Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Silvia Thurner · 17. Mai 2009 · Musik

„Paradiesseits“ - Gerald Futscher und das Aktionstheater Ensemble beim Bregenzer Frühling

Der Komponist Gerald Futscher widmete sich in den vergangenen zwei Jahren einem brisanten Thema, der Liebe und Sexualität im hohen Alter. Er komponierte eine Oper, die im Rahmen des Bregenzer Frühlings vom Aktionstheater Ensemble unter der Regie von Martin Gruber uraufgeführt worden ist. Wohl aus finanziellen Gründen oder auch aufgrund eines Unverständnisses darüber, was eine Oper auszeichnet, wurde das Stück zu einem Theater mit Musik. Ein ausgezeichnetes Schauspielerensemble mit Martina Ambach, Babett Arens, Sylvia Eisenberger, Florentin Groll, Erik Leidal, Maria Urban sowie Eduard Wildner machten diese Produktion auf der Werkstattbühne des Festspielhauses zum Erlebnis. In den Zwischenräumen eines mitunter recht plakativen Textes von Andreas Staudinger entwickelten sich Beziehungsgeschichten, die Schwachstellen unserer Gesellschaft an die Oberfläche transportierten. Die Musik von Gerald Futscher verströmte in einer beeindruckend transparenten Interpretation des „ensemble plus“ unter der Leitung von Kasper de Roo eine eigenständige, mitreißende Aussagekraft.

Die Geschichte von „Paradiesseits“ ist schnell erzählt. Bea (Maria Urban) feiert Geburtstag. Ihre Enkelin (Martina Ambach) lädt unter anderem ein Vertreterehepaar (Florentin Groll und Babett Arens) mit ihrem behinderten Sohn Alfred (Erik Leidal) als Unterhalter ein, die jedoch eine Verkaufsshow geben wollen. Auch die Heimbewohner Phil (Eduard Wildner) und Marissa (Sylvia Eisenberger) nehmen am Fest teil. Im Laufe der Zeit entwickelt sich eine Eigendynamik, die einesteils die Enkelin zur Verzweiflung bringt, andernteils Bea und ihrem neuen Freund Phil Flügel verleiht. Sie sehnen sich mit dem selbst gebauten Katamaran, dessen Pläne Phil schon in der Schublade hat, nach einer Reise zu den Galapagos Inseln. Die Alten sind sich dessen bewusst, dass die Sparbücher allein sie nicht glücklich machen. Ob dieser Einsicht verzweifeln jedoch die Enkelin und auch der Verkäufer. Alfred hat für die Verkaufsshow anstatt der Heizdecken Brautkleider eingepackt. Für die einen werden die Kleider zu Synonymen für unerfüllte Wünsche und zu Objekten der Frustration. Die Alten und der behinderte Sohn hingegen schlüpfen in die Kleider und werden mit ihren Gefühlen füreinander herzerfrischend jung.

Der Text

In Wortspielen und assoziativen Wortketten setzte der Autor Andreas Staudinger auf mehreren Beziehungsebenen einige kritische und humorvolle Pointen. Vor allem die Enkelin bediente sich einer Kunstsprache mit Satzwiederholungen, die jedoch nach kurzer Zeit ihren Reiz verlor. Allerdings wirkten die Abgeklärtheit der Jubilarin sowie der Heimbewohnerin Marissa, die ihre Gedanken meistens an bereits Verstorbene richtete, erfrischend, prägnant und in sich bündig. Die Tragik der frustrierten Ehefrau Rosa zeigte sich auf mehreren Sprachebenen. Jedoch entwickelte sich der Erzählfluss des Stückes über weite Strecken eher schleppend.

Die Musik

Gerald Futscher komponierte eine zupackende Musik für großes Ensemble. Als musikalischer Leiter war Kasper de Roo ein Glücksgriff, denn er führte das „ensemble plus“ zu einer musikalisch überaus bemerkenswerten Leistung. Plastisch konzipiert erklangen im Eröffnungsstück um Zentraltöne angeordnete, suchende Linien, die dicht verflochten in Beziehung zu kompakten Klangblöcken gestellt wurden. Die Streicher waren solistisch besetzt und wurden leicht verstärkt. So entstand eine gute Balance zwischen den Instrumentengruppen, die die Musik insgesamt transparent wirken ließ. In weiterer Folge agierte das Ensemble als Zwischenaktmusik, ohne thematisch oder leitmotivisch mit der im Vordergrund stattfindenden Theaterhandlung in Verbindung zu treten. Lediglich im Mittelteil, zur Modeschau der Brautkleider sang Alfred eine über dem Ensembleklang gespannte Melodielinie, die dem gesamten Stück eine poetische Note verlieh. Die energetischen Klangschübe am Ende wurden teilweise durch die sprechenden Protagonisten überdeckt, so dass sich kein musikalisch sinnstiftender einheitlicher Eindruck einstellen konnte. Als Ganzes betrachtet erzählte das Aktionstheater Ensemble auf seine pointierte und facettenreiche Art eine sehr aktuelle Geschichte. Das Publikum nahm das Werk mit großer Zustimmung auf und applaudierte begeistert.

Gedanken

„Paradiesseits“ ist in dieser Inszenierung sicher keine Sprechoper, nur weil die ProtagonistInnen ihre Rollen sprechen. Denn die Texte entsprechen in keiner Weise einem musikalischen Material, das in einem direkten Verhältnis zur Musik stehen könnte. So gesehen wurde die Musik zum Soundtrack degradiert, denn als gleichberechtigte Partner, die sich gegenseitig und sinnstiftend ergänzen, traten das Schauspiel und die Musik nicht in Erscheinung. Das ist schade, zumal wenn man weiß, dass alle Stimmen zu den handelnden Personen auskomponiert sind. In dieser Aufführung wurde quasi ein Torso des ursprünglich geplanten Konzeptes geboten. Das Theaterstück „Paradiesseits“ mit der Musik von Gerald Futscher hat auf seine Weise funktioniert. Allerdings bleibt der fahle Beigeschmack einer verpassten Chance, denn das Potential, das in dieser Musik steckt, wurde nur ansatzweise ausgeschöpft.