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Ingrid Bertel · 31. Okt 2012 · Literatur

Stilübungen: In seiner Erzählung „Levada“ erkundet Jürgen-Thomas Ernst das Groteske und verpackt es in eine Hommage an Thomas Bernhard

David Spelterini ist seit 35 Jahren verheiratet, und das betrachtet er als einziges Unglück und Missverständnis. In drei langen Monologen – gerichtet an seine schweigsame Frau – lässt er eine zwar stürmische, gleichzeitig aber stets lähmend bösartige Beziehung Revue passieren.

Eine Fleischstrudelsuppe ist der Ursprung des Unheils. David Spelterini nimmt sie eines Abends im Kaiser-Maximilian-Hotel am Grundlsee zu sich, weil er dort bisweilen zu nachtmahlen pflegt. „Nachtmahl“ und „Fleischstrudelsuppe“ sind mit Bedacht gewählte Signale. Wir befinden uns im tiefen Österreich und in einer sprachlich nicht näher definierten Vergangenheit.

Allerdings handelt es sich bei David Spelterini um einen Mann unserer Zeit, der in seinem Polyesterboot Instantsuppen aufbewahrt und seine Bang-&-Olufsen-Stereoanlage hütet wie einen Augapfel. Wenn Jürgen-Thomas Ernst vom „Nachtmahlen“ schreibt, entscheidet er sich also für eine seit Jahrzehnten hochgelobte literarische Kunstsprache. Das ist entschieden ein Wagnis, denn im Austriacum sicher verankert zu sein, ist eine Frage der semantischen Bildung. Da darf es eben nicht passieren, dass die Spelterinis beschließen, „alles Irdene hinter uns zu lassen“, wenn sie kein Steingut, sondern das irdische Dasein meinen.

Forellenfilet am Grundlsee

Das inständige Benennen von Orten ist ein Signum Bernhard’schen Stils – und so reisen auch Spelterinis unablässig vom Grundlsee nach Flüeli-Ranft und von Wien nach Bregenz, verzehren Preiselbeerpalatschinken, Kalbsfilets und Ananaswürfel mit Pfefferminzblättern und Vanille-Eis – vor allem aber begießen sie die stets leidenschaftlich herbeigesehnte  Nahrung mit zahllosen Flaschen Chardonnay oder Merlot Ticino. Gerne gehen sie auch wandern. Und alles, was sie tun, wird von David Spelterini verlässlich als fürchterlich eingestuft – der Bernhard’schen Stil-Manier entspricht also ein Bernhard’scher Rundum-Pessimismus. Das beginnt schon mit einer lauen Sommernacht am Grundlsee. Auf dem Bootssteg vor der Seevilla leuchten hunderte Teelichter, aus der Stereoanlage singt Edith Piaf „Mon Dieu“ und das noch jugendliche Paar tanzt dazu. Rückblickend sieht David Spelterini in dieser Nacht nicht den Beginn einer  Liebe, sondern den zerstörerischen Einfluss mehrerer Flaschen Champagner: „Denn niemals hätte ich mich, wäre ich nüchtern gewesen, so gehen lassen, um mit dir stundenlang auf einem wackligen, ächzenden und quietschenden Bootssteg zu tanzen. Der Abend wäre sofort, nachdem ich meine Bang & Olufsen Boxen auf dem Bootssteg erblickt hätte, vollkommen anders verlaufen.“

Der Miesepeter muss sich in weiterer Folge damit abfinden, dass seine Beziehung durch eine Erbschaft seiner Partnerin geradezu überhäuft wird mit Möglichkeiten, das Leben zu genießen.  Keine Arbeit, keine Verpflichtungen, auch keine Kinder lenken die zwei voneinander ab. Wie also umgehen miteinander? Rasende Eifersucht ist eine Option – und sie führt beide in derartige Erschöpfung und Resignation, dass sie sich von allen Freunden und Bekannten zurückziehen. „Kommen wir am Grundlsee an, kann uns nichts mehr geschehen, bemerkten wir immer wieder. Vollkommener Einklang, vollkommene Ruhe. Kein Seelenunfrieden. Monatelang. Und immer wieder. Kommen wir am Grundlsee an, sind wir gerettet.“

Imitation von Stilformen und Stimmungen

Das ist Bernhard’sche Süffigkeit. Allerdings geht ihr der Bernhard’sche Furor ab, selbst wenn David Spelterini sich unablässig kleine Grausamkeiten ausdenkt, mit denen er seine Frau demütigen kann. Einen Höhepunkt gestaltet er dabei während einer Levada-Wanderung auf Madeira. Die künstlichen Wasserläufe, das über mehrere hundert Meter senkrecht abfallende Tal und reichlich Regen bieten ihm genügend Anregung für allerhand Mordfantasien – beinahe eine Erlösung angesichts der ausufernden Träume vom gemeinsamen Selbstmord in Flüeli-Ranft, der verlässlich durch herannahende Möglichkeiten der Nahrungsaufnahme verhindert wird. Auch wenn das Essen selbst sich als Katastrophe erweist: „Es waren schlimme Tage. Kulinarisch gesehen wohl die schlimmsten meines bisherigen Lebens.“

Gibt es Gründe, warum sich dieses Paar so umfassend und lebenslang unwohl fühlt? In „Levada“ wird man sie vergeblich suchen. Die Erzählung beschränkt sich auf die Imitation von Stilformen und Stimmungen. Die Wut, die Thomas Bernhard antrieb, sein Röntgenblick für Missverhältnisse – alles, was aus einer Manier Literatur machen könnte, fehlt.

 

Jürgen-Thomas Ernst, Levada. Reihe Zeitgenossen, gebunden mit Schutzumschlag, 132 Seiten. Limbus Verlag, Innsbruck 2012. 15,90 Euro. ISBN 978-3-902534-62-0.