Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Fritz Jurmann · 19. Apr 2014 · Musik

Auch beim wiederholten Mal ein Faszinosum - Mozarts Requiem wird unter Dirigent Manfred Honeck zum tief berührenden Gottesdienst

Karfreitagabend, 21 Uhr. Stille Trauer nach dem Kreuzestod Christi liegt schwer über dem Land. Epizentrum des Gedenkens ist Lustenau. In der großen Erlöserkirche ist in einer logistischen Meisterleistung des Kulturteams der Pfarre Rheindorf mit Zusatzstühlen jeder kleinste Platz ausgenützt, um möglichst vielen der aus dem ganzen Land angereisten Besucher ein weiteres Mal das angesagte Erlebnis zu ermöglichen: Der Vorarlberger Dirigent Manfred Honeck, der von den Wiener bis zu den New Yorker Philharmonikern bereits alle Toporchester dieser Welt geleitet hat und dessen Vertrag als Musikdirektor beim Pittsburgh Symphony Orchestra wegen des großen Erfolges eben bis 2020 prolongiert wurde, zelebriert Mozarts singuläres Requiem, macht es hier zum Gottesdienst, der tief berührt und unter die Haut geht.

Die Idee entstand vor vielen Jahren in Honecks Heimatgemeinde Altach und fußt auf dem tiefen Glauben Honecks, aus dem er sich ganz persönlich die Kraft für seine großen Aufgaben holt. Er wollte mit diesem bis heute ehrenamtlich geleisteten Einsatz seiner engeren Heimat jährlich etwas Besonderes schenken. Seit sechs Jahren ist, mittlerweile im Zwei-Jahres-Rhythmus, die Erlöserkirche Lustenau Schauplatz dieser Feierstunde und allein von ihrem überdimensionalen Chorfresko des gekreuzigten Jesus, aber auch von ihren Platzverhältnissen und den akustischen Gegebenheiten ein idealer Aufführungsort.

Kult, aber kein Event


Und so vollzieht sich dort das scheinbar stets gleiche Ritual mit einer Einstimmung aus literarischen oder biblischen Texten und anderen Kompositionen sowie dem Requiem als geistig-religiösem Zentrum, an dem man auch beharrlich festhält. Und dennoch ist alles jedes Mal irgendwie neu und faszinierend anders, auch vom Programm her und den Mitwirkenden mit jungen Chorsängern und den diesmal ganz besonders exzellenten Solisten. Das Ganze hat zwar den längst unvermeidlichen Kultcharakter, steht aber, wie Pfarrer Thomas Sauter in seinen Einleitungsworten betont, weit abseits jedes Eventcharakters. Dafür ist alles viel zu sehr nach innen gekehrt und dabei doch von einer Intensität und Spannung, die diese eineinhalb Stunden wie im Flug vergehen lassen, ohne dass man auf die Uhr geschaut hätte.

Zentraler Punkt für Manfred Honeck bei seiner Annäherung an das geheimnisvolle Requiem ist die Todesnähe, die Mozart bei der Abfassung gespürt haben muss und auf seine unnachahmliche Weise umgesetzt hat. Es geht ja die Mär, dass der Komponist das Werk auf Bestellung eines unbekannten Boten, dabei in Wirklichkeit für sich selber geschrieben habe. Für Honeck war Mozart angesichts seiner vielen anderen Sakralwerke auch ein durchaus gläubiger Mensch, wenn auch in diesem eher menschlichen als liturgischen Werk der Blick auf die Verheißung der Auferstehung ausgespart bleibt. Das Requiem ist von zeitloser Gültigkeit und ermöglicht damit auch einen breiten Gestaltungsspielraum. Der Dirigent setzt das Werk bis ins Detail textbezogen um, ohne die Schönheiten seiner Musik als Transportmittel je zu vernachlässigen.

Mozarts Requiem bleibt bei Honeck unvollendet

Nach seinem persönlichen Empfinden führt Honeck dabei nur jene Teile des unvollendet gebliebenen Requiems auf, die wesentlich auf Mozart zurückgehen und nicht die sonst übliche, von seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr ergänzte Fassung. Mozart im Original also. Und es ist jedes Mal ein beklemmender Eindruck, wenn mit dem nach acht Takten jäh abbrechenden „Lacrimosa“ im sanften Licht der Trauer die letzten Noten erklingen, die der Meister in seinem Leben geschrieben hat, gefolgt von einem ganz innigen, aus dem Nichts heraus gesummten „Ave verum“, das erst später voll aufblüht.

Aber da ist auch der Mut, das zornige Aufbegehren gegen das unvermeidbar scheinende Schicksal des Todes schon am Ende des „Kyrie“ mit seinem zunächst in einen schrecklich dissonanten verminderten Septakkord mündenden Trugschluss. Die letzten Reserven seines Ensembles aber mobilisiert Honeck in den „Dies irae“-Visionen, in denen die Verheißung der Apokalyse aus der Offenbarung des Johannes bedrohliche Realität wird.

Dafür steht ihm heuer ein rund einhundertköpfiger, erstmals fast durchwegs jugendlicher Chor zur Verfügung, zusammengesetzt aus dem Vocal Collegium Ravensburg (Einstudierung Rudolf F. Schadt) und dem Chor des Musikgymnasiums Feldkirch (Einstudierung Martin Lindenthal): ein perfekt studiertes, intonationssicheres und wortdeutliches Instrument aus hellen, jungen Stimmen, das zu feinsten Regungen ebenso fähig ist wie zu enormen dynamischen Ausbrüchen, zu breiter Fülle und Klangpracht wie zu Pianissimo-Stellen, die alle Erdenschwere vergessen machen. Es muss für die jungen Leute eine bleibende Erfahrung gewesen sein, dieses Werk mit einem Weltdirigenten wie Manfred Honeck erarbeiten zu dürfen. Das Orchester wird heuer erstmals von der bei ähnlichen Aufführungen im Land bestens bewährten Sinfonietta Vorarlberg mit Berufsmusikern u. a. aus dem SOV gestellt, klangschön, flexibel und mit großer Sicherheit.

Exzellentes Solistenquartett

Von besonderer Güte ist diesmal das zu drei Vierteln aus internationalen Künstlern zusammengesetzte Solistenquartett, in dem unsere Wolfurterin Martina Gmeinder, seit Längerem bei Honeck-Aufführungen auch außerhalb Vorarlbergs eine feste Größe, mit ihrem innig warmen, schön geführten Alt durchaus bestehen kann. Den kostbaren, wunderbar elastischen und klaren Sopran der Südkoreanerin Sunhae Im bewundert man erstmals im einleitenden „Laudate Dominum“ von Mozart, den so wortdeutlichen und klangvoll geerdeten edlen Bariton des Wieners Paul Armin Edelmann in Schuberts „Litanei“ („Ruhn in Frieden alle Seelen“). Nach längerer Zeit mit Engagements an internationalen Opernhäusern gibt auch der aus Thüringen stammende Tenor Michael Heim wieder ein Heimspiel, mit strahlender Höhe und feinen Zwischentönen.

Michael Schwärzler ist in der Pfarre Rheindorf hauptamtlich für eine gut funktionierende Kirchenmusik verantwortlich. Im Vorprogramm macht er sich in einer gehaltvollen, auf interessante Terzenverwandtschaften aufgebauten Orgelimprovisation musikalische Gedanken zum Thema und leitet auch die homogene Choralschola. Franz Josef Köb liest dazwischen sorgfältig ausgewählte Texte, die das Thema Tod aus verschiedenen Blickrichtungen beleuchten.

Weder am Beginn noch am Schluss der Aufführung gibt es Beifall. Nach dem Verklingen der großen Glocke tritt zunächst Manfred Honeck ganz langsam ab – eine Lichtgestalt des Glaubens und der Hoffnung auch angesichts des Todes. Dann verlassen auch die Sänger, Musiker und Zuhörer still das Gotteshaus, auf wunderbare Weise eingestimmt auf den religiösen Gehalt des kommenden Osterfestes.