Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Fritz Jurmann · 17. Mai 2013 · Musik

Barockmusik kann süchtig machen: Bei „Concerto Stella Matutina“ wurde auch ein Sonderkonzert zum bejubelten Erfolg

Da ist Bernhard Lampert, dem ungemein rührigen Gründer und Organisator des Vorarlberger Barockorchesters „Concerto Stella Matutina“, ein toller Coup gelungen. Er konnte den weitum anerkannten Barockexperten und Ö1-Moderator Bernhard Trebuch aus Wien von den außerordentlichen Qualitäten seines Ensembles überzeugen. Die Folgen: „CSM“ werden am Pfingstwochenende zu den von Trebuch kuratierten Internationalen Barocktagen im Stift Melk eingeladen, Mitschnitte ihrer Konzerte sind in nächster Zeit nicht mehr nur im Lokalprogramm von Radio Vorarlberg, sondern gleich zwei Mal auch im nationalen Kulturprogramm Österreich 1 zu hören (Hinweise am Ende dieses Beitrages).

Bernhard Trebuch ist am Donnerstag auch eigens nach Götzis angereist, wo in der Kulturbühne AmBach das Konzertprogramm für Melk als Vorpremiere für das heimische Publikum in einem Sondertermin angeboten wurde und für eine spätere CD mitgeschnitten wird. Die Zuhörer verhalten sich deshalb während der Darbietungen auch vorbildlich still, um danach ihre Begeisterung umso deutlicher in Stampfen und Jubel kundzutun. Dazu gibt es auch allen Grund. Doch die Spannung einer solchen Konstellation ist zunächst fast greifbar, man erlebt die Musiker von „CSM“ diesmal in einer ganz besonderen Mischung aus überschäumend riskanter Spielfreude und höchster Konzentration.

Den Draht gefunden, den Nerv getroffen


Der international profilierte deutsche Musikwissenschafter und Alte-Musik-Spezialist Christoph Hammer (47) debütiert an diesem Abend als Leiter des Ensembles. Er sitzt nach alter Kapellmeistermanier mit dem Rücken zum Publikum am Cembalo und hat offenbar in wenigen Probentagen einen Draht zu den Musikern gefunden und ihren Nerv getroffen. Es ist faszinierend mitzuerleben, wie perfekt er, zusammen mit den Stammspielern Johannes Hämmerle an der Truhenorgel und Thomas Platzgummer am Cello, die Continuo-Begleitung gestaltet, dabei doch immer wieder eine Hand frei hat, um wichtige Einsätze zu geben und beschwörend Ausdrucksmodalitäten und Dynamik abzurufen. Und die Musikerinnen und Musiker setzen diese Akzente in bester Spiellaune um, technisch auf exzellentem Niveau, in geschärfter Klangpracht, stilistisch bis ins Detail ausgefeilt. Takt für Takt setzt Hammer hier um, was er sich selber zur Maxime seiner Arbeit gemacht hat: die musikalische Sprachkunst in den Vordergrund zu stellen, mit Fantasie und Farbigkeit Geschichten zu erzählen.

Und deren gibt es genug in diesem Programm mit dem seltsam anmutenden Titel „Et in arcadi sum“. Auch dem Nicht-Lateiner dürfte das Wort „Arkadien“ ein Begriff sein, um den es hier zentral geht – jenes seltsame Fantasieland, wo Milch und Honig fließen. Eine Idylle, in der nichts anderes herrscht als heile Welt und die schon im Jahre 690 einer bis heute existierenden Accademia in Rom entsprungen ist, der neben Künstlern und Kardinälen auch Komponisten angehört haben. An manche von ihnen, die zu ihrer Zeit hoch berühmt waren und dann samt ihrer Musik in Vergessenheit geraten sind, will dieses Programm nun erinnern – Namen wie Francesco Gasparini, Giuseppe Valentini oder Benedetto Marcello, die auch Fachleuten heute wenig sagen.

Mit Frische, Unbekümmertheit und Können


Und deren Musik wird dann tatsächlich auch zu wunderbaren Entdeckungen darüber, mit welcher Frische und Unbekümmertheit, auch mit welchem Können hier im alten „Arkadien“ gearbeitet wurde. Johannes Hämmerle, seit Beginn verlässliche Konstante von „CSM“, hat manche dieser Schätze in alten Archiven von Neapel aufgestöbert und für sein Ensemble wieder spielbar gemacht. Und so erlebt man, ohne dass es eigens im Programm angeführt ist, in einem vielfältigen Pasticcio von Concerti und Kantaten wohl eine ganze Reihe von Ur- oder zumindest österreichischen Erstaufführungen. Ein faszinierender Gedanke!

Gerne hätte man noch etwas mehr zu den Hintergründen mancher der gespielten Werke erfahren außer in einem einzigen Moderationsblock von Bernhard Trebuch, und das war auch das einzige kleine Manko des Abends. Doch andererseits verströmt die sensationelle italienische Sopranistin Francesca Lombardi Mazzulli bei ihren Arien und vor allem in den Rezitativen eine solche Fülle an gestischen, mimischen und stimmlichen Ausdrucksvarianten, dass man auch ohne weitere Einführung mitbekommt, worum es hier geht: um so zeitlose Dinge wie Herz-Schmerz, die Liebe im Schäfermilieu, Lachen und Weinen, Leidenschaft und Tod.

Mit großer Sinnlichkeit


Wie sie als attraktive Bühnenpersönlichkeit mit großer Sinnlichkeit listig die Augen rollt, verzweifelt die Hände hebt, gramgebeugt Schmerz simuliert – das muss man gesehen haben. Wie sie aber ihre wunderbar ausgebildete, im Grunde liebliche Stimme einzusetzen versteht, zwischen zartesten Regungen und dramatischer Attacke, mit schier unerschöpflichen Reserven und einer tollen Technik ausgestattet, das verlangt höchsten Respekt: ein Naturereignis! Allein Ihr „Wettsingen“ in atemberaubenden Koloraturen mit der Solo-Oboe (Shai Kribus) in der Zugabe braucht Vergleiche mit ganz großen Kalibern der Szene wie Cecilia Bartoli nicht zu scheuen.

Die Musiker des Orchesters begleiten dezent, aber präsent vor allem in einer auf das Nötigste reduzierten Besetzung diese glänzenden vokalen Eskapaden. Den Rahmen des durch und durch italienischen Abends mit Musik des 17. Jahrhunderts (auch wenn sich ein Händel mit durchaus mediterranem Anstrich eingeschmuggelt hat) bilden effektvolle Instrumentalstücke, bei denen immer wieder auch Musiker aus dem Orchester solistisch hervortreten: Herbert Walser-Breuss und Bernhard Lampert auf extrem schwierig zu beherrschenden Naturhörnern in einem Concerto von Valentini, Herbert Walser-Breuss auf der Barocktrompete in einer Sonata von Corelli und Shai Kribus, der sich an der Oboe in einem Concerto von Marcello mit Konzertmeisterin Silvia Schweinberger thematisch lustig duelliert.

Bei alledem ist allein auch die Tatsache bemerkenswert, dass es dem heimischen Barockorchester „Concerto Stella Matutina“ gelungen ist, auch über die vier üblichen Abo-Konzerte hinaus den größten Teil seines Stammpublikums ein weiteres Mal für dieses „Sonderkonzert“ zu mobilisieren. Dass niemand diese zusätzliche Begegnung zu bereuen hat, dürfte wohl allen klar sein. Barockmusik kann eben süchtig machen!

 

Sendetermine „Concerto Stella Matutina“ im Hörfunkprogramm Österreich 1:

Pfingstsonntag, 19. Mai, 11.03 Uhr – Mitschnitt des Konzertes „Omaggio a Corelli“ bei den Internationalen Barocktagen im Stift Melk mit allen Künstlern des Festivals
Donnerstag, 23. Mai, 10.05 Uhr – Mitschnitt des Konzertes „Et in arcadi sum“ vom 18. Mai im Stift Melk

Nächste Konzerte:

Freitag, 21. Juni, 20.00 Uhr, Götzis, Kulturbühne AmBach – 2. Abokonzert, „Josephs neuer Kaiserthron“ (Solisten: Judith Scherrer, Sopran, Matthias Lucht, Alt, Jakob Pilgram, Tenor, Dominik Wörner, Bass; Musikalische Leitung: Alfredo Bernardini

Donnerstag, 8. August, 20.00 Uhr, Vereinshaus Göfis – Zusatzkonzert „Alte Musik meets Jazz“, Solist und Leitung: Rolf Lislevand, Laute