Treffpunkt Pestsäule – „Zwei Frauen warten auf eine Gelegenheit“ von Monika Helfer und Ingrid Puganigg
In ihrem Roman „Zwei Frauen warten auf eine Gelegenheit“ erzählen Monika Helfer und Ingrid Puganigg vom Älterwerden, von der Freundschaft und der Liebe, die in dieser Freundschaft irgendwie auch noch Platz hat.
Das Cover zeigt zwei kostümierte Frauen, Hase die eine, Igel die andere, der Igel mit Bierflasche in der Hand, der Hase mit Reitgerte. Wird das der berühmte tödliche Wettlauf aus der Tiergeschichte? Ach nein! Monika Helfer hat das Bild in einer Zeitschrift gefunden. Sie fand es witzig. Und irgendwie beschreibt es ganz gut die Freundschaft zwischen M (Monika) und I (Ingrid), die einander nichts schenken und dabei beste Freundinnen sind.
„Zwei alte Prinzessinnen, bleich wie Butter und mit vierzig Euro im Portemonnaie“, nein, so will M sich nicht beschrieben sehen, auch wenn sie sich gern in ihrer Freundin spiegelt. „Unsere Blässe ist vornehm und hat überhaupt nichts Buttriges“. In Anna Magnani können sich beide wieder erkennen oder in Federico Fellinis Clownfrau Giulietta Masina. Beide sind ein bisschen angekränkelt, laborieren an den ersten Verfallserscheinungen des Alters. Die Hände zittern, die Zehen sind kaputt, die Rippen brechen auseinander, und M werden Löcher in Kopf und Bauch gebohrt. „Ich bin voller Neurosen und total zugemüllt von Erinnerungen, bis in den Schlummer“, erzählt sie. „Mir sind sämtliche Wohnungen, in denen ich einmal gelebt habe, nachgewachsen. Ich kann mich in zwei Wörtern beschreiben: Das Gehäuse“, antwortet die Freundin.
„Über die Erinnerung schneit es nicht“
Beide stammen aus eher bäuerlichen Verhältnissen, tauchen ein in Erinnerungen an die Tschengla, den „Abenteuerspielplatz“ Dornbirner Ache, an das Brennholz-Holen und einen Angst erregenden Heimweg im Schneesturm. Frühe Verletzungen, die immer wieder besprochen werden. Wie I auf einer Autobahn-Raststätte ausgesetzt wurde zum Beispiel. Wir reden so vor uns hin, betonen beide, und die Bilder von Schnee und vom Gehen im Schnee kehren wieder. „Eigentlich bin ich im Schnee geboren“ hieß bekanntlich Monika Helfers literarisches Debut 1977. Jetzt schreibt Freundin I: „Schneien und Reden sind einander ähnlich. Wie bei Thomas Bernhard. Er fängt an, und plötzlich ist er eine Lawine.“
M und I sind Autorinnen und fetzen einander allzu „goldene Sätze“ um die Ohren. Beim Schreiben gehe es um „trainierte Gedankenlosigkeit“. Und deshalb schreibt M ihrer Freundin noch während sie für ein Fernsehportrait interviewt wird. Die Leserin aber beginnt den lakonischen, unprätenziösen Ton der Brieffreundinnen zu lieben.
Wie anstrengend ist die Gegenwart zwischen den Erinnerungen? Es passiert ja einiges - Erpressungsversuche, ein Einbruch, anonyme Briefe. Aber die beiden schieben das lässig von sich. Die Gegenwart verschwindet hinter Märchen und Kirchenliedern, hinter Erinnerungen an die Kinder, die miteinander gespielt haben, an die Liebhaber und die Streitigkeiten. Einmal hat M alle Vorhänge bei I heruntergerissen und ist „wie eine Furie“ darauf herumgetrampelt, bis sie komplett ruiniert waren. „Ein Erbgeschenk meiner Tante. Noch heute fange ich an zu weinen, wenn ich daran denke, was Du angerichtet hast.“ Aber I konnte schon damals nicht wütend werden. Jetzt schickt sie der Freundin ein Lied von Chavela Vargas, die uralt ist und eine Stimme hat „wie Lakritzstangen, aber sobald du sie singen hörst, weinst du“. Das Lied heißt „Von den einfachen Dingen“.
„Wir waren noch nie die Goldmariechen“
Es ist ein Versuch, den einfachen Dingen ihren Wert zu geben, miteinander Frisuren und Kleider zu betrachten, die eigene Spur im Leben darin zu finden. Beide hatten nie Geld, aber das bekümmert sie wenig. Im Notfall half stets Officer Worf von der Sternenflotte. Oder es tröstete die Erinnerung an ein Fußballspiel des „FC Blum in Höchst“. Und dann sind da ja noch Heinrich und Jakob.
„Hast Du Dir je überlegt, dass wir zusammenziehen könnten, in ein gemeinsames hübsches Loch, mit nur unseren Sachen? Ich würde Heinrich wegen Dir verlassen, also müsstest Du auch Jakob wegen mir verlassen“, fragt M. Ja, Heinrich kümmert sich liebevoll um sie, aber die Liebe bedeutet der 64-Jährigen etwas anderes als früher. Außerdem ist Heinrich ihr vierter Ehemann.
„Halt Heinrich fest“, rät die Freundin. „Ich Jakob. Sie wärmen uns. Auch in der kleinsten Hütte.“ Da lenkt M pragmatisch ein: „Hast wahrscheinlich eh recht. Frauen, die nicht selber versichert sind, sollten bei ihren Männern bleiben, Frauen, die zu wenig eigenes Einkommen haben, sollten bei ihren Männern bleiben. Und man darf auch nicht vergessen, wer schlussendlich den Sarg bezahlt.“
Das neue Leben zu zweit, von dem M immer wieder träumt, wird es nicht geben. Gibt es überhaupt Begegnungen zwischen den beiden? Schließlich lebt die eine in Wien, die andere in Hannover. „Wir schreiben einen ganzen Roman und haben uns noch nicht getroffen. Ich habe Angst, dass wir uns nie treffen, dass unsere Arme einfach zu kurz sind“, klagt M und gibt an, wieder einmal bei der Pestsäule auf ihre Freundin zu warten. „Deine blöde Pestsäule! An der Du, wie du behauptest, jeden Tag stehst. Und auf mich wartest. Wie Lili Marleen unter der Laterne“, schimpft I. Sie sei ja da gewesen. Aber weit und breit keine Spur von M.
Das gemeinsame Leben hat sich verflüchtigt ins Gespräch, ins Abwägen der „goldenen Sätze“, ins Schimpfen, Widersprechen und Zusammenfinden. Trotzdem ist es ein gemeinsames Leben voller Wärme. Wenn das Altern so viele Bilder kennt, verliert es auch für die Leserin etwas von seinem Schrecken. Wenn es so voller Träume ist, behält es seine Lebendigkeit. Und Hase und Igel rufen einander fröhlich zu: „Du bist Terroristin auf dem Papier, und ich bin Spießerin in der Wirklichkeit.“
Monika Helfer, Ingrid Puganigg, „Zwei Frauen warten auf eine Gelegenheit“, fester Einband, 144 Seiten, 16,40 Euro, ISBN 978-3-552-06240-5, Deuticke Verlag 2014