Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Fritz Jurmann · 12. Mai 2013 · Musik

„Barpianist“ müht sich um Chopin – Wechselbad der Gefühle für die Besucher eines Klavierabends der Chopin-Gesellschaft Vorarlberg

Da hat aber die Chopin-Gesellschaft Vorarlberg ihrem „genius loci“ einen ordentlichen Bärendienst erwiesen. Und die spärlichen Zuhörer ihres Klavierabends am Freitag im Feldkircher Pförtnerhaus zudem in ein Wechselbad der Gefühle gesteckt. Mit dem Polen Marek Tomaszewski wurde ein Pianist engagiert, der vieles spielen kann – nur nicht Chopin. Bei seinem Versuch, das auf Wunsch des Veranstalters trotzdem zu tun, kam er über das Niveau eines mittelmäßig begabten Barpianisten nicht hinaus.

Einst als „Marek & Vacek“ unterwegs


Ein Blick in Tomaszewskis Biografie bringt Klarheit über die Hintergründe. Ältere Zuhörer erinnerten sich dunkel, dass er ab den Siebzigern unter seinem Vornamen mit einem Partner als erfolgreiches Pop-Klavierduo „Marek & Vacek“ durch die Lande gereist war. Rimsky-Korsakows virtuoser „Hummelflug“ war damals ihre Paradenummer, die auch die Rundfunkanstalten rauf und runter spielten. Nach Vaceks Tod tingelt der mittlerweile 70-Jährige als netter älterer Herr nun allein durch die Welt. Mit seinen schlohweißen Haaren sieht er aus wie James Last vor etwa 15 Jahren, nur mit dem Unterschied, dass dieser auch mit 84 seiner Musik treu geblieben ist, wie immer man auch dazu stehen will.

Tomaszewski dagegen, der nun freundlich lächelnd, aber etwas verloren am Flügel sitzt, müht sich verzweifelt um Chopin, auch wenn er hörbar keine Ahnung hat von der perlenden parfümierten Eleganz dieser Musik. Das Generalmotto „Impressionen“ erspart ihm notengetreue Wiedergaben, er reißt bloß Chopin-Themen an, stellt Motive aus Werken anderer Komponisten daneben, ohne sie aber improvisierend zu verbinden, wie das Könner dieses Faches tun würden. Das berühmte c-Moll-Prélude bringt er mit Bach und Rachmaninow in Zusammenhang, die Mazurka in D-Dur mit einer irischen Melodie aus „Titanic“, die Etüde in c-Moll wird mit dem Tango aus dem Film „Moulin Rouge“ gekoppelt und, noch schlimmer, einem Thema aus Mussorgskis „Nacht auf dem Kahlen Berge“.

Bleiern behäbiger „Minutenwalzer“


Das ergibt triviale, schwer verdauliche und von zu viel Pedalgebrauch verwischte Mischungen, die noch dazu durch seine mangelhafte Technik mit schludrigem Laufwerk und eine wenig differenzierte Dynamik beeinträchtigt sind. Als einziges Original spielt er den leichtfüßigen „Minutenwalzer“, jedoch so bleiern behäbig und schwerfällig, dass ihn wohl jeder bessere Klavierstudent vom Konservatorium nebenan auf Anhieb getoppt hätte. Freilich: Immer dann, wenn Tomaszewski Chopins Musik swingen macht, mit Pop-Rhythmen anreichert oder den „Minutenwalzer“ am Ende in einen Ragtime münden lässt, holt ihn die Vergangenheit ein, spürt man: Hier, im Unterhaltungsbereich, ist er daheim. Das ist seine Welt! Die Leute klatschen nach jeder Nummer, fast eine Stunde zieht sich dieser Pseudo-Chopin quälend mühsam dahin.

Nach diesen ersten Erfahrungen sind die Befürchtungen groß, ob es Marek Tomaszewski wohl schaffen würde, die als Hauptwerk im zweiten Teil des Abends angekündigten, vor fast genau einhundert Jahren in einem berühmt gewordenen Skandalkonzert in Paris uraufgeführten „Sacre du printemps“ von Strawinsky auf die Reihe zu bringen. Doch da ereignet sich so etwas wie ein kleines Wunder im Pförtnerhaus.

Spielt sich in einen rauschhaften Zustand


Der Pianist besinnt sich doch noch seiner klassischen Ausbildung und interpretiert insgesamt recht überzeugend seine eigene, etwas vereinfachte Klavierbearbeitung dieses Werkes. Besonders die rituellen Tänze mit ihren kantigen Rhythmen stampft Tomaszewski durchaus glaubhaft aus dem Flügel, spielt sich zum Finale in einen geradezu rauschhaften Zustand. Da ist der Beifall nun wirklich groß und berechtigt und damit die Welt auch für die Chopin-Jünger wieder einigermaßen in Ordnung.

Ein solch langmütiges Publikum hat sich eine Belohnung verdient, und die gibt es im unteren Stock in Form eines Buffets, zu dem die Chopin-Gesellschaft einlädt. Der dritte Teil des Abends versöhnt dann vollends. Der Veranstalter hat sich der Mühe unterzogen, die Aufführungsrechte für den 2011 entstandenen Kultfilm „Pina“ zu erwerben, eine Tanzfilm-Dokumentation, die Regisseur Wim Wenders mit dem Ensemble des Tanztheaters Wuppertal als Hommage an die 2009 verstorbene große Choreografin Pina Bausch gestaltet hat. Ein wesentlicher Teil dieses Films ist Strawinskys nunmehr vertanztem „Sacre du printemps“ gewidmet – ein interessanter Vergleich zum 100-jährigen „Geburtstag“ des Werkes, an den auch vor kurzem das Symphonieorchester Vorarlberg in seinen Osterkonzerten mit maßstäblichen Aufführungen unter Alexander Drcar erinnert hat.