Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Annette Raschner · 06. Jun 2013 · Literatur

Von der Schönheit mathematischer Begriffe – Maya Rinderer präsentiert ihren ersten Gedichtband

Mit zwölf Jahren, in einem Alter also, in dem andere normalerweise langsam anfangen, sich mit dem eigenen Körper und der erwachenden Sexualität zu beschäftigen, hat Maya Rinderer begonnen, einen knapp 356 Seiten starken Roman zu schreiben. „Esther“ ist vor zwei Jahren erschienen: ein Buch als Annäherung an die eigene Familiengeschichte, in dem Maya Rinderer erzählt, wie ein junges Mädchen den Holocaust überlebt. Aus Zeitgründen habe sie des Öfteren auch in der Mathematikstunde geschrieben, erzählte Maya damals anlässlich der Buchpräsentation im Salomon-Sulzer-Saal in Hohenems. Die Mathematik scheint ganz generell eine Inspirationsquelle für die heute 17-jährige Autorin zu sein. Denn jetzt erscheint im Bucher Verlag ihr erster Gedichtband unter dem Titel „An alle Variablen“.

Wir sitzen in einem Café in Dornbirn Hatlerdorf. Maya erzählt von ihrem Wunsch, nach der Matura in Wien Orientalistik zu studieren. Vielleicht nicht sofort, spannend wäre es auch, zunächst ein Jahr lang zu arbeiten, zu reisen und zu schreiben, sagt sie. Doch die arabische Sprache wolle sie unbedingt erlernen. Vor zwei Jahren habe sie in Tirol an einem Begegnungsprojekt mit österreichischen, jüdischen und arabischen Israelis teilgenommen, das sei eine sehr bereichernde Erfahrung gewesen.

Mit ihren Eltern hat Maya Rinderer im letzten Sommer die Golanhöhen besucht. Die Tatsache, sich im Grenzgebiet zu befinden, habe ein merkwürdiges, mulmiges Gefühl in ihr ausgelöst, sagt sie. Nahezu jedes Jahr steht ein Familienbesuch in Tel Aviv an, denn die Mutter Ada stammt aus Israel, die Großmutter aus Syrien, und eigentlich, lacht Maya, entsprächen sie ganz dem Klischee einer jüdischen Familie, denn sie kenne niemand humorvolleren als ihren Großvater.

In Paris lernten sich ihre Eltern kennen, beide sind Architekten. SIE reiste nach New York weiter, ER ihr hinterher. Eine romantische Liebesgeschichte, wenn da nicht der Vater Reinhard gewesen wäre, der nun mal ein waschechter Vorarlberger ist. „Die Liebe der beiden war nicht einfach. Es gab ein ziemliches Hin und Her. Meine Mutter hatte Angst, wie die Reaktion der Eltern auf einen Österreicher als Schwiegersohn ausfallen würde. Dabei war ihre Angst eigentlich unbegründet. Die Eltern wollten nur nicht, dass ihre Tochter in ein so fernes Land zieht.“ Eine Zeitlang versuchten es die Rinderers in Israel, schließlich in Götzis. „Meine Mama sagt noch heute, dass das Leben in Götzis für sie einen Versuch darstellt. Aber der Versuch dauert immerhin schon zwanzig Jahre an.“

Lesen, schreiben, genau wahrnehmen


An Israel fasziniert Maya Rinderer, die Hebräisch als ihre Muttersprache bezeichnet, die Vielfalt. Jeder in Israel stelle in irgendeiner Art und Weise eine Minderheit dar, sagt sie. Natürlich wisse sie auch, dass dieser Umstand ein herausfordernder sei, der viele Probleme mit sich bringe. Aber die Lage im Nahen Osten sei vor allem wegen der – so Maya – „rechten israelischen Politik“ eine prekäre, bis zu einer friedlichen Lösung werde also sicher noch viel Zeit verstreichen. Sie selbst tritt für eine Zweistaatenlösung ein.

In der aktuellen Ausstellung „Familienaufstellung“ im Jüdischen Museum in Hohenems, die so etwas wie ein Porträt der israelischen Gesellschaft liefert, lächelt dem Ausstellungsbesucher auch Familie Rinderer auf einem Foto entgegen. Für Maya ist es eine „große Ehre“, an der Ausstellung partizipieren zu dürfen. Sie habe sie schon zwei Mal besucht und kenne nun wirklich jede einzelne Fotografie und jeden Text.

Lesen, schreiben, genau wahrnehmen: Das sind wichtige Pole im Leben der außergewöhnlichen jungen Frau, von der jetzt exakt hundert Gedichte in dem Band „An alle Variablen“ erscheinen.

Rom aus dem Himmel zu sehen
ist spiegelverkehrt.
Erdenkuppeln strecken sich hernach,
Treppen winden sich zu uns
und wir greifen perspektivisch
nach den Wolken.

Der römische Dichter Catull habe in seinem ganzen Leben nur hundert Gedichte geschrieben, so lange habe er an jedem Wort gefeilt, erzählt Maya. Sie sei da ganz anders. Sie schreibe aus der Emotion heraus und versuche, so wenig wie möglich zu überarbeiten. Das, was im Moment entstehe, sei dann vielleicht nicht perfekt, dafür aber authentisch.

In „An alle Variablen“ verwendet Maya Rinderer mathematische Begriffe gerne als Metaphern. Mathematik sei zwar nicht ihr bestes Fach, aber sie liebe deren Klarheit. Das echte Leben sei komplex und kaum zu entschlüsseln, die Mathematik hingegen biete Lösungen an. Der Gedichtband sei der Versuch, die Mathematik gewissermaßen über das Leben zu legen, um zu schauen, ob so etwas wie eine Struktur sichtbar wird.

Das E in der Schreibmaschine klemmt.
Zum Glück kommt in deinem Namen
kein E vor, weil ich so viel –
so viel deinen Namen denke,
nicht dich direkt, deinen Namen.
Und dass ich ihn mit dem Cosinus –
du weißt, mit dem Cosinus ausrechnen kann.
Wir streiten den Rechenweg.

„Nur übers Schreiben zu schreiben, ist doch ziemlich langweilig.“


Maya Rinderer schreibt kontinuierlich viel, und sie bezeichnet sich selbst als „sehr diszipliniert“. Zurzeit schreibt sie an einem Roman über Jugendliche in Dornbirn. Zwei Drittel sind bereits fertig, jedes Kapitel wird akribisch geplant. Aus Zeitgründen müsse sie sich genau einteilen, wann sie wie viel schreibe, und manchmal ginge es auch nicht anders als während des Unterrichts. „Und Mathe eignet sich dafür immer gut.“

Irgendwann will sie das Schreiben zu ihrem Beruf machen. Dafür sei es aber besser, gerade nicht Germanistik oder kreatives Schreiben zu studieren. „Als Schriftstellerin sollte man sich schließlich für viele Dinge interessieren. Nur übers Schreiben zu schreiben, ist doch ziemlich langweilig.“

Deine Mundhöhle ist der Resonanzraum
für meine Worte. Ich kann euch nicht alle
in meine Definitionsmenge nehmen, das ist vorbei.
Aber du bringst die Geschenke, bringst mich zurück.
Wir sind nur unsere Anfänge, keine Enden.
Warum der Papierkorb die einzige Schatztruhe ist.

 

Maya Rinderer, An alle Variablen, Softcover, 144 Seiten, 14,50 Euro, Bucher Verlag 2013, ISBN 978-3-99018-201-7
Buchpräsentation: 27. Juni, 19 Uhr, Buchhandlung Brunner in Dornbirn