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Annette Raschner · 11. Sep 2014 · Literatur

Fliegen zu lernen ist schwer – Nadine Kegele präsentiert ihren ersten Roman „Bei Schlechtwetter bleiben Eidechsen zu Hause“

Nadine Kegele war eine der Überraschungen bei den letztjährigen „Tagen der deutschsprachigen Literatur“, als sie den mit 7.000 Euro dotieren BKS-Publikumspreis gewann. 2013 war auch das Jahr, in dem die gebürtige Vorarlbergerin mit dem Erzählband „Annalieder“ ein bemerkenswertes, literarisches Debüt vorlegte. Seitdem ist im Leben der 34-Jährigen einiges passiert. Sie hat das Studium der Germanistik, sowie der Gender Studies und der Theater-, Film- und Medienwissenschaften abgeschlossen, lebt nun als freie Schriftstellerin in Wien und war die letzten Monate als Klagenfurter Stadtschreiberin beschäftig. Jetzt präsentiert der Wiener Czernin Verlag ihren ersten Roman: „Bei Schlechtwetter bleiben Eidechsen zu Hause“.

Frauenfiguren interessieren und beschäftigen Nadine Kegele, das wissen wir bereits seit den Annaliedern. Es sind vorwiegend Frauen, die es schwer im Leben haben; Frauen, die weitgehend auf sich allein gestellt sind; Frauen, die kämpfen müssen, weil ihr Start ins Leben ein ungünstiger war.
Dies mag durchaus auch mit der Aufarbeitung des eigenen Lebens zu tun haben, schließlich schloss Nadine Kegele ihre Matura erst im zweiten Bildungsweg ab, absolvierte dann eine Lehre als Bürokauffrau und arbeitete viele Jahre als Sekretärin, um ihr Studium finanzieren zu können. Kleine Notiz am Rande: Nadine Kegele war einst Vorarlberger Landesjugendmeisterin im Tastaturschreiben und hat sich als „Schnelltipperin“ sogar für die Weltmeisterschaft qualifiziert.

Die Unfähigkeit, zu verlassen und verlassen zu werden


Nora heißt die Hauptfigur ihres Debütromans „Bei Schlechtwetter bleiben Eidechsen zu Hause“. Nora lebt alleine in einer Wohnung in Wien, die eher die Bezeichnung Schuhschachtel verdient. Ihr Alter wird nie genau erwähnt, sie scheint aber um die 30 zu sein. Nach zahllosen Männergeschichten, unter anderem mit einem Boris, in dessen Koffer sie irgendwann pornografische Bilder junger Mädchen findet, hofft sie auf etwas mehr Stabilität mit Anton. Anton stammt aus deutlich besseren Verhältnissen als sie, er ist Architekt und „hat einen Fehler, denkt Nora, und der liegt, sieben Jahre alt, auf seinem Bauch“. Es ist Antons Tochter Maresa aus dessen früherer Beziehung, deren häufige Anwesenheit Nora missfällt.
Das verzweifelte Bemühen Noras, Anton dauerhaft an sich zu binden, muss schließlich scheitern. Denn Nora versucht Antons Liebe mittels Sex zu „erkaufen“. Ihr mangelt es vor allem an einem: An Selbstvertrauen. Die plötzliche Arbeitslosigkeit trägt auch nicht zu einer Stärkung ihrer Persönlichkeit bei.
Ihr Umfeld hingegen, womit vor allem ihre vier Freundinnen gemeint sind, sind in Noras Augen nahezu makellos. Vera stammt aus einer Familie mit einem Sektimperium, die Füchsin (rote Haare!), eine Yogakünstlerin, vermag sich mit diversen Verrenkungen in höhere Sphären zu begeben, und die homosexuelle Ruth ist rundum glücklich, als ihr ein guter Freund zur Schwangerschaft verhilft.
Nora weiß von ihrem Manko, schließlich hat es ihre Therapeutin - „die Kaiserin“ - trocken auf den Punkt gebracht. „Sie können nicht verlassen und nicht verlassen werden, aber daran können wir arbeiten, fangen wir ganz vorne, bei Ihrer Kindheit, an.“

Zwei bittere Frauenschicksale im Zentrum


Noras Manko heißt Erika, Erika ist die zweite Protagonistin in Nadine Kegeles Roman, sie ist die verhasste Mutter von Nora.
In mehreren Rückblenden lässt die Autorin das Leben dieser traurigen Frau wieder auferstehen - die lieblose Kindheit, die ersten harten Jahre als Kellnerin, grobe Alkoholmänner und schließlich das triste Leben einer Sozialhilfeempfängerin und allein erziehenden Mutter mehrerer Kinder - und verurteilt diese dadurch nicht, sondern liefert Erklärungen für die zahlreichen Verfehlungen Nora gegenüber.
„Vorhin war Erika die Hand ausgerutscht. Es war keine Absicht gewesen, ihr war einfach die Hand ausgerutscht, sie hatte sich zur kleinen Erika gebeugt, um sie hochzunehmen, doch sie hatte das schreiende Bündel nicht nehmen können, sie hatte Schwung geholt und in ihr Gesicht geschlagen“.

Sich mittels Sprache der Realität entgegenzustellen


An der Realität scheiternde Figuren aus einfachen Verhältnissen; Gefühle, die im Keime aufgrund eines allzu kleinkarierten Lebens erstickt werden; der Verlust von Illusionen: Die Lektüre dieses Buches wäre ein ziemlich freudloses Leseunterfangen, wäre da nicht Nadine Kegeles eigenwillige Sprachpoetik, die sich der bitteren Realität als kämpferische Kraft entgegen stellt. Es ist raffiniert und feinfühlig zugleich, wenn die Autorin an vielen Stellen des Buches lediglich anreißt und andeutet und damit Leerstellen lässt, die der Leser mit seiner eigenen Fantasie zu füllen hat. Etwa, wenn Nora mit der wunderbar liebevoll gezeichneten Nachbarin Sarah Tänzer und deren Hund Moby Dick zum Friedhof geht und mit ganz wenigen Strichen klar wird, was die alte Dame hierher gebracht hat. „Der Kinderfriedhof, sagt Sarah Tänzer. Das Grab ist mit einer roten Blütendecke überzogen, David Tänzer, 15.10.1913 - 23.7.1985“. Dass weniger sehr oft mehr ist, scheint die Autorin ganz genau zu wissen.

Roman oder Erzählung?


Als Frage bleibt, ob der Roman die richtige Gattung für diesen Stoff war, beziehungsweise, ob die doch recht intime Geschichte nicht in der Erzählform besser aufgehoben gewesen wäre. Es bleibt spannend, wie sie Nadine Kegele weiterspinnen wird. Denn „Bei Schlechtwetter bleiben Eidechsen zu Hause“ soll Band eins einer geplanten, so genannten „Olympe-Tetralogie“ sein.

 

Nadine Kegele, „Bei Schlechtwetter bleiben Eidechsen zu Hause“, Hardcover, 23 Euro, ISBN 978-3-7076-0501-3, Czernin Verlag