Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Peter Bader · 31. Dez 2013 · Musik

Anspruchsvolle Publikumswirksamkeit - Fatima Spar und das Jazzorchester Vorarlberg begeisterten am Spielboden

Beifallsstürme gab es am Sonntagabend im ausverkauften Spielboden Dornbirn im Rahmen der Jazz&-Reihe für Fatima Spar und das Jazzorchester Vorarlberg.

Bereits die Besucher-Schlange vor dem Spielboden kündete von einem großen Ereignis. Fatima Spar, jene junge türkischstämmige Vorarlberger Vokalistin, die es mit ihrer Band "The Freedom Fries" in letzter Zeit als Interpretin eines mitreißenden Oriental-Balkan-Pop-Swing-Jazz zu einiger Bekanntheit gebracht hat, trat an, ihr neues Programm zusammen mit dem seit einigen Jahren sehr erfolgreichen Jazzorchester Vorarlberg zu präsentieren. Die Zusammenarbeit dieser beiden angesagten - im Spielboden immer wieder gern gesehenen Acts - sorgte in Erwartung eines besonderen musikalischen Highlights für ein ausverkauftes Haus.

Abschied


Zunächst galt es jedoch Abschied zu nehmen, denn mit Jahresende gehen zwei Ären zu Ende:
Peter Füßl, der Gründer und Kurator der Jazz&-Reihe, übergibt nach fünfzehn Jahren erfolgreicher Tätigkeit mit Jahresende sein Amt dem versierten Vorarlberger Jazz-Schlagzeuger Alfred Vogel; dieser über die Landesgrenzen hinaus bekannte Musiker darf als würdiger Nachfolger gelten.

Füßl betonte in seinen einführenden Worten, dass dies heute ein schöner Moment für ihn sei, denn der Spielboden sei mit 600 Besuchern ausverkauft; ausverkauft sei natürlich nicht jedes der 259 Konzerte der Jazz&-Reihe gewesen. Aber es sei eine schöne Bilanz: Es sei gelungen, den Spielboden als Jazzclub auf ein internationales Radar zu bringen.

Andreas Haim war sieben Jahre lang Geschäftsführer des Spielbodens; ihm folgt Peter Hörburger nach. Der 40-jährige Vorarlberger Kulturveranstalter Hörburger ist kein Unbekannter in der  österreichischen Kulturszene.

Beide, Füßl und Haim, nützten in ihrer Einführung die Gelegenheit, ihrem Team, den Geschäftspartnern und nicht zuletzt dem Publikum zu danken. Dafür erhielten sie stürmischen Applaus.

Die Protagonisten


Unter heftigem Beifall betraten die Protagonisten des Abends die Bühne: Fatima Spar  und ihr Jazzorchester. Spar (im schwarzen Tüllrock, offenbar ein Ironie-Signal) erläuterte bühnenerfahren kurz das Projekt. Sie und Philipp Moosbrugger hätten den Plan gehabt, mit einer kleinen Band ein türkisches Swing-Album aufzunehmen. Dann sei Phil Yaeger  ins Spiel gekommen. - Der amerikanische Posaunist und Arrangeur mit Wohnsitz in Österreich ist bekanntlich seit geraumer Zeit ein wichtiges Mitglied des JOV. - Daraus sei das aktuelle Programm entstanden. Welche bedeutende Rolle Yaeger dabei zukommt, wurde zwar bereits im Laufe des Konzerts klar, wurde aber vom Rezensenten im Gespräch mit dem Arrangeur nach dem Konzert noch hinterfragt: Yaeger hüllte die Melodien und manchmal noch sehr kurzen Nummern der Singer-Songwriterin mit großem Gespür in adäquate Jazz-Arrangements. So war im Konzertverlauf augenfällig oder besser: ohrenfällig, dass man es bei Yaeger mit einem  professionell denkenden Arrangeur zu tun hat, der bei seiner Arbeit die Jazz-Geschichte reflektiert.

Stilistische Vielfalt


Die fünfzehn, die Möglichkeiten von Dynamik und Tempi auslotenden Nummern des Abends speisten ihre Ideen aus vielem Bekannten aus der Geschichte der Popularmusik. Dies nicht nur in rein stilistischer Hinsicht, wenn man Stil zunächst einmal auf das musikalische Material beschränken will - also auf Linien, Akkord-Progressionen, Klänge („Voicings“) und Rhythmen -, das stiltypisch verarbeitet wurde, sondern auch im Hinblick auf die Instrumenten-Klänge, die in den verschiedenen stilistischen Ausprägungen der Popularmusik epochemachend waren. Bei den Keyboards (Benny Omerzell) wären das beispielsweise natürlich der Klang des Konzertflügels, der Klang der Hammond B-3 und der Klang des Hohner Clavinets D6 (die zwei letztgenannten Sounds wurden am Nord-Keyboard realisiert).

Im Zeitalter der Postpostmoderne liegen die Chancen und Gefahren eng beieinander: Als Musiker kann man auf vieles schnell und einfach zurückgreifen. Das ist die Chance: Man bekommt die Ideen auf dem silbernen Teller präsentiert. Die Gefahr ist aber offensichtlich: Der Setzkasten der (Popular-)Musikgeschichte kann dazu verleiten, sich in Klischees zu ergeben. Diese Gefahr sah der Rezensent bei den Arrangements Yaegers allerdings nicht wirklich. Vielmehr entstand der Eindruck, dass der Arrangeur mit Klischees spielt und diese, wie es heute durchaus üblich ist, (humorvoll) bricht. Spitzfindig könnte man nun einwenden: Der Klischeebruch ist in der heutigen Zeit selbst schon zum Klischee verkommen...

Als wenige Beispiele für die bei einleuchtender Homogenität stilistische Vielfalt der Nummern seien angeführt:
„Under the forrest canopy“, ein Afrobeat-Pattern, das auch die Assoziation Reggae bzw. Ska-Groove zuließ.
„Biting Creepers“, anfänglich an ältere Kriminalfilm-Soundtracks gemahnend, erinnerte das recht traditionell klingende Arrangement an 30- oder 40er Jahre-Jazz, um sich dann in einen sehr tanzbaren Reggae bzw. Ska-Groove weiterzuentwickeln; ein Groove, über den Yaeger  ein melodiöses, mit viel Applaus bedachtes Posaunen-Solo spielte.
„Did I tell you“: Ein Quasi-Bläser-Choral-Beginn, der auch eine Brassband assoziieren ließ, wurde von einem mächtigen Drum-Rock-Beat (Christian Eberle) abgelöst, über diesen hämmerte Omerzell neckisch-plakativ Akkorde in Viertelnoten auf dem Nord-Keyboard. Übrigens die einzige Nummer mit türkischem Text.
„Trust“: ein modernes Bigband-Arrangement (Bläsersatz!), das knallte. Der moderne Drive wurde aber immer wieder von balladesken Teilen interpunktiert.

Erfrischend war Omerzells kurzer, recht flotter Ragtime-Part in der fetzigen Swing-Nummer „So black, so blue“ (Stichwort „Walking Bass Line“ - Stefan Reinthaler am Kontrabass).
Mit „The voice within“ wurde auch dem Blues Tribut gezollt. Die einzige Cover-Nummer an diesem Abend.

Die fröhliche Zugabe "The good way": Die charmanten JOV-Musiker agierten stehend zunächst als A cappella-Truppe - lässig mit den Fingern auf die 2 und die 4 schnippend. Spar übernahm in ihre Mitte tretend bald die Lead-Stimme und die Rhythm-Section setzte ein. Insgesamt: ein Boogaloo Beat, der an Quincy Jones erinnerte.
Das Traditionelle, Altmodische wurde übrigens immer wieder durch Spars Einsatz des Kohlenstaub-Mikrofons deutlich gemacht; jenes Mikro, das durch Klang und nicht zuletzt durch den Retro-Look Jazz-Nostalgie evoziert.

Aus alledem entstand eine Musik, die gehörfällig aber nicht banal war. Es waren durchaus komplexe Texturen zu hören, die aber nicht abstrakt abgehoben einen eitlen Selbstzweck erfüllten, sondern melodienorientiert der Musik dienten.
Die Grooves waren tanzbar, und der Funke sprang über, wie auch an den zahlreichen BesucherInnen zu sehen war, die sich zum Rhythmus bewegten.
Temporeichere Nummern wechselten sich mit balladesken Stücken ab; es gab auch eine Nummer, die beides beinhaltete (der erwähnte Titel „Trust“)

Ausgezeichnete Profimusiker


Um diese Musik auf die Bühne zu bringen, bedarf es fähiger Musiker. Aus solchen setzt sich das JOV als Pool für Musik-Begabungen aus der Region zusammen. Die meisten der Band-Mitglieder sind auch aus anderen Bands bekannt und bewähren sich auch in weiteren Projekten.

Banddienliches Denken ist für die Arbeit in einem Klangkörper eine Voraussetzung. Wenn man aber auch als Solist loslegen kann: umso besser. So zeigten einige der Band-Mitglieder ihr virtuoses Können auch in ausgedehnten Soli. Viel Applaus gab es etwa für Benny Omerzell am Seiler-Flügel bei „Trust“: abgedrehte fingerfertige Läufe mit Outside-Ausflügen mündeten in vollgriffige, rhythmische Klavier-Voicings. Funky und groovend sein Clavinet-Sound-Solo in „Country Star“.

Viel Beifall auch für Martin Eberle für sein melodiöses und virtuoses Trompetensolo in „Pop Sent“. Ein feuriger Musiker.

Kurz: Das Jazzorchester Vorarlberg, es war nicht anders zu erwarten, schaffte es mühelos wieder einmal mehr, anspruchsvoll publikumswirksam zu sein.

Die Sängerin


Für den Rezensenten ergab sich das Bild einer Sängerin, die im Jazz-Idiom durchaus  eine gute Figur machen kann. Ihrer Stimme vermag sie ein jazziges Timbre mit einer warmen, femininen Ausstrahlung zu geben, dies besonders in der Mittellage, von der sie  an diesem Abend am meisten Gebrauch machte. Kein höhentreibendes Organ, jedenfalls nicht bei jenen Nummern, die sie am Sonntagabend zu Gehör brachte. Spar ist offenbar eine Altistin mit einer kräftigen Stimme; es scheint sich aber um keine ausgesprochenen Power-Stimme oder gar Röhre zu handeln. Sie phrasiert jazzig: rhythmisch gut und mit guter Intonation. Sehr schön: das feine jazzige Vibrato am Ende von Phrasen.
Auffallend: Keine vokalen Improvisationen, die bei Jazz-VokalistInnen doch üblich sind (Stichwort: Scat).
Als Moderatorin führte Spar souverän, ohne erkennbare Nervosität durch den Abend.

Die berühmte Frage nach der Einheit von Text und Musik, die einen guten Song ausmacht.


Wie bedeutsam die Botschaften Spars waren, konnte nur erahnt werden. Obzwar ihre Stimme in den Band-Sound sehr gut eingebettet war, machte es die Vielzahl der (nicht nur musikalischen) Aktionen auf der Bühne nicht leicht, die Inhalte der vierzehn englischen Songs ganz wahr- oder aufzunehmen. (Beim türkischen Text von  „Did I tell you“ scheiterte der Verfasser dieser Zeilen an der Sprachbarriere.) Aber die einzelnen sprachlichen Floskeln, die der Rezensent auffing, und besonders der Gestus des Geheimnisvollen, den die Künstlerin am (Kohlenstaub-)Mikrofon zelebrierte, ließen den Schluss zu, dass die Aussagen sich wohl nicht zuletzt um seelische Befindlichkeiten drehten und man an diesem Abend offenbar Zeuge davon wurde, wie eine junge Frau - leidend - ihr Herz ausschüttete. Große Tragik. Großes Drama.

Frenetischer Beifall.

Eine, die erwähnte Zugabe.