Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Thorsten Bayer · 12. Apr 2014 · Musik

„Geht´s noch etwas dunkler?“ Chris Garneau am Spielboden

Die Liste der Referenzen, um Chris Garneau und seine Musik einzuordnen, ist lang: Nina Simone und Jeff Buckley nennt der 31 Jahre alte Singer-Songwriter als seine Vorbilder. Kritiker haben den New Yorker schon mit Rufus Wainwright, Sufjan Stefens und Regina Spektor verglichen. In Dornbirn sind Anklänge an diese anderen Künstler spür- und hörbar, vor allem aber ist ein junger, ernster Mann mit einem ganz eigenen Stil zu erleben. Anstrengend, intensiv ist sein Auftritt, der gleichwohl Gänsehaut-Momente zu bieten hat.

Als erstes betritt Allie die Bühne, ein sehr introvertierter Musiker, den es aus Ostwestfalen nach (Überraschung, Überraschung) Berlin verschlagen hat. „Uncanny Valley“, unheimliches Tal, nennt sich sein aktuelles Werk – und der Begriff unheimlich bringt sein Werk gut auf den Punkt. Als „Folkpop von seltsamer Schönheit“ hat es Jan Freitag auf zeit.de bezeichnet und sich dabei zu Recht gefragt: „Wie kann Lagerfeuermusik so synthetisch klingen?“ Sein Eröffnungsstück ist eine reduzierte Coverversion von Frankie Goes To Hollywoods „The Power Of Love“. Auch bei den folgenden Songs bleibt er seiner Linie – zarter Falsettgesang und düster-hypnotisches Elektrowummern – treu. Sie werden trotz des ähnlichen, getragenen Tempos nie monoton.

„No trivial shit“


Chris Garneau hat sich Verstärkung mitgebracht. Maxime Vavassens begleitet ihn auf der E-Gitarre, an diversen Effektgeräten und nicht zuletzt mit seiner schönen, tiefen Stimme, die einen gelungenen Kontrapunkt zum hohen, kopflastigen Gesang seines Kollegen setzt. „Winter Games“ heißt das dritte Album des gebürtigen Bostoners, der nach einigen Jahren in Paris nach (Überraschung, Überraschung) Brooklyn gezogen ist. Mit seiner jungenhaften, verletzlich wirkenden Erscheinung und den weichen Gesichtszügen erinnert er an Brian Molko, den Frontman von Placebo. Wenn Garneau in einigen, leider wenigen Momenten seine Stimme etwas tiefer legt, verstärkt sich dieser Eindruck noch. Eins ist von Anfang an klar: Der Mann hat etwas zu sagen. Oder wie er es selbst in einem Interview formulierte: „This record isn´t about trivial shit“. Er singt über Inzest, Vernachlässigung und Missbrauch in der Familie. Da ist es nur folgerichtig, dass er nach zwei Stücken den Techniker im Großen Saal des Spielbodens bittet: „Could you make it a little darker?“ Ein bisschen dunkler geht immer – nicht nur bei der Beleuchtung.

Oh God


Leichte Muse sieht sicher anders aus – aber die war auch nicht zu erwarten, wenngleich sich das nicht bis zu jedem Zuhörer rumgesprochen zu haben scheint. Halb genervte, halb flehentliche Blicke schickt Garneau von seinem Flügel in Richtung einiger unverbesserlicher Dauerquatscher. „Oh God“, sein größter Hit, der zwischenzeitlich auf Platz eins der FM4-Charts stand, erklingt früher als erwartet. Die Live-Version kommt rauher, weniger elektronisch-glatt als im Radio daher. Ein Song, der einerseits gewohnt tiefgründig daherkommt, sich aber andererseits mit der Zeile „I can feel it in the air tonight“ einen augenzwinkernden Schwenk zu Phil Collins und damit zum denkbar größten Mainstream erlaubt.

Garneau selbst sieht „Oh God“ so: „It has an energy that pulls the record into better shape. I wanted to keep it very simple and was enjoying the synth factor as well as the Phil Collins shout-out. I was just having fun, really. It is also the only full band song on the record, which is a nice contrast from the rest of the lengthy, ambient tracks that make up most of Winter Games“ (Interview auf vogue.com). Garneau legt eine Menge Herzblut in seine Songs und in seinen Auftritt in Dornbirn, billige Show-Effekte sind so gar nicht sein Ding. Eine sympathische Einstellung, die einen intensiven Abend am Spielboden maßgeblich prägt.