Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Willibald Feinig · 09. Jän 2013 · Literatur

Recht und Glauben - Eine Nachlese zu Carl Lamperts Seligsprechung

„Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“: Ich war dabei, ich war in der Gruppe, die zu Fuß nach Dornbirn ging, zur Seligsprechung Carl Lamperts, auf den Tag genau 67 Jahre nach seiner Hinrichtung im Zuchthaus von Halle an der Saale. Die Predigt von Manfred Scheuer an diesem 13. November 2011 wurde auch ins Zelt am Marktplatz übertragen: Dass sie mit den nüchternen Kant-Worten ausklang, die jeder Gymnasiast kennt und deren praktischen Sinn doch ein ganzes Volk mit wenigen Ausnahmen binnen Kurzem verdrängen und vergessen konnte, hatte ich meinerseits vergessen.

Nun ist es nachzulesen in einem Buch (Seite 111), das vom ranghöchsten katholischen Opfer des auf kriminellen Prinzipien aufgebauten NS-Staats in Vorarlberg in mehrfacher Brechung erzählt, vom Auf und Ab der Erinnerung an ihn und Seinesgleichen, von seiner Anerkennung und Feier als „Märtyrer“ und „Seliger“ und von deren Auswirkungen in der Kirche des Landes und darüber hinaus. Klaus Gasperi, Lektor und lange Kirchenblatt-Redakteur, hat den Band im Auftrag der „Katholischen Kirche Vorarlberg“ herausgegeben und zusammen mit dem Grafiker Martin Caldonazzi die verschiedenen Anliegen der Auftraggeber unter einen Hut gebracht. Weniger Fotos wären mehr gewesen; alles in allem ist aber eine dem lebensfrohen, unmenschlich geschundenen und in odium fidei (aus Hass auf den Glauben) getöteten Monsignore Dr. iur. can. Carl Lampert gerecht werdende Publikation entstanden, inmitten des Bild- und Ästhetikhurricans des digitalen Zeitalters keine Selbstverständlichkeit.

Lampert kam ins Visier von Gauleiter Hofer und Gestapo, weil er seine Pflicht tat als Quasi-Generalvikar in Innsbruck und für die ihm Anvertrauten und ihr Menschenrecht eintrat. Manfred Scheuer, heute Bischof von Innsbruck, war entscheidend an der Klärung des „Falles Jägerstätter“ (Axel Corti) beteiligt: Der gewaltlose Widerstand und das Lebensopfer dieses damals fast unbekannten „Laien“ hat die Würde der menschlichen Person, ihres Gewissens und ihrer Freiheit – auch des Glaubens – ins Zentrum der Debatten des Zweiten Vatikanischen Konzil gerückt, unter Mithilfe der (österreichischen) Apostelin des unbewaffneten Kampfs für Gerechtigkeit, Hildegard Goss-Mayr (S. 122).

Erinnerungskultur

Bevor er zum Kirchenrechts-Studium nach Rom geschickt wurde, war Lampert („Carlobello“) von 1918 bis 1930 Kaplan in Dornbirn - St. Martin und als solcher äußerst beliebt. Als Mann des Rechtes hat er bis zur letzten Phase seiner Gefängnis- und KZ-Aufenthalte und Prozesse darauf vertraut und gehofft, dass es für ihn Gerechtigkeit geben würde. Es gab keine, auch nicht, als sich der Senatspräsident, der das fadenscheinige Todesurteil unterschreiben sollte, Werner Lueben, in der Nacht davor das Leben nahm. Landeshauptmann Sausgruber formuliert, mit der ihm eigenen Trockenheit, am 13. November 2011, unweit eines Bezirksgerichts, an dem jahrzehntelang systematisch Testamente gefälscht worden waren: „Vielleicht darf man in einer solchen Stunde daran erinnern, was Rechtsstaat bedeutet und was los ist, wenn er fehlt, und dass es wert ist, für sein tadelloses Funktionieren einzutreten“ (S. 8).

Für Werner Bundschuh krönen die Veranstaltungen um diesen Märtyrer - das Wort passt nicht für Attentäter (erklärt Josef Walder, S. 14f) - die Mühen der Vorarlberger „Junghistoriker“ um eine Erinnerungskultur, die allen Opfern, Zwangsarbeitern, Deserteuren, Kranken, Angehörigen abgewerteter Rassen und Völker Stimme und Namen gibt.

Der „Aktionskreis Halle“ – heute an der Seite der occupy-Bewegung - war „die einzige katholische politische Opposition“ gegen den Staatsterror der DDR: Die Kraft zum Widerstand bezog sie jahrzehntelang aus dem Beispiel des gebürtigen Göfners, schreibt Magnus Koschig. Der Pfarrer der künftigen Carl-Lampert-Pfarrei, Halle-Nord, registriert aufmerksam (S. 18f), dass die Seligsprechungsurkunde in Dornbirn an Jugendliche übergeben wurde.

Märtyrer der Gerechtigkeit

Im Exil in Stettin (heute Szczecin) war selbst bei den „Glaubensstunden“ des Provikars ein verkappter SS-Anwärter als Spitzel dabei; in der Isolierzelle verunmöglichte man dem Verlassenen sogar das Lesen in der Bibel und das Beten des Rosenkranzes: Woher nahm der Mann seine Zuversicht und luzide Hoffnung, der freigekommen wäre, hätte er dem christlichen „Hokuspokus“ abgeschworen? – Die an den Bruder geschmuggelten Briefe, konventionell nur in ihrer Sprache, geben die Antwort: Aus dem mit der ganzen Existenz vollzogenen Ritus, aus der Freiheit, dem Herrn des Lebens und Geber alles Guten zu vertrauen und zu danken, „Eucharistie“ zu feiern auch als Häftling; aus dem symbolträchtigen Dank, in den Iob, der Jude, einstimmte, selbst als ihm die Gesundheit genommen war; ebenso wie Jesus angesichts des nahen Endes.

Ein solches liturgisches Leben muss man jungen Menschen heute erst einmal erklären, und nicht nur ihnen: Märtyrer der Gerechtigkeit – ja; aber Märtyrer der Kirche, dieser heute (auch durch ihre Schuld) für viele unglaubwürdigen Institution?

Von Lampert kann man lernen, dass die weithin zum Schlagwort oder zum gewöhnlichen, ja leider Gottes billigen Ritual gewordene kirchliche Zentralfeier, die „Eucharistie“, eine geistige Realität ist. Sie wurzelt im Evangelium mit seiner „Kraft Gemeinden zu bilden“ (Walter Schmolly, S. 133) und gegen „einen vordergründigen Spargedanken“ zu immunisieren, der für Europa, die Gesellschaft und die Demokratie tödlich ist (Johannes Schmidle, S. 132). Um die Kraft des Evangeliums zu wecken, hat es ein Konzil gegeben. Carl Lampert hat aus ihr gelebt, auch als ihm alles genommen war, was das liebe Leben lebenswert macht. In seiner Tötung hat er Recht behalten gegen die mörderische Lüge, deren anderer Name seit Auschwitz (oder vielmehr seit Hannah Arendt) inability to think ist, Gedankenlosigkeit, Unwille und Unfähigkeit, als Person für sein Tun Verantwortung zu tragen.

 

Klaus Gasperi (Hrsg.), Carl Lampert. Die Seligsprechung, Bucher Verlag, Hohenems 2012, 144 Seiten, € 19,95, ISBN 9783990181218