben.“ Immer wieder unterfüttern die Autoren ihre Thesen mit empirischen Daten: Beispielsweise verschickt laut einer Studie ein US-amerikanisches Mädchen im Teenageralter durchschnittlich 4.050 SMS pro Monat. Das entspricht rund 130 SMS pro Tag.

Historische Konstante

Interessanterweise passt diese Lesung ausgesprochen gut in den altehrwürdigen Kuppelsaal der Landesbibliothek mit seinen lateinischen Inschriften – denn wie Passig und Lobo zeigen, ist die Angst vor den vermeintlich bedrohlichen Umwälzungen durch neue Erfindungen eine historische Konstante; siehe Buchdruck, Eisenbahn oder auch das allgemeine Wahlrecht. Dazu ein kurzer Auszug aus dem oben erwähnten Spiegel-Artikel: „Im vierten Jahrhundert vor Christus erläuterte der chinesische Gelehrte Zhuangzi am Beispiel eines Ziehbrunnens, weshalb die regelmäßige Benutzung von Maschinen unweigerlich zu einem ‚Maschinenherz’ führe, dessen Besitzer ‚ungewiss in den Regungen seines Geistes’ werde: Ziehbrunnen-Demenz gewissermaßen. Die Diskussion, die heute vom Internet handelt, ist weitgehend unverändert seit Jahrhunderten im Gang. Wir sind Schauspieler, die ein uraltes Stück aufführen.“

Transparenz und Abgrenzung

Falls zufälligerweise ein Veranstalter diesen Text liest und überlegt, Kathrin Passig zu buchen – auf ihrer Homepage (http://kathrinpassig.kulturindustrie.com) erläutert die Autorin genau, worauf man sich bei ihr einstellen darf und worauf nicht: „Ich sage wahrscheinlich zu, wenn Sie mich für Vorträge zu diesen Themen einladen: Zukunft des Buchs, Empfehlungsalgorithmen, Weltverbesserung, Fehlerforschung, schlechte Programmierung, Technologiepessimismus, Technologieoptimismus, Unwissen, Prokrastination, Verirren, konkrete Fragen zum Internet. Ich sage wahrscheinlich nicht zu, wenn das Thema ‚Das Internet allgemein’ oder irgendwas mit Frauen ist.“

 

Kathrin Passig, Sascha Lobo: Internet – Segen oder Fluch, Hardcover-Ausgabe inklusive E-Book, Rowohlt, Berlin 2012. 320 Seiten. ISBN 3871347558. 20,60 Euro.