Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Ingrid Bertel · 07. Jän 2015 · Literatur

Think Pink mit Renate Daimler – Der Ratgeber „Wir wilden, weisen Frauen. Von der Kunst des Älterwerdens“

Ein Lob auf Vivienne Westwood und eine selbstsichere Absage an die „beige Gediegenheit“ verbirgt sich zwischen den pink eingebundenen Buchdeckeln von Renate Daimlers Ratgeber „Wir wilden, weisen Frauen. Von der Kunst des Älterwerdens“.

Einer der in ihrer phrasenlosen Präzision verstörenden Sätze von Marilyn Monroe lautet „Männer lieben nur glückliche Mädchen.“ Was für eine todtraurige Wahrheit, und kein Feminismus hat an dieser Wahrheit etwas geändert. Mädchen und glücklich – das bestimmt den Wert einer Frau. „Früher war alles einfacher“, meint Renate Daimler. „Da sind wir im Kindbett gestorben oder an einer der vielen Krankheiten, die heute heilbar sind. Doch seit wir länger leben, hat sich ein Gedanke eingenistet, der fatal ist, vor allem für uns Frauen.“ „Männer reifen, Frauen verblühen“ lautet der fatale Gedanke, und bereits vor 40 Jahren hat Susan Sontag auf diesen „double standard of aging“ hingewiesen.

„Niemand isst gern die verwelkten Reste von der reichgedeckten Tafel. Und das Alter ist so ein Rest in den Augen unserer Gesellschaft.“ Aber es ist auch ein unerforschtes Land, das sich gerade für Frauen lohnt. Renate Daimler setzt auf Pragmatismus. Da wir nun einmal älter werden, ist es gerade für Frauen von vitalem Interesse, sich nicht länger an den Rand der Gesellschaft und in die Unsichtbarkeit verbannen zu lassen. Warum sollen sich ökonomisch unabhängige, gebildete, vielseitig interessierte Frauen bescheiden, nur weil sie im falschen Geschlecht geboren wurden? „Es wird Zeit, dass wir uns nicht mehr schämen, wenn wir diffamiert werden, sondern uns wehren“, betont Daimler.

Königin im eigenen Land


Sie ist 65 und genießt offenbar eine perfekte Work-Life-Balance. Sie bietet Seminare an zu Themen wie „Königin im eigenen Land“ oder „Körperseg(n)en – wie ich lernte meinen Körper zu lieben“, und sie beschreibt in „Wir wilden, weisen Frauen“, wie sie die angebotenen Qualitäten für sich selbst entdeckt hat.

Zum Beispiel im Gespräch mit Oma Toppelreiter, die sich mit 90 auf den Jakobsweg machte und deren Bericht zum Bestseller wurde. „… ich habe so viel positive Rückmeldungen bekommen und mache anderen alten Menschen Mut, ihr Leben noch einmal völlig umzukrempeln“, meint sie im Gespräch mit Renate Daimler. Die findet Inspiration auch im Kino, bei Fanny Ardant und ihrer kaum kaschierten „amour fou“ im Streifen „Les Beaux Jours“. Als der entgeisterte Ehemann sie ob des jugendlichen Liebhabers degoutiert fragt: „Dieser Mann ist im Alter unserer Töchter, hast du dich schon einmal angeschaut?“, da hat sie die trockene Antwort: „Nein, denn er schaut mich an.“

Sind die jahrhundertelang eingeübten Selbstzweifel also passé? Fühlt sich die Frau von 60 Jahren nicht mehr als „altes, zerfallendes Wrack“? Doch. Natürlich tut sie das, und „mit esoterischem Geschwätz“ lässt sich daran auch nichts ändern, meint Renate Daimler entschieden. Höchstens mit Bewusstsein und Disziplin.

Die Spur der Abwertung


Wie bitte? Disziplin? Als ob’s nicht genau davon in wirklich jedem Frauenleben eine derartige Überdosis gäbe, dass wenigstens im Alter ein bisschen schlunzige Schludrigkeit gestattet sein sollte. Nicht mehr jung erscheinen müssen um jeden Preis! „Du siehst ja viel jünger aus!“ Dieser Satz, an dem sich wohl jede Frau festhält, ist nämlich verhängnisvoll. „Die Katastrophe naht, wenn sich die ersten Falten zeigen. Dann heißt es, verdecke deinen Hals und die Oberarme, zeig dich im Schwimmbad hinter möglichst viel Stoff versteckt und wende alle Mittel an, von Botox bis zur Schönheitsoperation, damit du vor deinem Alter möglichst lange weglaufen kannst. Wenn dann der Kampf verloren ist, versinken viele von uns im Land der Unsichtbarkeit. Hoffen, dass ihre Partner sie trotzdem lieben, sind sich sicher, dass sie keiner mehr schön findet, vor allem nicht sie sich selbst. Und dort ist die Weiche, die wir stellen können, auch wenn es schwer fällt.“

Renate Daimlers Buch ist ein Plädoyer dafür, die Jahrhunderte alte Spur der Abwertung zu verlassen, die eigene Landkarte neu zu zeichnen. Dass es dazu nie zu spät ist, wird in Gesprächen mit Frauen deutlich, die ihre ganz und gar durchschnittlichen Biografien irgendwann umkrempeln.

Da ist etwa „die Unselbständige“, die nach dem Tod ihres Mannes nicht einmal weiß, bei welcher Bank er sein Konto hatte. Jetzt, wo er nicht mehr ist, klammert sie sich an die Tochter – bis die nicht mehr kann und Reißaus nimmt. Da fasst sich die alte Frau ein Herz und wird eine glücklichere, zufriedenere „Selbständige“.

Oder „die Helle, die Schöne, die Angepasste“. Als der Kampf gegen die Falten verloren ist und die Karriere endgültig ein Ende gefunden hat, wird ihr klar: „Wir waren so damit beschäftigt, uns freizuschwimmen von anderen Beschränkungen – und deren gab es viele -, dass uns selbst kaum aufgefallen ist, wie wir gegen uns selbst gekämpft haben. Noch immer lassen wir uns reduzieren auf 'schön' und 'nicht schön'.“ Die Schöne hört auf, abwertend über sich selbst zu denken und zu sprechen.

Beautiful Old Woman


Bis hierher ist Renate Daimlers Buch eine erfrischend klare Anleitung zum Aufpeppen des weiblichen Selbstwertgefühls. Dann aber kommt ein Schlenker ins esoterische Raunen. „Elisabeth Heiler, so hieß meine Großmutter, als sie noch ein Mädchen war, das sich viel von der Welt erhoffte. Sie trug die Heilerin in ihrem Namen und stand am Funkenbühl, einem Vorort von Bregenz, am Gartenzaun und gab den Frauen in der Nachbarschaft Kräuter und Salben. Ihren Mädchennamen hat sie aufgegeben, weil es damals so üblich und nicht anders möglich war. Und so verschwand die Heilerin aus meiner Ahnenreihe.“

War diese Oma die von Daimler beschworene „beautiful old woman“? Und was hätte ihre feministische Namensgebung wohl gegen die Spur der Abwertung ausgerichtet? Nichts, gar nichts. Gegen die feindselige Haltung dem eigenen Geschlecht gegenüber ist auch der Oma kein Kraut gewachsen. Daimler zitiert einen jener unverblümt brutalen Macho-Sätze: „Je älter die Männer werden, desto geschickter müssen die Frauen sein.“ Alles klar? Dienen und dann dafür verachtet werden. Da ist es denn doch klüger, Herz und Hirn für die eigene Selbstachtung einzusetzen. „Unsere Emanzipation ist erst dann abgeschlossen, wenn wir unseren Körper in diesen Prozess einbeziehen.“

 

Renate Daimler, „Wir wilden, weisen Frauen“, Gebunden mit Schutzumschlag, 256 Seiten, € 18,50, ISBN 978-3-466-34600-4, Kösel Verlag 2014