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Kurt Bracharz · 25. Jul 2012 · Literatur

Von Nestausnehmern, Hüslebauern und Kryptoschützern

Ein Sprichwort sagt, man solle ein Buch nicht nach seinem Umschlag beurteilen. Das ist symbolisch gemeint, trifft aber auf das neue Buch von Christian Mähr auch buchstäblich zu. Es sieht von der Aufmachung her aus, als sei es so langweilig wie sein Titel: „Naturschutz in Vorarlberg. Eine Annäherung“ (Limbus Verlag). Die Edelweiß-Vignette auf dem einheitlich grünen Umschlag macht das Kraut auch nicht fett.

Wenn ich den studierten Chemiker, langjährigen ORF-Journalisten und Schriftsteller Mähr nicht persönlich kennen oder seine Sachbücher nicht schätzen würde, hätte ich das optisch unscheinbare Buch wahrscheinlich für eine Dissertation oder eine andere Fleißarbeit über Naturschutzrecht oder ein ähnliches Thema gehalten, kein Exemplar vom Stapel in der Buchhandlung genommen und keinen Blick hineingeworfen. Damit wäre mir allerdings ein lesenswertes und über weite Strecken amüsantes Buch entgangen.

Etwas Spannendes zu lesen und nebenbei lehrreich

Es ist keine wissenschaftliche Arbeit, beruht aber auf einer solchen, der 2007 erschienenen „Geschichte des Naturschutzes in Vorarlberg. Eine Betrachtung aus ökologischer Sicht“ des Umweltbüros Grabher. In der Einleitung zu seinem Buch beschreibt Mähr seine Absichten beim Verfassen der Texte: „Ich habe das hier nicht als journalistische Arbeit geschrieben, sondern als ein Stück Literatur, das heißt einfach:  Etwas Spannendes zum Lesen! (Nebenbei lehrreich.) Das war die Absicht. Inwieweit es gelungen ist, kann ich nicht sagen. Das können nur Sie!“

Dann wollen wir mal. Interessanter als meine wären vielleicht die Meinungen der Mitglieder des Naturschutzrates, die das Buch bei Mähr in Auftrag gegeben haben, nachdem ihnen sein Buch über den Skiclub Arlberg besonders gut gefallen hatte, denn vielleicht hätte das eine oder andere von ihnen die nationalsozialistischen Wurzeln des Naturschutzes in Vorarlberg gern weniger detailliert geschildert gehabt oder auf Mährs mehrfache Hinweise verzichtet, dass dem originalen Naturschutzgedanken der gerne mit Humanismus verwechselte Anthropozentrismus fremd war. Aber dankenswerterweise haben sie ihm freie Hand gelassen und Christian Mähr scheut nicht vor gedanklicher Originalität zurück.

In den teils anekdotischen (zur frühen Geschichte des Vorarlberger Naturschutzes, die der Autor mangels Masse wohl nur in Antagonisten wie dem Hobby-Botaniker Johann Schwimmer und dem Wildbach- und Lawinenverbauer und Adlernestausnehmer Hofrat Josef Henrich personalisieren konnte), gelegentlich satirischen (über die psychohistorischen Gründe der Verhüttelung), sonst aber streng seriösen Text sind fünf Interviews eingestreut, mit der Obfrau des Naturschutzbundes Hildegard Breiner, dem ehemaligen Obmann Gottfried Waibel, dem Naturschutzbeauftragten der BH Bludenz Rochus Schertler, der BirdLife-Obfrau Rita Kilzer, der Landschaftschutzanwältin Katharina Lins und dem Botaniker und Vorsitzenden des Naturschutzrates Georg Grabher.

„Gemacht wird meistens doch, was die Wirtschaft will“

Bei diesen Interviews begnügt sich der erfahrene Journalist Mähr mit kurzen, manchmal pseudo-naiven Fragen, auf die es relativ lange, kompetente Antworten gibt. Mehr oder weniger deutlich ist immer die Frage dabei, wie der Gesprächspartner die Situation insgesamt einschätzt, und die Antworten darauf fallen durchwachsen aus. Recht deutlich ist die Stelle im Gespräch mit Katharina Lins: „M: Wenn man ein bisschen an der Oberfläche kratzt, kommt halt heraus: Es wird viel geredet, ihr dürft alles sagen, aber gemacht wird dann meistens doch, was die Wirtschaft will. Oder ist dieser Eindruck ganz falsch? L: Das klingt jetzt etwas negativ, aber es ist nicht ganz falsch. Es ist grundsätzlich richtig, dass man die Interessen abwägt; was ich nicht richtig finde, ist, dass die andere Seite meistens viel schwerer wiegt. (...) M: Meine verschiedenen anderen Interviewpartnerinnen – Frau Breiner, Frau Kilzer – waren aus ihrer speziellen Sicht mit der Situation des Naturschutzes nicht sehr zufrieden. Nun hört es sich aber von der sozusagen ,hohen Warte' der Naturschutzanwältin aus gesehen auch nicht so rosig an. L: Nein, das stimmt schon, aber man muss sich im Vergleich zu anderen Ländern nicht nur schämen und verstecken. Man könnte natürlich sehr vieles besser machen. Es ist ja in Vorarlberg üblich – nicht hier, aber in der Politik ­–, dass man sich immer selber lobt und sich als Musterknaben präsentiert, aber grad so im klassischen Naturschutz stimmt das eigentlich nicht; es stimmt in der Gebäudesanierung und bei der thermischen Effizienz, da wird schon viel gemacht, aber beim reinen Naturschutz ist noch viel Luft nach oben, um es positiv zu sagen.“

Die Gesprächspartner machen dann auch brav mit Positivem weiter, aber da ich hier nicht positiv sein muss, möchte ich doch meinen Eindruck äußern, dass in puncto Naturschutz in Vorarlberg schon viel gemacht wird, nämlich viel kaputt gemacht. Mellau-Damüls war nur das letzte konkret ausgeführte Beispiel, die Pläne für ähnliche Desaster liegen sicher schon in den Schubladen, und vielleicht findet sich sogar für die S18 noch irgendwann ein Kilroy für den Wachtelkönig.

Damit habe ich mich jetzt wahrscheinlich mit Georg Grabher angelegt, der in seinem Interview echte Erfolge des Naturschutzes in Vorarlberg und einige jener Naturschützer, die selten oder nicht in der Zeitung stehen und die er „Kryptoschützer“ nennt, aufzählt, und der sich aufregt über „die Stänkerer, die ständig jammern, gerade aus Biologenkreisen – ja, jetz hams des scho wieder und des scho wieder ... (...) Die Miesmacher im Naturschutz, die gibt’s halt auch, und die kränken mich mehr als jeder Gegner.“

Schwäne essen?

Wenn es gerade die Biologen sind, die jammern – vielleicht haben die doch Gründe, mir fällt dazu die Frage ein, wo eigentlich alle die Tiere hingekommen sind, die ich in meiner Kindheit am Bodenseeufer, im Vorkloster und am Pfänderstock täglich beobachtet (und, zugegeben, zum Teil auch gefangen) habe, und ich meine nicht nur die vielen Schmetterlinge und die mindestens sieben Arten von Amphibien, die man damals jederzeit einsammeln konnte ... aber lassen wir das.

In kleinen Details irrt sich Mähr. Zum Beispiel zur Frage des Verzehrs von Schwänen, wo er meint, man habe sie zur Zeit der Weltwirtschaftskrise aus Not gegessen, und Aussagen zum Geschmack dieser Vögel ließen sich „nicht leicht verifizieren“. Schwäne kommen durchaus auch heute noch am Obersee auf den Tisch, allerdings nur in privaten Runden und ohne Aufsehen – als ein deutscher Chefredakteur vor ein paar Jahren naiverweise in seiner Zeitschrift von einem solchen Schwanenessen in geschlossener Gesellschaft in einem Gasthaus berichtete, blies ihm ein Leserbrief-Shitstorm ins Gesicht.

Fast schon bizarr erscheint mir eine beiläufige Bemerkung Mährs auf Seite 220, wo er erwähnt, dass der Gymnasiast Max Riccabona in Feldkirch James Joyce kennen gelernt habe, und fortfährt: „Riccabona und Joyce haben in der Umgebung Wanderungen unternommen. Wohin – ja genau: auch an den Illspitz! Was das jetzt mit Naturschutz zu tun hat? Keine Ahnung! Nix wahrscheinlich.“ Dass es im Frühjahr 2012 eine recht heftige Kontroverse zwischen Ulrike Längle vom Felderarchiv und dem Wiener Anglisten Andreas Weigel über die Frage gegeben hat, ob Riccabona Joyce überhaupt jemals persönlich getroffen hat oder nicht (Weigel sagt: sicher nicht), muss der Naturwissenschaftler Mähr ja nicht wissen; aber dass Joyce und Riccabona zusammen Wanderungen unternommen hätten, ist meines Wissens vorher noch nie irgendwo behauptet worden, nicht einmal von Riccabona selbst. Ein Scherz von Christian Mähr?

 

Christian Mähr, Naturschutz in Vorarlberg. Eine Annäherung, Limbus Verlag 2012, ISBN 978-3-902534-57-6