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Thorsten Bayer · 31. Okt 2012 · Literatur

Frido Manns Lesung „Mein Nidden – Auf der Kurischen Nehrung“: Ein kenntnis- und anekdotenreicher Abstecher in eine geschichtsträchtige Gegend

Auf Einladung des literaturhauses schanett und der VHS Hohenems kam Frido Mann am gestrigen Dienstagabend in den Salomon-Sulzer-Saal. Der Enkel des deutschen Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann beschäftigt sich in seinem neuesten Buch mit einem besonderen Landstrich. Die Kurische Nehrung ist ein ganz schmaler und 98 Kilometer langer Landstreifen, den sich heute zu fast gleichen Teilen Russland und Litauen teilen.

In einem Haus in Nidden, dem Grenzort des litauischen Teils, verbrachte Thomas Mann mit seiner Familie in den Jahren 1930 bis 1932 drei Sommer. Frido war zu dieser Zeit noch nicht auf der Welt, er wurde erst 1940 im kalifornischen Exil der Familie Mann geboren. Sein Großvater sollte nach dem Zweiten Weltkrieg und der Rückkehr nach Europa nie mehr auf der Kurischen Nehrung landen. Die Sommer in Nidden waren im Nachhinein eine Art „Vor-Exil“. Das Dritte Reich mit seinen Schrecken kündigte sich auch dort an – und nahm Regimekritiker ins Visier. In der Nähe des Hauses trainierte die Waffen-SS. Eines Tages lag eine verkohlte Ausgabe der „Buddenbrooks“ vor der Tür. Für dieses Romandebüt hatte Thomas Mann 1929 den Nobelpreis für Literatur erhalten.

Psychologe und Schriftsteller

Es waren diese Zwischentöne und Verschränkungen von Politik und Privatem, die aus der Lesung von Frido Mann einen rundherum gelungenen Abend machten. Dr. Leonhard Paulmichl, der ehemalige ORF-Landesintendant Vorarlbergs, zeichnete in seiner Begrüßungsrede kurz die wechselvolle Vita von Frido Mann nach, der als Lieblingsenkel von Thomas Mann gilt. Als er im Studium der katholischen Theologie den Glauben verlor, wandte sich Frido Mann der Musik und Psychologie zu und arbeitete lange als klinischer Psychologe in Münster, Leipzig und Prag. „Der ‚gefährliche Keim der literarischen Ambitionen’ ist bei mir erst spät zum Vorschein gekommen“, schreibt er selbst dazu.

Ein Stilist mit verschmitztem Lächeln

Markus Keel, Honorarkonsul der Republik Litauen im Fürstentum Liechtenstein, erinnerte in seiner Rede an die Opfer von Nationalsozialismus und sowjetischer Besatzung in dem baltischen Staat, der 1991 unabhängig wurde. Frido Mann war das erste Mal 1997 zu Gast in Nidden, wo heute ein Thomas-Mann-Kulturzentrum entstanden ist. Bei seinem Text fällt auf, dass er – angenehmerweise – mit weniger Schnörkeln als sein Großvater auskommt. Begnadete Stilisten sind sie zweifellos beide. Eine „urwüchsige, fast elementare“ Landschaft entsteht vor dem geistigen Auge der Zuhörer, von einer „erdenfernen magischen Melancholie“ und der „europäischen Sahara“ ist an anderen Stellen die Rede. Sympathisch machen den 72-Jährigen sein verschmitztes Lächeln und seine Natürlichkeit.

Göring und Speer

Im anschließenden Gespräch mit Evelyn Brandt, der Obfrau des Vereins literaturhaus schanett, erzählte Frido Mann, dass das „Mann-Haus“ 1939 von Hermann Göring beschlagnahmt wurde. Göring war zwar nie in Nidden, wohl aber Albert Speer, Hitlers Architekt. Drei Aspekte behandelt Frido Manns Buch gleichermaßen: die Familiengeschichte der Schriftstellerfamilie Mann, das Haus in Nidden und die Historie der Kurischen Nehrung zwischen Deutschem Reich, Sowjetherrschaft und der Unabhängigkeit Litauens.

„Frido Mann arrangiert die Eindrücke des Orts aus mehreren Generationen, was angesichts der nicht erhaltenen Tagebücher Thomas Manns aus dieser Zeit umso wertvoller ist", lobt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Seine eindrucksvollen Schilderungen der ebenso eindrucksvollen Natur wecken Lust auf eine Reise dorthin – oder zumindest an einen nähergelegenen Zipfel der Ostsee. Laut Google Maps sind von Bregenz nach Nidden knapp 1.500 Kilometer zurückzulegen, vorbei an Berlin, Posen, Danzig und Kaliningrad.

Literatur für alle

Seit dem Auslaufen des Mietvertrages mit dem namensgebenden Schanett-Haus zum Jahresende 2011 (KULTUR berichtete) ist der Verein wieder „mobil und vagabundierend“, wie Evelyn Brandt sagt. „Literatur für alle“ ist und bleibt das Ziel verschiedener Veranstaltungen, beispielsweise als nächstes der „Lesebühne zum Tagebuchtag – Teufel, Monster und Dämonen“ am Freitag, 9. November, 20 Uhr im Gemeindesaal Göfis.

www.literaturhaus-schanett.at

 

Frido Mann, Mein Nidden – Auf der Kurischen Nehrung. mare Verlag, Hamburg 2012. 160 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 18.50 Euro. ISBN 978-3-86648-148-0.