Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Fritz Jurmann · 24. Okt 2012 · Musik

50 Jahre „on stage“: Rock- und Blueslegende Walter Batruel war Star einer „Carte blanche“ AmBach in Götzis

Auf den Tag genau vor 50 Jahren hat Walter Batruel als damals 15-Jähriger zum ersten Mal öffentlich musiziert, im Gasthof „Alpenrose“ im Ebnit mit der Ziehharmonika: „Damals habe ich erkannt, wie schön das Musikmachen ist.“ Heute ist er 65, wurde zur Rock- und Blueslegende im Land und war als solche eingeladen, bei der dritten „Carte blanche“ am Dienstag im Veranstaltungsreigen der Götzner Kulturbühne AmBach ein Programm ganz nach eigenen Wünschen mit seinen „friends“ zu gestalten. Versammelt hat sich dazu ein halbes Jahrhundert an Vorarlberger Popgeschichte.

Eine Freikarte für den Künstler

Die Idee der „Carte blanche“ geht auf den früheren Götzner Veranstaltungsleiter Hartmut Hofer zurück, der seinerseits die Anregung vom Jazzfestival in Montreux übernahm. Man erhofft sich mit einer Art Freikarte für den Künstler innovative, oft spontan improvisierte und spartenüberschreitende Programme. Diese Erwartungen  sind bei den ersten beiden Abenden mit dem Trompeter Herbert Walser-Breuss und der Geigerin und Volkskundlerin Evelyn Fink aufgegangen. Und auch Walter Batruel sorgte mit der dritten Auflage durch die bunte Mischung seiner Gäste für einen wohltuenden Blick über den strengen Tellerrand von reinem Rock und Blues hinaus.

Batruel, die schulterlange Löwenmähne als äußeres Markenzeichen sorgsam gepflegt, verkörpert als einstiges Aushängeschild der 68er-Bewegung bis heute ein pralles Stück Lebensgefühl der Sechziger und Siebziger im Land. Nicht nur in seiner Musik, dem Rock’n’Roll, dem Blues, mit denen er damals aus der provinziellen Enge auszubrechen versuchte, sondern auch in seiner Lebensphilosophie. Als alljährlicher Aussteiger bis heute will er sommers in einem illegalen Hausboot an der „Costa del Rhi“ (= am Alten Rhein) zwischen Alkohol- und sonstigen Träumen nichts anderes sein als ein Pirat im Vogelparadies, abseits aller gesellschaftlichen und sonstigen Normen und Zwänge.

Seine Fans sind auch in die Jahre gekommen

Seine Klientel, über Jahrzehnte geprüft und gereift, ist ihm durch alle Unbilden dieses Lebens treu gefolgt und sitzt nun recht zahlreich, selbst in die Jahre gekommen, gesittet in den Reihen, klatscht, schnippt oder singt mit und hat eine Gaude daran, sich von riesigen Lautsprechertürmen drei Stunden lang zudröhnen zu lassen und damit die gute alte Zeit zumindest in der Erinnerung heraufzubeschwören.

Grundformation des Abends ist natürlich Batruels Urband, seine „Gamblers“, von Übelmeinenden damals der Haarlänge ihrer Mitglieder wegen auch „Gammlers“ genannt, die er 1965 ins Leben rief. Oder das, was davon heute noch übrig ist, neben dem Leader ist das Ausnahmedrummer Martin Hämmerle. 1978 reüssierte Batruel mit seiner selbst gebastelten „Blues Machine“ als kleinste Big Band der Welt in einer One-Man-Show als Sänger, Gitarrist, Mundharmonikaspieler und Schlagzeuger in einem. Sein treuer Diener Django baut ihm das Gerät auf und ab und sorgt fürs leibliche Wohl, seit 40 Jahren: „Wir müssen uns gegenseitig aushalten“, so Batruel sarkastisch. Und irgendwie denkt man dabei an das Gespann Don Giovanni und Leporello, auch was die außermusikalischen Abenteuer der beiden betrifft …

Erdige Rock- und Bluesnummern mit viel Power

Seit 1998 tourt Batruel nun zusammen mit dem weit jüngeren Dietmar Bitsche im Blues-/Boogie-Duo „Hems Harlems“. Und auch da ist in diesen erdigen Rock- und Bluesnummern von einst noch heute alles vorhanden an unglaublicher Power und dem Feeling eines Urviechs mit Reibeisenstimme und seinen Riffs auf der Gitarre, frech wie Oskar, unverbraucht wie damals. „Blues ischt mi Leaba“, kompromisslos wie das 2008 entstandene außergewöhnliche Filmporträt von Simon Adamek, das als Pausenfüller gezeigt wird, aber eigentlich seine volle Länge von 55 Minuten verdient hätte.

Nicht alle „Freunde“, die Batruel zu diesem Abend eingeladen hat, passen stilistisch in seine Kragenweite. Doch das mischt sich bald, dank dem Gastgeber als lebendem „roten Faden“. Manche spielen gerne die Blues-Masche mit so wie der Mundharmonika-Virtuose Cäsar oder Schellinski mit Bernie Weber, Batruel übernimmt dagegen auch bei „Welcome“, die mit ihren einfachen Dialektliedern etwas aus der Reihe fallen, die Gitarrensoli. Nur Thomas Pegram steht für sich allein und verschafft  dem Unermüdlichen, der immer öfter das knallrote Schweißtuch beansprucht, endlich die verdiente Pause. Der bekannt wortkarge Batruel, der am Anfang nur die Titel ansagt, spricht sich im Laufe des Abends auch frei, erzählt Geschichten und Geschichtchen aus seinem bewegten Leben, das sich stets um die Musik und nichts anderes gedreht hat.

Zum Finale Altrocker Bilgeri und Heli Burtscher

Das Finale bringt mit Bilgeri und Bassist Heli Burtscher nochmals zwei Altrocker in Stellung, mit Nummern wie „Knockin‘ on heaven‘s door“ oder dem unvermeidlichen „Strumpfbandgürtelblues“, bei dem Django im Negligé zum allgemeinen Gaudium seine Show abzieht. Bilgeris angekündigter früherer Partner Michael Köhlmeier lässt sich entschuldigen, grüßt die Versammlung von einer Lesung in Wien. Dafür spielen Schellinski eine Nummer nach seinem Text. Der virtuose „Säbeltanz“ zum Schluss gelingt Batruel zwar nicht ganz, doch der Saal kocht vor Begeisterung und verlangt nachts um 11 Uhr noch stürmisch Zugaben. Jetzt hat man endlich die Bestätigung, wie toll das damals doch alles war.